Hamburg. Die „Deutsche Chronik“: Auch die Inszenierung von „Tadellöser & Wolff“ überzeugt mit Witz und viel Sinn für historische Details.

Die Rote Armee steht im Mai 1945 vor den Toren Rostocks. „Den Krieg haben wir gewonnen“, sagt Grethe Kempowski (Anne Schieber) und prostet ihrem jüngsten Sohn Walter (Johan Richter) zu. Die Reedersfrau glaubt immer noch an die „guten Kräfte“, obwohl Deutschland in Schutt und Asche liegt. Mit dieser befremdlichen Szene endet „Tadellöser & Wolff“, der vierte Teil von Kempowskis „Deutscher Chronik“. Darin erinnert der Schriftsteller sich an die Jahre zwischen 1938 und 1945, in denen er vom Kind zum Teenager heranwächst. Im Altonaer Theater ist „Tadellöser & Wolff“ der zweite von vier Teilen, in denen Regisseur Axel Schneider Kempowskis Familien-Saga auf die Bühne bringt.

Auschwitz, die Schoah, Stalingrad und andere Ereignisse der NS-Zeit kommen in Kempowskis Roman und auch in der Theaterfassung nicht vor oder werden nur beiläufig erwähnt. Gezeigt werden soll der bürgerliche Alltag in einem autoritären Regime. Die Grausamkeiten des Regimes und die Verheerungen des Krieges werden weitgehend ausgeblendet.

Viel Witz

„Uns geht es ja noch gold“, sagt Grethe. Anne Schieber spielt die dreifache Mutter als optimistische und naive Person. Erst als Bomben auf Rostock hageln und sie sich in einem Keller verstecken muss, bekommt auch sie es mit der Angst zu tun. Doch bis auf ein zersplittertes Fenster wird das Haus der Kempowskis nicht in Mitleidenschaft gezogen. Grethes Empathie gegenüber dem Leid anderer Familien hält sich in Grenzen.

Deutsche Chronik

Deutlich werden die Zwänge, denen vor allem Walter ausgesetzt ist. Das fängt mit der Schule an, geht mit dem Klavierunterricht weiter und mündet in die strenge Ordnung der Hitlerjugend (HJ). Johan Richter und Katrin Gerken als strenge Klavierlehrerin Fräulein Schnabel sowie als rigorose Nachhilfelehrerin Tante Anna gelingen ein paar äußerst komische Szenen. Überhaupt spart die Inszenierung nicht an Witz. Herrlich auch die Szene, in der Ute Ges­ke „Swingkid“ Karl Kempowski (Philip Spreen) als menschlicher Plattenspieler dient und deutsche Schlager und amerikanische Jazznummern singt. Die Musikzusammenstellung und die Einstudierung der vielen Gesangsszenen hat Mathias Kosel besorgt.

Starke Akzente

Ein paar komische Auftritte hat auch Tobias Dürr als HJ-Führer Eckhoff. Er überzeichnet die Figur, gibt sie aber nicht völlig der Lächerlichkeit preis und schafft es so, dass Eckhoff Angst verbreitet. Walter opponiert weiterhin gegen dieses System. Er weigert sich zum Beispiel, seine Haare kurz zu schneiden und geht deswegen sogar in eine Strafeinheit der HJ. Wie am Sonnabend bei der Premiere von „Aus großer Zeit“ brilliert Johan Richter wieder als Kommentator der Familien-Saga. In „Tadellöser“ kann er überdies zeigen, wie nuanciert er zu spielen vermag. Die Jury des Boy-Gobert-Preises sollte ihn mal unter die Lupe nehmen.

Im zweiten Teil des Kempowski-Projektes am Altonaer Theater setzt auch Dirk Hoener einige starke Akzente. Er spielt Karl Kempowski, einen Veteranen des Ersten Weltkrieges, der sich freiwillig zur Wehrmacht gemeldet hat. Hoener gelingt es vortrefflich, die kalauernde Sprache von Karl Kempowski aus dem Roman auf die Bühne zu bringen. Er ist ein ewig plapperndes Familienoberhaupt, das von Frau und Kindern nur noch bedingt respektiert wird.

Viel Beifall

Hoeners Karl Kempowski ist ein Mann, der zwar kein Parteigänger der Nazis ist, dem Hitlers Organisationstalent dennoch imponiert. Eines Tages, sagt er, werde man wohl doch ein Führerbild kaufen, „vielleicht das im Mantel, wo er so von hinten guckt. Da sieht er ganz vernünftig aus.“

Auch „Tadellöser & Wolff“ ist vom Regieteam um Axel Schneider und die Dramaturgin Sonja Valentin mit Akribie und Sinn für historische Details für das Theater bearbeitet worden. Das neunköpfige Ensemble spielt mit großer Ernsthaftigkeit, wo sie erforderlich ist, und viel Komik, wo sie erlaubt ist. Am Ende der dreistündigen Aufführung bekommen Schauspieler und Team sehr viel Beifall. Den ersten Kempowski-Marathon haben alle Beteiligten mit Bravour gemeistert.

„Tadellöser & Wolff“ läuft bis 21.10.2018, Altonaer Theater, Karten ab 17,- u. a. in der Abendblatt-Geschäftsstelle (Großer Burstah 18–32) und unter T. 30 30 98 98.