Hamburg. Bis zu 150 Jazzkonzerte gibt es monatlich in Hamburg. Oliver Nerlich veranstaltet viele davon; eine Reihe ist besonders erfolgreich.

„Auf einen Kaffee treffen? Gern! Aber bitte nicht zu früh ...“ Oliver Nerlich ist ein Nachtmensch, schon berufsbedingt. Wenn andere längst im warmen Bett liegen, ist für ihn der Arbeitstag noch lange nicht beendet. Dann dreht er sich die vielleicht 20. Zigarette des Tages, lehnt an der Bar im Turmzimmer des Uebel & Gefährlich und hört seine Lieblingsmusik: Jazz, in den Varianten Free und Modern. Bis zu 150 Jazzkonzerte gibt es mittlerweile monatlich in Hamburg, von den glamourösen Gastspielen internationaler Stars in der Elbphilharmonie bis zu den Sessions lokaler Musiker im Hafenbahnhof – und Oliver Nerlich ist fester Bestandteil der Szene.

Seit zehn Jahren schon veranstaltet er regelmäßig Jazzkonzerte, ist gemeinsam mit Saxofonist Gabriel Coburger verantwortlich für die „Fat Jazz“-Reihe, die 2014 im inzwischen geschlossenen Golem an der Großen Elbstraße begann und ins Uebel & Gefährlich an der Feldstraße umgezogen ist. Außerdem hat er Konzerte in der Alten Druckerei in Ottensen gebucht und ist aktuell auf der Suche nach weiteren Orten, an denen seine Lieblingsmusik live gespielt werden kann.

Mehr als 500 Jazz-Abende hat der ­57-Jährige inzwischen organisiert, finanzielle Überlegungen haben für ihn dabei nie eine Rolle gespielt. Das große Geld sei mit Jazzkonzerten ohnehin nicht zu machen, aber darauf komme es auch nicht an. „Ich habe gemerkt, dass ich die Konzerte selbst veranstalten muss, wenn ich diese Musik live hören will“, sagt er. Vor allem Free Jazz entfalte seine Wirkung nicht auf der heimischen Anlage, sondern nur dann, wenn er live gespielt werde. Zwar habe es auch schon mal ein Konzert mit nur zwei Besuchern gegeben („Und einer von ihnen war ein Freund des Musikers ...“), doch wenn Größen wie Pianist Alexander Schlippenbach und Saxofonist Peter Brötzmann kommen oder Hamburger Lokalgrößen von Anna-Lena Schnabel bis Gabriel Coburger spielen, ist das Publikum da.

„Ich bin nicht karrieregeil“

Entspannt sitzt Oliver Nerlich im Backstage-Bereich des Uebel & Gefährlich, der noch die Spuren der letzten Nacht trägt: leere Flaschen und Gläser, Aschenbecher voller Kippen – es ist mal wieder spät geworden, aber „der Vibe hat gestimmt“. Ein wichtiges Kriterium für einen Mann, dem es um Qualität geht, nicht um Image. Das zeigt sich auch in kleinen Dingen wie seiner schwarzen Winterjacke, von der er das Logo entfernt hat, weil ihn der allgemeine Markenfetischismus nervt. Warm soll sie ihn halten, als Statussymbol braucht er sie nicht.

Oliver Nerlichs berufliche Laufbahn begann als Lithograf, später war er auch Reinzeichner, davor Gründer einer Werbeagentur, die unter anderem Kataloge für mittelständische Unternehmen produzierte. Er habe „saugut“ verdient damals, seinen Anteil am Unternehmen nach vier Jahren aber verkauft, weil er den Expansionskurs der anderen Eigner nicht mitgehen wollte. Lieber folgte er seiner Leidenschaft für Musik, und er ließ sich zum Veranstaltungsfachwirt ausbilden. Das Geld stand für ihn schon damals nicht im Vordergrund – heute ist das noch viel weniger so: „Ich bin nicht karrieregeil und sehr zufrieden mit meinem jetzigen Leben.“

Doch auch wenn Nerlich von sich sagt, er sei „keine Rampensau“, die Qualität seiner Jazzreihen ist nicht unbemerkt geblieben. Förderung kommt von der Hamburger Kulturbehörde, den Spielstätten-Programmpreis „Applaus“ konnte „Fat Jazz“ schon dreimal gewinnen, und längst stehen die Bands Schlange, die in diesem Rahmen auftreten möchten. Wohl auch, weil Nerlich als ausgesprochen fairer Geschäftspartner gilt.

Institutionelle Förderung

Während es sonst üblich ist, dass die Musiker nur 60 bis 70 Prozent der Eintrittsgelder bekommen, sind es hier 100 Prozent. Natürlich gibt es eine kleine Gage, werden Anfahrt und Hotelzimmer bezahlt – möglich dank institutioneller Förderung und verschiedener Sponsoren. Wenn am Ende eine schwarze Null steht, ist alles gut, Gewinne erwartet niemand.

Schon gar nicht Oliver Nerlich, der eigentlich in der Nähe des Altonaer Bahnhofs wohnt, zum Abschalten aber immer wieder wochenweise die Stadt verlässt. In Gudow, knapp 60 Kilometer östlich von Hamburg, hat er am Waldrand einen alten Schäferwagen stehen. „Bett, Schreibtisch, Ofen – mehr passt da nicht rein“, sagt er lächelnd. Im Winter sei er besonders gerne da. Dann ist es dort noch ruhiger, noch abgeschiedener als sonst. Ideal, um Kraft zu schöpfen für die nächsten Konzerte, die nächsten Nächte mit dieser Musik, die ihn so sehr mit Energie auflädt. Die ihn gewiss nicht reich, aber immer wieder glücklich macht.