Hamburg. Die Mezzosopranistin begeisterte im Großen Saal mit ihrem vorwiegend mediterranen Abend – und bediente sich eines Akustik-Tricks.
In die Elbphilharmonie-Gebrauchsanweisung kann nun eine neue Prozedur für den Großen Saal aufgenommen werden: die Jonas-Kaufmann-Prophylaxe-Pirouette. Die funktioniert bei Bunte-Teller-Programmen in jeder Tonart und mit jedem Komponisten. Als Image-Reparaturmaßnahme nach dem bekannten Akustik-Eklat ein kostenneutrales, auch optisch schmückendes Gegenmittel: ein Traum.
Dafür benötigt man neben einem großen Orchester nichts weiter als einen Gesangssolisten oder eine -solistin, die sich beim Arien-Singen – so langsam, dass man die Absicht dahinter kaum bemerkt – regelmäßig in alle Richtungen dreht und wendet, um gleichmäßige Versorgung aller Rangabschnitte mit schönen Tönen zu gewährleisten und das Wiederaufkommen unschöner „Hier hört man nichts!“-Zwischenrufe zu verhindern. Denn Jonas Kaufmanns im Frust-Affekt gemachter Vorschlag einer Drehbühnen-Nachrüstung war zwar hübsch, ist aber komplett unrealistisch.
Wenn Garanca eines kann, ist es: glänzen
Am Sonntag führte die Mezzosopranistin Elina Garanca beispielhaft, hinreißend, mit enormer Selbstverständlichkeit vor, wie elegant und geschickt man diese Zeitlupenrotation ausführen kann, ohne sich dabei auch nur den kleinsten Zacken aus der Diven-Krone zu brechen. Zur Qualitätsprüfung mit eigenen Ohren hatte Intendant Christoph Lieben-Seutter zunächst seinen Stammplatz oben links vor der Bühne verlassen und sich zentral in eine Rangreihe dahinter gesetzt. Im zweiten Teil war er wieder zurück, offenbar zufrieden also. Das konnte er (so weit sich das auf einem Platz direkt seitlich neben der Bühne beurteilen lässt) auch sein, vom ersten bis zum letzten rasant bejubelten Ton.
Wenn Garanca eines kann, ist es: glänzen. In Arien großer Schicksalsgeprüfter – die Eboli aus „Don Carlos“ oder als Adriana Lecouvreur – verdunkelt sie effektvoll ihre Stimme, finstere Gewitterwolken ballen sich da über den Melodielinien zusammen. Doch auch als lyrisch-dramatische Charaktersängerin ist Garanca sensationell. Nichts wirkt erzwungen oder angestrengt, alles fließt.
Dass diese Sängerin es vorzieht, sich eher nicht in den Wirkungsbereich dazu gebuchter Dirigenten zu begeben, wirkt nur so lange speziell, bis man erkennt, wie harmonisch unangestrengt Garanca und ihr Ehemann Karel Mark Chichon synchron Musik zaubern. Der eine weiß da längst, genau und immer, was die andere will. Eine Stärke, dank der man entspannt darüber hinweghören kann, wie sehr Chichons Dirigierstil bei Zwischenspielen ohne Beteiligung der Gattin ins Schmissige geht und wie sehr er die dekorativen Gesten schätzt. Suppès „Leichte Kavallerie“-Ouvertüre wurde eher ein schwerer Aufgalopp. Das NDR-Orchester blieb gelassen, der Umgang mit Verdis Ouvertüren zu „Luisa Miller“ und „La forza del destino“ und dem Intermezzo aus Puccinis „Manon Lescaut“ war innig und geschmeidig. Diese Musik kann man auch weniger inspiriert spielen, als es die NDR Radiophilharmonie aus Hannover hier präsentierte.
Viel Vergnügen mit harmlos sonniger Musik
In der zweiten Konzerthälfte wandelte sich der Charakter des Sortiments. Statt weiterer großer Opern-Monologe holten die Garancas die Zugaben-Schmankerl ins Programm, der Große Saal verwandelte sich in die teuerste Kurkonzert-Konzertmuschel des Kontinents. Die Canzonen und Zarzuelas hatten zwar nicht mehr die dramatisch aufgeladene Fallhöhe einer Verdi- oder Puccini-Arie, das war aber in keiner Weise dem Vergnügen an dieser harmlos sonnigen Musik abträglich.
Auf so hohem Niveau geliefert, werden selbst die berechenbarsten Herz-Schmerz-Beträllerungen zu ganz reizenden Schmachtstückchen. Und dass dieses gern mal leicht machoeske Liedgut nun – und wie! – von einer Frau aus Lettland gesungen wurde, machte den Verfremdungseffekt noch charmanter.
In ihrer ersten Zugabe verfeinerte Garanca die Kaufmann-Pirouette, so viel Show durfte sein, mit einem wirklich ziemlich langen 360-Grad-Triller; die zweite, bei diesem Repertoire so sicher wie das „Hossa!“ bei Rex Gildo: „Granada“. Mehr als 2000 Menschen verließen danach den Großen Saal glücklich, buchstäblich rundum glücklich gemacht.