Hamburg. Die Schauspielerin ist jetzt am St. Pauli Theater zu sehen. Im Interview spricht sie über Lampenfieber und ihr Verhältnis zu Geld.

Vor den Fenstern des St. Pauli Theaters wechselt sich die Nachmittagssonne mit dem Märzregen ab. Eva Mattes’ Lippen sind knallrot geschminkt, vor ihr auf dem Holztisch im Intendantenstockwerk des Theaters dampft ein warmer Tee und schimmert golden. Minze vielleicht oder Kamille. Eva Mattes schaut aufmerksam, spricht mit dieser warmen Eva-Mattes-Stimme, die sich so gut für Hörbücher eignet, lacht immer wieder auf, wenn sie Erinnerungen schildert, manchmal kichert sie hell, fast wie ein junges Mädchen. Den Tee rührt sie kaum an. „Lasst mich in Ruhe!“ lautet der – etwas abweisende – Titel von Ulrich Wallers nächster Premiere, ein Stück von Klaus Pohl, die Endproben laufen. Es ist eine Uraufführung. Eva Mattes spielt Marta, die rumänische Mutter einer herausfordernden Tochter und fällt in dieser Rolle nicht immer die klügsten Entscheidungen. Ein Gespräch über das Mutter- und das Tochter-Sein, über Vertrauen und Premierenangst.

Hamburger Abendblatt: Die Mutter, die Sie hier spielen, will für ihre Tochter nur das Beste. Es ist nur nicht sicher, ob sie immer weiß, was das ist...

Eva Mattes: Man denkt ja, man weiß es. Es hat aber oft mit den eigenen unerfüllten Wünschen und Hoffnungen zu tun. Diese Mutter glaubt, das Glück ist damit gemacht, dass ihre Tochter den „richtigen“ Beruf ergreift, also einen, in dem man viel Geld verdient. Sie tut das voller Überzeugung und voller Liebe. Sie glaubt, man muss es „zu etwas bringen“.

Ihre eigene Mutter hat sie an den Schauspielberuf herangeführt, als Sie noch sehr jung waren. Haben Sie sich nie gedrängt gefühlt?

Eva Mattes: Nie. Ich wollte diesen Beruf unbedingt. Nichts anderes. Meine Mutter hat das unterstützt.

Weiß man mit zwölf Jahren wirklich, was man will?

Eva Mattes: Ja. Ich wusste das schon mit sechs Jahren. Ich habe auch nichts weiter dafür getan, das Bett war gewissermaßen gerichtet, meine Mutter war ja Schauspielerin. Sie war am Theater in München und da hat man mich gesehen. Und der Direktor hat sich an mich erinnert, als sie für eine Produktion ein Kind gesucht haben. Ich habe da mit zwölf Jahren angefangen und seitdem nicht mehr aufgehört. Einmal waren wir in der Diskothek, da war ich 15 Jahre alt, und da hat meine Mutter den Fassbinder angesprochen. Das war mir natürlich peinlich… Er hatte mich aber eh schon auf dem Schirm.

Dass eine 15-Jährige mit ihrer Mutter in eine Diskothek geht, in der Künstler wie Fassbinder verkehren, ist… ungewöhnlich.

Eva Mattes: Meine Mutter war sehr tolerant. (lächelt.) Und selber auch sehr flott. Es war eine Schwulendisco und es war besonders tolle Musik und da sind wir dann halt zusammen hingegangen. Meine Mutter war sehr großzügig und hat meine Schwester und mich sehr frei erzogen.

Offensichtlich...

Eva Mattes: Ich habe ja so viel gearbeitet, dass ich dann auch mit der Schule aufgehört habe. Und dann war ich eben nachts in Diskotheken. Ich hab zwar wahnsinnig gern gearbeitet, zum Beispiel den kleinen Timmy in „Lassie“ synchronisiert und Pippi Langstrumpf. Aber es war Sommer, alle waren im Schwimmbad, nur ich war im dunklen Synchronstudio, manchmal 14 Tage am Stück. Und da hab ich mir halt das Recht herausgenommen, die Nacht in der Disco zu verbringen. Meine Mutter hat das hingenommen. Sie hat schon mal gemurrt, wenn ich erst um drei Uhr oder so nach Hause gekommen bin. Aber sie hat uns vertraut. Das ist das Wichtigste: Kindern zu vertrauen.

Das heißt ja noch nicht, dass man allen anderen um sie herum auch vertraut...

Eva Mattes: Aber wenn man den Kindern vertraut, werden sie gestärkt. Und wenn man ein starkes Immunsystem hat, passiert einem nichts Böses. Es hat schon was mit dem eigenen Auftreten zu tun. Man kann natürlich Pech haben, ist ja klar.

Hätte also auch schief gehen können mitIhnen...

Eva Mattes: Natürlich. Das war mir aber auch schon immer bewusst. Vielleicht wusste ich mit zwölf Jahren noch nicht ganz genau, was ich will - ich wusste aber, was ich nicht will. Keinen Klatsch und Tratsch zum Beispiel, keinen Chichi. Ich wollte mit tollen Leuten arbeiten und hatte das Glück, dass das passiert ist.

Hat Ihre Mutter nie gewollt, dass Sie wenigstens die Schule beenden?

Eva Mattes: Nö. Eine Kollegin von ihr schon. Eva, hat sie gesagt, dieser Beruf kann so schief gehen und dann hast du nichts! Und ich hab gesagt: Das ist mir egal, ich weiß, dass es schon alles gut wird.

