Hamburg. Die Einrichtung zeigt mit „Welt im Umbruch. Kunst der 20er-Jahre“ ihre letzte große Ausstellung in den alten Räumen.
Diese Ausstellung kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Auch wenn sie in ihrer Bilderfülle ursprünglich für die zukünftigen Räumlichkeiten des Bucerius Kunst Forums am Alten Wall geplant war und sich nun doch auf die regulären 630 Quadratmeter beschränken muss – „Die Welt im Umbruch. Kunst der 20er-Jahre“ beleuchtet auf spannende Weise die kurze, aber gesellschaftspolitisch wie künstlerisch so prägende Epoche zwischen den Weltkriegen.
Ulrich Pohlmann vom Stadtmuseum München, der zusammen mit Kathrin Baumstark kuratiert hat, beschreibt sie als eine Zeit der Extreme: „Auf der einen Seite Modernität, Technikbegeisterung und unbedingter Fortschrittsglaube, auf der anderen Seite Massenarbeitslosigkeit, Armut und Klassenkämpfe.“ 100 Jahre später scheint die Welt wieder aus den Fugen zu geraten, die Demokratie wird angegriffen, die Rechte erstarkt. Nicht wenige sehen darin Parallelen zur Weimarer Republik. Geschichte wiederholt sich eben.
Deutschland beim Tanz auf dem Vulkan zuzusehen, das hat schon in der TV-Serie „Babylon Berlin“ ganz fantastisch gezogen. In der Ausstellung werden die Extreme anhand von 155 künstlerischen Positionen sichtbar: Barthel Gilles malte ein „Selbstbildnis mit Gasmaske“ (1929/30) und verarbeitete darin sein eigenes Trauma aus dem Ersten Weltkrieg. Georg Scholz schuf sozialkritische Collagen wie „Arbeit schändet“ von 1921. August Sander zeigte in seinen fotografischen Serien das ungeschönte „Gesicht der 20er-Jahre“, vom Notar ebenso wie vom Arbeitslosen oder von blind geborenen Kindern.
Neues Frauenbild
Aktbilder von Sasha Stone (Serie „Femmes“, 1933) oder Karl Hubbuch („Die Drillinge“, 1928/29) präsentieren ein „neues Frauenbild“; Germaine Krull thematisiert in ihren Fotografien gleichgeschlechtliche Liebe zwischen Frauen („Ohne Titel“, 1924). Allen gemein ist ein kühler, fast emotionsloser Stil, der sich auf die authentische Wiedergabe der Wirklichkeit fokussierte: in der Malerei als Neue Sachlichkeit, in der Fotografie als Neues Sehen bekannt.
„Nach dem Ersten Weltkrieg hieß es in der Malerei ,Retour à l’ordre‘, was zurück zur Gegenständlichkeit führte und einen neuen Dialog mit der Fotografie ermöglichte“, sagt Direktor Franz Wilhelm Kaiser. „Damit versuchten die Künstler, der labilen gesellschaftlichen Lage eine neue Ordnung und ein stabiles Fundament entgegenzusetzen.“
In „Kunst der 20er-Jahre“ treffen beide Gattungen nun erstmalig aufeinander: 40 Gemälde, 115 Fotografien und rund 20 Zeichnungen, Collagen und Druckgrafiken in sieben thematische Kapitel unterteilt, vom Stillleben bis zur politischen Montage. Zuweilen fordert die Dichte der Werke, verteilt auf zwei Räume, den Betrachter heraus; allein die vielen unterschiedlichen Formate sind pures Augentraining.
Kuratorisch geschickt ist die Nähe von Aktbildern und Architekturansichten, etwa von Wilhelm Heise, der in „Der Stiglmaierplatz München“ (1935) die nächtliche Stadt als Ort der Gefahr und viel beschworenen „menschen- fressenden Vampir“ darstellt, so Kathrin Baumstark.
Schau als Aufruf zum neuen, bewussteren Sehen
„Die Ausstellung bietet viele Möglichkeiten der Rezeption“, erklärt die Kuratorin weiter. „Man kann sie kunst- oder geschichtshistorisch betrachten, man kann Bezüge zur heutigen Gesellschaft knüpfen oder einfach die Kunstwerke auf sich wirken lassen.“ Die Höhepunkte unter den allesamt geliehenen Exponaten sind „Selbstbildnis im Malkittel“ von Otto Dix (1931), das das Kölner Museum Ludwig ausnahmsweise auf Reisen geschickt hat, sowie Dix’ „Der Juwelier Karl Krall“ (1923) aus dem Von der Heydt-Museum Wuppertal. Von dort kommt auch Christian Schads „Halbakt“ aus dem Jahr 1924, der das Ausstellungsplakat ziert. Die „Gläser“ der Malerin Hannah Höch von 1927 zeigen die ungewöhnliche Perspektive, mit der man vertraute Sehgewohnheiten brechen wollte.
Für Kaiser ist die Hinterfragung der eigenen Wahrnehmung eines der Aha-Erlebnisse in der Ausstellung: „Was wir heute zu sehen meinen, ist durch unser Gehirn gesteuert, das unzählige Eindrücke tagtäglich verarbeiten muss. Wir sollten uns fragen, was wir wirklich sehen, wenn wir ein Bild betrachten. Das ist zum Beispiel im Museum möglich.“
Eine ganz eigene Ästhetik entwickelten Künstler wie der Maler Carl Grassmann, die, ihrer Technikbegeisterung folgend, Industrieanlagen und Fabrikinnenräume abbildeten und so ein Idealbild in die Zukunft warfen. Allerdings nicht naturgetreu, sondern stets sauber und ungewöhnlich menschenleer, was Kritiker auf den Plan rief. Bertolt Brecht etwa sah darin eine geradezu verzerrte Darstellung des Arbeitslebens, da die Bilder weder reale Arbeitsbedingungen noch die Hierarchie in den Unternehmen wiedergaben.