Hamburg. Im Ranking „Liste der 500“ des Magazins „Cicero“ sind Philosophen, Schriftsteller und Informatiker – darunter immerhin 87 Frauen.
„Die Denker lösen die Dichter ab“ titelt „Cicero“, das „Magazin für politische Kultur“, in seiner aktuellen Ausgabe. Untermauert wird der Leitartikel durch das alle drei Jahre veröffentlichte Ranking „Die Liste der 500“. Sie spiegele, so die Redaktion, den geistigen Einfluss der deutschsprachigen Intellektuellen wider und bilde deren öffentliche Deutungsmacht ab, allerdings ohne ihre inhaltliche Qualität zu messen.
Mit Peter Sloterdijk (Platz 1) und Jürgen Habermas (Platz 2) haben sich die meist zitierten und gehörten Philosophen der Gegenwart an die Spitze gesetzt und den Literaten das Zepter abgenommen – die Schriftsteller Enzensberger, Walser und Handke belegen die weiteren Top-Plätze.
Liste wurde 2005 erstmals öffentlich gemacht
Der Ökonom und Politikwissenschaftler Max A. Höfer entwickelte die Methode des Intellektuellen-Rankings und machte seine Liste 2005 erstmals öffentlich. Seine Erhebung bezieht sich auf die vergangenen zehn Jahre. Sie basiert auf der Präsenz in den 160 wichtigsten deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften. Weiterhin werden Zitationen im Internet und Treffer in der wissenschaftlichen Literaturrecherche Google Scholar gezählt. Querverweise im biografischen Archiv Munzinger reflektieren darüber hinaus die Bedeutung der Intellektuellen in Netzwerken.
Man mag Freund oder Feind derartiger Ranglisten sein, und so manche Platzierung (Bergsteiger Reinhold Messner unter den Top 20, Jan Böhmermann unter den Top 50, dazu später mehr, Satiriker Dieter Nuhr auf Rang 210 und sein Kollege Marc-Uwe Kling auf Rang 256) oder eben Nicht-Platzierung überrascht – aber die „Liste der 500“ ist mehr als Name Dropping. An ihr lassen sich die Themen ablesen, die die Gesellschaft am meisten beschäftigen.
Auch Hamburger in der Elite vertreten
So schlägt sich die Krise des Journalismus darin nieder, dass Publizisten weit weniger in der Elite vertreten sind als in den Listen zuvor. Immerhin haben es drei dieser Zunft aus Hamburg recht weit nach oben geschafft: „Welt“-Herausgeber Stefan Aust (beruflich zwar in Berlin, privat aber nach wie vor an der Elbe verortet) schafft es auf Platz 26, ihm folgen „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo (Platz 33) und die Leiterin des „Zeit“-Feuilleton Iris Radisch (Platz 77).
Insgesamt kommen 35 Platzierte aus der Hansestadt oder haben einen Hamburg-Bezug, so etwa Autorin Cornelia Funke (Platz 34), Schriftsteller Wolf Biermann, Florian Illies (Rang 84), seit Januar Chef des Rowohlt-Verlages in Reinbek, und Ulrich Wickert (Platz 105). Schriftstellerin Ulla Hahn hat sich ihren Stammplatz 210 bewahrt. Neu eingestiegen gesellen sich die Kolleginnen Nino Haratischwili (Platz 274) und Dörte Hansen (Platz 281) zu ihr.
Umweltthematik wird immer wichtiger
Waren lange Zeit Literatur und Publizistik tonangebend in der geistigen Landschaft, bekommen ihre Platzhirsche nun zunehmend Konkurrenz durch Naturwissenschaftler, Mediziner und Ökonomen. „Die Natur ist das viel größere Thema als die Kultur“, hat Schriftstellerin Judith Schalansky („Verzeichnis einiger Verluste“, Platz 215) eingestanden. Wie wichtig die globale Umweltthematik ist, zeigen die Belegungen zweier Klimatologen. Zum ersten Mal sind auch Informatiker unter den Top 500. Deutschland – ganz offensichtlich im Umbruch.
