Hamburg. Museum für Hamburgische Geschichte zeigt eine Ausstellung über das Skandalunternehmen Neue Heimat, das 400.000 Wohnungen baute.
Die Zeit heilt alle Wunden – das gilt nicht nur für Liebeskummer, sondern offenbar auch für Unternehmen: Die Neue Heimat, die vor mehr als drei Jahrzehnten für einen der größten Finanzskandale der Nachkriegszeit stand, wird plötzlich in einem freundlicheren, fast milden Licht gesehen. In Zeiten, in denen der Berliner Senat über Zwangsverstaatlichungen von Wohnraum nachdenkt, Mieterhöhungsverbote erlässt und der Wohnungsmangel zum Spitzen-Thema avanciert, ändern sich die Blickwinkel. Die Neue Heimat ist wieder „in“: Erst kürzlich hat der Dölling und Galitz Verlag auf über 800 Seiten in einem 3,3 Kilogramm schweren Mammutwerk an die Neue Heimat erinnert. Die Landeszentrale für politische Bildung hat frisch eine lesenswerte Schrift zur Neuen Heimat publiziert. Und nun bekommt das Hamburger Wohnungsbauunternehmen eine ganze Ausstellung im Museum für Hamburgische Geschichte.
Ohne die Neue Heimat sähe die Hansestadt anders aus
Ist es eine faire Neubeurteilung eines Konzerns, der Millionen Deutschen zu besserem Wohnraum verholfen hat? Oder beginnt hier schon die Geschichtsklitterung, die einen Konzern adelt, der am Ende Betonklotz an Betonklotz reihte und für die „Unwirtlichkeit unserer Städte“ mitverantwortlich ist?
Die Ausstellung tappt nicht in diese Falle. Sie bewertet den größten Wohnungsbaukonzern in Europa aus seiner Zeit heraus, einer Zeit, als große Wohnungsnot herrschte: Jede vierte Wohnung im Land war durch den Zweiten Weltkrieg zerstört worden. Zugleich stieg die Bevölkerungszahl in Westdeutschland dramatisch: 9,5 Millionen Wohnungen standen 1950 gut 15 Millionen Haushalten gegenüber.
Wie kein zweites Unternehmen ist der Name Neue Heimat mit dem Wiederaufbau aus Trümmern verbunden. Doch aus dem erfolgreichen Aufbau erwuchs eine Hybris. Erst baute die gewerkschaftseigene Neue Heimat nur Häuser, am Ende stand das großspurige Versprechen: „Bei uns können Sie eine ganze Stadt bestellen.“ Schön ist zu sehen, wie aus Wachsen Wuchern wird: Der Sprung von der funktionierenden Gartenstadt Hohnerkamp mit seinen 2000 Einheiten zum Städtebau in der Bremer Neuen Vahr mit 10.000 Einheiten sprengt die menschlichen Maßstäbe.
In drei Jahrzehnten 400.000 Wohnungen
In einem Zeitraum von über dreißig Jahren errichtete die Neue Heimat mehr als 400.000 Wohnungen; darüber hinaus auch zahlreiche Bauten für Städte oder private Investoren: In Hamburg schuf die Neue Heimat die Alsterschwimmhalle, das CCH sowie das Elbe Einkaufszentrum. Ohne die Neue Heimat sähe die Hansestadt anders aus.
Die Ausstellung lädt die Besucher zu einer Zeitreise und schildert das einzigartige Zusammenspiel von Wirtschaftsinteressen und Politik, von Sozial- und Mediengeschichte. Die Neue Heimat steht als Institution für das Wirtschaftswunder und den Traum eines besseren Lebens, aber auch für eine sozialdemokratische Vorstellung vom Aufstieg. Auch ihr Zusammenbruch passt dann in die Zeit: Das kriminelle Geschäftsgebaren der Vorstandsfürsten der Neuen Heimat diskreditierte die Idee der gemeinnützigen Wirtschaft insgesamt und verstärkte den neoliberalen Schub in den 1980er-Jahren.
Die Ausstellungsmacher analysieren die Bauten und Projekte der Neuen Heimat an konkreten Beispielen wie den Großsiedlungen Mümmelmannsberg oder Neue Vahr. Die faszinierende Ausstellung spricht viele Sinne an – am Eingang entführt ein Film auf Zeitreise durch die Unternehmensgeschichte, an verschiedenen Stellen kommen 13 Zeitzeugen wie Hans-Jochen Vogel oder der langjährige Saga-Chef Lutz Basse zu Wort. Gezeigt werden historische Fotografien und Filme, Pläne, alte Magazine und Zeitungsseiten. Viel Raum nimmt das zeitgenössische und interaktive Modell des Großprojekts Neuperlach ein, in dem 80.000 Menschen leben sollten.
