Hamburg. „No. 6 Collaborations Project“ erweist sich als Enttäuschung. Dem Andrang im Hamburger Pop-Up-Store wird das nicht schaden.
Kenner wissen: Es gibt für jede noch so absurde Lebenssituation den passenden Song der Ärzte, sogar für die Veröffentlichung des neuen Albums von Ed Sheeran: „Was hat der Junge doch für Nerven“. Ja, was für Nerven muss man haben, um sich nicht auf das eigene Talent zu verlassen, sondern eine Platte mit zahlreichen Gaststars zu machen? Hat dieser Künstler, der alleine bei seinen Konzerten 80.000 unterhalten kann, das nötig? Nein, aber er macht es, weil er es kann.
Gastauftritte sind schließlich eine von Sheerans Lieblingsbeschäftigungen, der 28 Jahre junge Engländer veröffentlichte bereits 2011 kurz vor seinem Durchbruch die Duett-EP „No.5 Collaborations Project“ mit einer Riege britischer Undergroundrapper. In den Folgejahren kamen Zusammenarbeiten mit Elton John, Eric Clapton, und 20 weiteren Künstlern dazu. Ein geselliger Typ, der Ed. Es macht ihm schlicht Spaß, und der sei ihm auch gegönnt.
Seit Monaten wurde der Rummel um Ed Sheerans Album angefacht
Aber jetzt kommt nach den millionenfach gekauften und gestreamten Alben „+“ (2011), „x“ (2014) und „÷“ (2017) dieses „No. 6 Collaborations Project“. Seit Monaten wurden auf allen Kanälen Erwartungen geweckt, Geheimnisse gelüftet und Spotify-Rekorde für die ersten fünf veröffentlichten Songs aufgestellt.
Für ein Werk, das musikalisch absolut auf der Höhe der Zeit ist, aus kreativer Sicht aber überwiegend enttäuscht. Von Ed Sheerans Songwriting-Raffinesse, seiner unprätentiösen Ausstrahlung und seinem Gespür für gewitzte Eingängigkeit ist auf „No.6 Collaborations Project“ leider zu wenig zu hören.
Sommerhit-Schnellschüsse und Produktpräsentationen
Stattdessen dominieren aktuelle Poptrends wie Trap und Mumble Rap sowie Sommerhit-Schnellschüsse und Produktpräsentation-Partyhits. Sie klingen wie mit Freeware-Klangbaukästen erstellt, diesem artifiziellen Midi-Murks, mit denen seit einigen Jahren zweitklassige „Produzenten“ in finsteren Kellerlöchern hastig und unter irrem Gelächter ihre Frankenstein-Lieder zusammenlöten. Die aber auch – vielleicht mit Hilfe bezahlter Click-Serverfarmen – zumindest die Streamingcharts zu dominieren scheinen.
15 Songs haben sich Ed Sheeran und seine Kollaborateure ausgedacht, und der Großteil kommt direkt aus der Autotune-Hölle. Die digitale Stimmmodulation, die sogar eine Gesangsgrätsche wie Ringo Starr in einen Cher-Roboter verwandeln könnte, ist derzeit so omnipräsent, dass man Milli Vanilli gern den seinerzeit nach dem „Playback-Skandal“ aberkannten Grammy zurückgeben möchte.
Influencer-Marketing funktioniert nicht nur auf Instagram
Aber es gibt für alles eine Zielgruppe, auch für einen Ed Sheeran, der mit Khalid in „Beautiful People“ kritisch die Leute in Los Angeles und ihr wochenendliches Herumcruisen im Lamborghini, angetan in Designerklamotten, betrachtet. „Wir passen da nicht rein, weil wir nur so sind, wie wir sind“, singen die beiden.
Das ist natürlich absolut unglaubwürdig, wenn man das mit dem Sound untermalt, der in L.A. die Außenspiegel von Sportwagen und schweren SUVs vibrieren lässt. Auch im Tropical-Pop-Stückchen „South Of The Border“ mit Camila Cabello und Cardi B ist „Lamborghini“ ein Stichwort, Influencer-Marketing funktioniert offensichtlich nicht nur auf Instagram.
Fast vergisst man, dass es eine Ed-Sheeran-Platte ist
So geht es mehr oder weniger weiter, und schnell vergisst man fast, dass dies eine Ed-Sheeran-Platte ist, weil der in seiner Bescheidenheit oft „nur“ in den Refrains im Background singt, damit Chance The Rapper, Stormzy oder Young Thug eine gute Bühne haben.
Wobei Songs heutzutage sofort mit dem Refrain starten, weil die Aufmerksamkeitsspanne der Streaminghörer kurz geworden ist. Die Gastrapper sorgen dann für belangloses Geplapper im Mittelteil, ein Relikt aus den Eurodance-Zeiten der 90er-Jahre.
Bruno Mars, Eminem und 50 Cent bringen Abwechslung in den Einheitsbrei
Die jeweils zur Hälfte und am Ende gemeinsam gesungene klassische Ballade „Best Part Of Me“ mit Yebba ist auch akustisch eine der wenigen Ausnahmen, aus denen besonders das Funk-Rock-Finale „Blow“ mit Bruno Mars und Chris Stapleton positiv heraussticht.
Auch der Besuch der beiden einstigen Hip-Hop-Giganten Eminem und 50 Cent mit dem selbstironischen (?) Titel „Remember The Name“ bringt etwas mehr Abwechslung in den Einheitsbrei.
Skrillex? Justin Bieber? Irgendwann ist alles überstanden
Vielleicht das bemerkenswerteste Stück ist aber „Way To Break My Heart“ mit Brostep-Posterboy Skrillex. Denn von Brostep, diesem vor einigen Jahren überall bis zur Mercedes-Werbung herumdröhnenden Irrtum von einem Genre, hört man in diesem Song überhaupt nichts mehr.
Erst da bemerkt man, das auch Brostep und Dubstep an sich schnell und völlig verdient aus der Wahrnehmung des Pop-Zeitgeistes verschwunden sind. Bevor man sich also zu sehr über Ed Sheerans und Justin Biebers brüderlich geteilte Pickel-Pop-Perle „I Don’t Care“ (Hu-hu-hu-hu-hu-hu! Baby! Party!) amüsiert, sollte man ihm dankbar sein, dass er mit Skrillex beispielhaft zeigt: Irgendwann ist alles überstanden. Heeeeey, Macarena!
- Das Album „No. 6 Collaborations Project“ 8Warner Music) ist im Handel und auf den gängigen Musikportalen erschienen
- Der Pop-Up-Store An diesem Sonnabend (13. Juli) eröffnet vor der Rindermarkthalle an der Feldstraße (Neuer Kamp 31) von 10 Uhr bis 20 Uhr ein englischer Doppeldecker-Bus als Ed-Sheeran-Pop-Up-Store. Dort sollen neben dem neuen Album auch exklusive auf Hamburg bezogene Fanartikel erhältlich sein. Es ist bei dieser weltweiten Aktion der einzige Pop-Up-Store in Deutschland.
- Das Konzert Für das zweite Konzert auf dem Messegelände Hannover am 3. August gibt es noch Restkarten (99,82 Euro) im Vorverkauf. Das Konzert am 2. August ist bereits ausverkauft.