Was hat nun ein Datenspezialist mit Denkern im klassischen Sinn wie Habermas und Sloterdijk gemein? Vermutlich eine der intellektuellen Tugenden: Freiheit, Redlichkeit, Leidenschaft, Enthusiasmus, Eigensinn, im besten Fall Nonkonformismus. „Früher fürchteten sich die Menschen davor, das Unwahre zu sagen. Heute fürchten sie sich nur noch davor, mit ihrer Meinung allein zu bleiben“, schreibt Norbert Bolz in „Cicero“ (der Medienwissenschaftler rangiert auf der Liste übrigens auf Platz 139). „Sloterdijk hat den Mut, allein stehen zu können.“
Jan Böhmermann belegt Platz 40
Diesen Mut bewies auch Jan Böhmermann (Platz 40), als er 2016 seine „Schmähkritik“ über den türkischen Präsidenten ergoss und damit eine politische Affäre auslöste. Mut beweisen auch die erste weibliche Herausgeberin der „Wirtschaftswoche“, Miriam Meckel (Platz 46), sowie die meinungsstarke „Panorama“-Moderatorin Anja Reschke (neu auf Platz 391). Drei Protagonisten, die die Verjüngung der Elite anzeigen, wenn auch langsam.
Max A. Höfer beobachtet für 2019 gar einen Austausch der Eliten: Mit 125 Neueinsteigern verbucht die Liste eine Erneuerungsquote von 25 Prozent – so viel wie nie zuvor. Die geistige Erstarrung, die Höfer noch 2005 kritisiert hatte, scheint sich zu lösen.
Erfreulich: Die Frauenquote ist gestiegen
Ebenso erfreulich wie mutmachend ist die stark gestiegene Frauenquote: Standen auf der Premierenliste lediglich sieben weibliche Intellektuelle, sind es in diesem Jahr schon 87. Die Wichtigste unter ihnen ist Schriftstellerin Elfriede Jelinek (Platz 7), dicht gefolgt von der unvermeidlichen Alice Schwarzer (Platz 9) und Juli Zeh (Platz 11), vielfach ausgezeichnete Schriftstellerin und neuerdings ehrenamtliche Richterin am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg. Die wenig konfrontationsscheue Theologin Margot Kässmann kommt auf Rang 18; Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller belegt den 20. Platz unter den 500 klügsten Denkern.
Es scheint, als hätten die Damen endlich ihre Beißhemmung verloren.
Diese Hamburger schafften es in die "Liste der 500"
- Stefan Aust, Herausgeber „Die Welt“ (Platz 26)
- Giovanni di Lorenzo, „Zeit“-Chefredakteur (Platz 33)
- Wolf Biermann, Schriftsteller (Platz 39)
- Iris Radisch, Feuilleton-Leiterin der „Zeit“ (Platz 77)
- Josef Joffe, „Zeit“-Herausgeber (Platz 103)
- Ulrich Wickert, Journalist (Platz 105)
- Thomas Straubhaar, Ökonom (Platz 125)
- Jan Philipp Reemtsma, Publizist (Platz 149)
- Ulla Hahn, Schriftstellerin (Platz 205)
- Matthias Matussek, Journalist (Platz 227)
- Claus Strunz, Journalist (Platz 253)
- Karen Duve, Schriftstellerin (Platz 265)
- Georg Mascolo, Journalist (Platz 319)
- Bastian Sick, Publizist (Platz 343)
- Ulrich Greiner, Publizist (Platz 378)
- Anja Reschke, Journalistin (Platz 391)
- Kirsten Boie, Schriftstellerin (Platz 407)
- Rainer Moritz, Publizist (Platz 418)
- Michael Jürgs, Publizist (Platz 438)
- Karin Beier, Schauspielhaus-Intendantin (Platz 447)
- Brigitte Kronauer, Schriftstellerin (Platz 485)
- Matthias Politycki, Schriftsteller (Platz 497)