Journalisten decken kriminelle Geschäfte auf
Neu entworfen haben die Ausstellungsmacher das völlig verrückten Alsterzentrum, für das fast ganz St. Georg niedergelegt werden sollte. Es lohnt sich, die kurzen Fernsehsequenzen anzuschauen: Großartig ist etwa der Ausschnitt des Gesprächs des Moderators Frank Elstner mit dem Berliner Bäckerei-Unternehmers Horst Schiesser. Schiesser hatte 1986 den gesamten Konzern mit Verbindlichkeiten in Höhe von damals 16 Milliarden Mark für gerade einmal eine Mark gekauft – kurz darauf zwangen die Banken den Mittelständler, das Geschäft rückabzuwickeln. Mithilfe eines Spielmoduls kann der Besucher erkunden, in welchen Städten der Konzern welches Projekt verwirklicht hat – die Neue Heimat war wirklich fast überall.
Eine Weltkarte zeigt die ganze Hybris des Unternehmens, das zwischenzeitlich wie ein globaler Konzern agierte – allerdings ohne in den afrikanischen, arabischen oder lateinamerikanischen Märkten über ausreichend Kontakte und Kenntnisse zu verfügen. Das Scheitern war mit Händen zu greifen – und kam, als das Hamburger Nachrichtenmagazin „Spiegel“ losrecherchierte. Die Journalisten deckten die kriminellen Geschäfte mancher Vorstände auf und ließen nicht locker – auf den ausgestellten Magazintiteln lässt sich der Fall und Verfall des Baukonzerns eindrucksvoll besichtigen.
Überhaupt ist Hamburg omnipräsent in der Ausstellung des Architekturmuseums der TU München und des Hamburgischen Architekturarchivs, die die Schau gemeinsam mit dem Hamburg-Museum entwickelt haben. In der Hansestadt hatte das Unternehmen nicht nur seinen Sitz, hier liegen auch die Anfänge und ersten Großprojekte. Was 1926 als Gemeinnützige Kleinwohnungsbaugesellschaft in Barmbek begann, endete nach 1982 mit der journalistischen Großtat des Spiegels.
Neue-Heimat-Archiv sollte vernichtet werden
Übrigens grenzt es an ein Wunder, dass es diese Ausstellung überhaupt gibt: 1990 bekam das Hamburgische Architekturarchiv den Hinweis, dass das Neue-Heimat-Archiv in einer Tiefgarage in Billstedt auf seine Vernichtung wartete. Das Archiv um Ullrich Schwarz sicherte allein 25.000 Fotos und 20 Stunden Filmmaterial. „Das war möglicherweise illegal“, sagte Schwarz am Mittwoch verschmitzt. Es wurde ein illegaler Glücksfall. Die Ausstellung in München in der Pinakothek der Moderne wurde mit 43.000 Besuchern zu einem Publikumsrenner.
Einen solchen Erfolg wünscht sich auch Hans-Jörg Czech, Direktor des Museums für Hamburgische Geschichte. „Die Neue Heimat hat eine außerordentliche Rolle in den Geschichte der Bundesrepublik gespielt.“ Die Ausstellung am Holstenwall könne helfen, die verengte Wahrnehmung des Neuen Heimat als Skandalunternehmen zu überwinden und zu öffnen.
Mit den Augen der Zeitgenossen in den 1950er- und 60er-Jahren können Besucher den Wiederaufbau auf der Veddel und in Barmbek Nord verfolgen oder die Planungen für Neu-Altona nachvollziehen. Manches, was nach einem halben Jahrhundert als Bausünde erscheint, sah für viele Menschen damals verführerisch aus. „Der zeitliche Abstand von über einer Generation bietet die Chance für einen kritischen Rückblick darauf, was aus der sozialdemokratischen Utopie eines bis heute angestrebten ‘Wohnens für Alle‘ geworden ist“, sagen die Ausstellungsmacher. Es wurde auch Zeit.
„Neue Heimat“ bis 6.10., Museum für Hamburgische Geschichte (Bus 112), Holstenwall 24, Mo, Mi-Fr 10.00-17.00, Sa/So 10.00-18.00, Eintritt 9,50/6,- (ermäßigt)