Hamburg. Mikail Akar ist sechs Jahre alt, doch seine Bilder werden bereits für mehrere Tausend Euro verkauft. Ausstellung in Hamburg.
Eine halbe Stunde vor dem offiziellen Beginn der Vernissage ist der Andrang vor Nissis Kunstkantine in der HafenCity bereits groß. Elegant gekleidetes Publikum mit Weingläsern in der Hand steht dicht gedrängt vor der Galerie. Durch die offen stehende Tür ist zunächst kein Durchkommen. Fotografen, Filmteams, Journalisten: Ein riesiger Medienpulk umringt den Star des Abends. Im braunkarierten Sakko, Schuhe und Gürtel farblich aufeinander abgestimmt, das schwarze Haar spiegelglatt zur Seite gegelt, posiert der im Blitzlichtgewitter. Doch dann rennt er plötzlich los, bahnt sich seinen Weg durch die Menschenmenge, springt seiner Mutter in die Arme. Und das ist völlig normal, denn Mikail Akar, um den sich an diesem Abend alles dreht, ist gerade mal sechs Jahre alt.
„Kindergarten-Picasso“ wird der kleine Junge aus Köln genannt, der dabei ist, den Kunstmarkt aufzumischen. Die Ausstellung in Hamburg ist bereits seine fünfte. Für seine Bilder werden mittlerweile vierstellige Beträge bezahlt. Bereits im Alter von drei Jahren habe Mikail angefangen, sich für Kunst zu interessieren, so erzählen es seine Eltern. Mikails Mutter Elvan arbeitet in der Gastronomie, ihr Mann Kerem ist Personaldisponent. Kunst hatte bis dahin in ihrem Leben keine große Rolle gespielt. „Wir sind erst durch ihn zu Experten geworden“, sagt sein Vater und lacht.
Zum vierten Geburtstag, so berichten die beiden, hätten sie Mikail eine Leinwand und Fingerfarben geschenkt. Als Kerem Akar das erste Gemälde seines Sohnes sah, habe er geglaubt, seine Frau hätte es gemalt, einem Vierjährigen traute er es nicht zu. Er postete das Bild auf Facebook und erhielt nicht nur Lob und Anerkennung, sondern auch eine Kaufanfrage. Zum fünften Geburtstag richteten die Eltern ihrem Sohn ein Atelier im Keller ein. Seither produziert Mikail ein Bild nach dem anderen. Dabei benutzt er unterschiedliche Techniken. Er tupft, spritzt, verstreicht mit dem Spachtel und hat neuerdings sogar das Sprayen für sich entdeckt. Auch die Boxhandschuhe seines Vaters hat er schon zum Auftragen von Farbe verwendet.
Entstehungsprozess auf YouTube
Wie die Bilder entstehen, ist auf YouTube zu sehen. Zum Beweis, dass die Bilder wirklich von seinem Sohn gemalt werden, filmt Kerem Akar den Entstehungsprozess der Kunstwerke. „Aber nur, wenn Mikail Lust darauf hat“, betont er. Am Abend der Vernissage hat Mikail irgendwann keine Lust mehr. Bereits seit dem frühen Nachmittag gibt er Interviews, und während die 13-jährige Tochter der Galeristin Nisvican Roloff-Ok zum Auftakt drei Klavierstücke spielt, sitzt der kleine Künstler mit einem Spielzeugauto auf dem Schoß auf einem der Plexiglasstühle im 1. Stock der Galerie und blickt gedankenverloren auf den Trubel unter ihm.
Ein seltener ruhiger Moment an diesem Abend, an dem sich sonst alles nur um ihn dreht. Schließlich steht er auf, schleicht sich die Treppe herunter und verschwindet in der Menge, ehe er mit einer großen Legokiste zurück in den 1. Stock stürmt, wo er sich an einen Tisch setzt – und einfach spielt. Für eine Weile versinkt er in seiner eigenen Kinderwelt, scheint die Aufregung um ihn herum ausblenden zu können.
Während Mikail spielt, fachsimpelt das Kunstpublikum über seine Werke. Eines sehe aus, als sei es von Gerhard Richter, sagt Laudator Bernd Roloff, der Ehemann der Galeristin. „Allerdings wirkt es nicht so miesepetrig und schlecht gelaunt wie bei Richter.“ Und Richter ist nur einer der ganz Großen, mit denen die Bilder von Mikail verglichen werden. Rothko, Pollock, Basquiat – nicht nur an diesem Abend werden sie als Vergleich herangezogen. Wer bislang das Alter des Künstlers nicht kennt, ist bisweilen fassungslos: „Unglaublich, das hätte ich nicht für möglich gehalten“ – dieser Satz fällt mehr als einmal.
Besucher loben die Intensität der Farben
Galeristin Nisvican Roloff-Ok berichtet, sie habe erst von Mikails Alter erfahren, nachdem dessen Vater ihr die Bilder gezeigt hatte. „Ich bin begeistert gewesen, dass ein sechsjähriges Kind so gut malen kann.“ Die Besucher der Vernissage loben die Intensität der Farben, vor allem Mikails sicheres Gespür für Farbstimmungen. „Es ist auch faszinierend, wie viele unterschiedliche Techniken er verwendet“, findet etwa Besucherin Nicola Hemshorn.
Was fehlt, sind Interpretationsansätze. Eine Botschaft, Erlebtes, Durchlittenes gar aus dem Bild eines Sechsjährigen herauszulesen, scheint unmöglich. „Ich erkenne die amerikanische Flagge, einen Fernseher und Eurozeichen in diesem Bild“, sagt Hemshorn über ein Werk mit dem Titel „Jegga“. Doch Kritik am Kapitalismus oder der Politik von Donald Trump – naheliegende Deutungen – hatte Mikail vermutlich nicht im Sinn, als er das Bild malte. Dennoch: Bereits nach anderthalb Stunden sind zehn der 17 ausgestellten Bilder verkauft. Zu Preisen von 790 bis 3130 Euro. „Für mich ist es eine Wertanlage. Ich sehe eine große Zukunft in Mikail“, sagt Käufer Sven Riegel, der spontan eines der Bilder erworben hat.
„Er malt nur, wenn er malen will“, betont Mikails Mutter und wehrt sich damit gegen die zahlreichen Kritiker, die den Eltern Ausbeutung ihres Kindes vorwerfen. Im Sommer wird Mikail eingeschult. Schule sei dann die oberste Priorität, betont Elvan Akar. „Wir sind eben eine ganz normale Familie, wohnen in einer Mietwohnung und essen sonntags Brötchen zum Frühstück.“ Also alles kein Problem? Irgendwann an diesem langen Abend hat Mikail endgültig genug. Er möchte sich nicht mehr fotografieren lassen, blickt mit großen braunen Augen müde in die Gesichter der Erwachsenen. Was er sich zu seinem siebten Geburtstag wünscht? „Lego. Ganz viel Lego“, sagt er.
Und da ist er dann nicht mehr die Kunstsensation. Sondern einfach ein Kind.
Ausstellung Mikail Akar bis 28.2., Mo–Fr 11.00–16.00, So 14.00–17.00, Nissis Kunstkantine, Am Dalmankai 6; www.nissis-kunstkantine.de