Sie müssen ein hohes Vertrauen in sich selbst gehabt haben.

Eva Mattes: Auch das.

Macht es das Spielen eigentlich leichter, wenn Ihnen als Schauspielerin ein Stoff nah ist oder macht es das komplizierter?

Eva Mattes: Tja. Gute Frage. Wenn ich früher Shakespeare geprobt habe, dann hat mir die Sprache, die mir den Stoff ja eigentlich entfernt hat, genau damit geholfen, das realer anzupacken. Weil man noch schärfer hingucken musste. Wenn es einem vermeintlich nah ist, glaubt man, dass alles irgendwie von selbst geht. Und zwischendurch erwische ich mich bei dem Gedanken: Arbeite ich überhaupt?

Schützt Sie die Distanz einer nicht zeitgemäßen Sprache?

Eva Mattes: Nicht unbedingt. Als ich mit Peter Zadek „Antonius und Cleopatra“ geprobt habe, habe ich schon bei der Leseprobe geschluchzt. Weil mir das so nah gegangen ist! Ich konnte mich überhaupt nicht mehr halten.

Im Stück „Lasst mich in Ruhe“!“ ist die Marta Osteuropäerin und spricht mit Akzent. Wie machen Sie das in dieser Inszenierung?

Eva Mattes: Meine Mutter war Ungarin, Akzente sind mir vertraut. Ich mische Rumänisch mit Ungarisch. Die Ungarn betonen immer auf der ersten Silbe und das ist sehr lustig. Ich werde bei den Proben wahnsinnig oft an meine Mutter erinnert! Marta ist ganz anders als sie – aber meine Mutter hat, wie sie, auch wahnsinnig viel geredet.

Proben Sie gern oder sind Sie froh, wenn endlich die Vorstellungen beginnen?

Eva Mattes: Früher mochte ich ganz klar die Vorstellungen lieber. Ich bin eigentlich richtig faul. Ich arbeite ja unglaublich viel, aber ich glaube, ich tue das nur, damit ich nicht faul sein kann. (lacht.) Die Proben fand ich oft lang und anstrengend. Immer dieses Suchen danach, wo alles langgeht... Ich habe zum Beispiel mit 23 Jahren mal bei Zadek die Mutter von Hamlet gespielt. Und Ulrich Wildgruber war der Hamlet, mein Sohn. Da war er Anfang 40 oder Ende 30. Ich habe so lange gebraucht, bis ich diese Rolle gefunden hatte. Ach, das war mühsam. Mittlerweile finde ich beides ganz schön, das Proben und die Vorstellungen. Nur Premieren finde ich schrecklich! Premieren sollte man überspringen.

Das machen Sie doch jetzt sogar am St. Pauli Theater – vor der offiziellen Premiere gibt es schon zwei Vorstellungen vor Publikum.

Eva Mattes: Das nützt gar nichts. Premiere ist Premiere. Und einfach doof.

Was machen Sie denn an einem Premierentag? Haben Sie Rituale?

Eva Mattes: Keine Rituale, es ist immer anders. Manchmal kaufe ich mir etwas, um mir selbst etwas zu schenken… Bei „Der Widerspenstigen Zähmung“ bin ich vorher in den Wald gegangen, um mich zu beruhigen. Und ich habe mir einen sehr schönen Rock gekauft! (lacht.) Wenn man abends Vorstellung hat, ist im Grunde der ganze Tag im Eimer... Man weiß halt: Am Abend findet das eigentliche statt. Ich schlafe immer um vier Uhr nachmittags. Früher, als ich am Schauspielhaus jeden Abend auf der Bühne gestanden habe und jeden Tag Proben hatte, da kam ich um 3 Uhr nachmittags nach Hause, habe den Kindern etwas gekocht, wir haben gegessen – und um vier habe ich mich hingelegt. Um sechs war ich wieder im Theater. Zwischen vier und sechs bin ich immer sehr müde. Das ist nach wie vor so in meinem Rhythmus.

Haben Sie eigentlich je vorsprechen müssen?

Eva Mattes: Ich bin mit 17 ans Schauspielhaus gekommen für den „Stallerhof“ von Franz-Xaver Kroetz. Der Kroetz hatte mich in München auf der Bühne gesehen und in Hamburg angerufen, und Ivan Nagel, der damals am Schauspielhaus Intendant war, hat mir direkt einen festen Vertrag angeboten. Ich habe weder eine Schauspielschule besucht noch musste ich je durch die Provinz noch musste ich je vorsprechen.

Marta kennt das Gefühl, Existenzängste zu haben. Sie also nicht?

Eva Mattes: Nicht so wirklich. Es gab Phasen, da war mein Konto sehr überzogen – aber dann kam auch schon der „Tatort“.

Das ist ja noch gar nicht so lang her.

Eva Mattes: Ja, früher hatte ich das nie. Ich habe ja sehr früh relativ viel Geld verdient. Meine Gage war höher als die normale Anfängergage. Da hatte ich anscheinend ein schlechtes Gewissen und hab immer alle Leute eingeladen. Mein Konto ist ein paarmal ein bisschen...abgerutscht. Aber Existenzängste? So, dass ich mal dachte, es geht nicht weiter? Hatte ich nie. Dadurch, dass ich Theater gespielt habe, gedreht, synchronisiert und gelesen habe und das immer noch tue, hatte ich so viele Möglichkeiten, meinen Beruf auszuschöpfen.