Hamburg. Der scheidende Museumsdirektor Christoph Martin Vogtherr über vertane Chancen und den Job seines Lebens.

Sein bescheidenes Büro im Neubau wirkt schon leer geräumt. Am 31. Januar geht die nur gut zweijährige Amtszeit von Noch-Kunsthallen-Direktor Christoph Martin Vogtherr (54) zu Ende. Nahtlos wird der promovierte Kunsthistoriker den Posten als Direktor der Schlösserstiftung Berlin-Brandenburg antreten. Dem Hamburger Museum fühlt er sich nach wie vor verbunden – was man schon daran merkt, dass Vogtherr von der Kunsthalle noch immer in Wir-Form spricht. Und auch an Ideen, wie das altehrwürdige Haus in die Zukunft geführt werden könnte, mangelt es ihm nicht.

In den vergangenen Monaten hat Ihre Personalie für viel Unruhe gesorgt. Sind Sie froh, dass jetzt Schluss ist?

Christoph Martin Vogtherr: Übergangsperioden sind immer etwas anstrengend, weil sie gleichzeitig Abschied und Neubeginn sind. Wenn man seine Aufgabe ernst nimmt, hat man plötzlich zwei. Die einen erwarten schon etwas, und die anderen können beanspruchen, dass man sich bis zum Schluss in den Dienst des Hauses stellt. Ich bin froh, wenn ich mich wieder ganz auf eine Aufgabe konzentrieren kann.

Ist Ihnen die Entscheidung, die Kunsthalle zu verlassen, leicht gefallen? Haben Sie ein schlechtes Gewissen?

Vogtherr: Die Entscheidung ist mir ausgesprochen schwer gefallen. Und zwar aus einem Pflichtgefühl heraus, das man vielleicht als altmodisch bezeichnen kann. Denn ich wusste, dass ich hier eine Menge unerledigtes Geschäft zurücklassen würde. Sehr unschön war, dass es damals das Informationsleck in Berlin gab. Das hat vieles beschädigt und den Übergang sehr viel weniger konstruktiv gemacht, als er hätte sein können. Ich glaube, dass wir das mittlerweile aber gut aufgefangen haben.

Was hat für Sie letzten Endes den Ausschlag für Berlin gegeben?

Vogtherr: Es war keine Entscheidung gegen die Kunsthalle. Was mich dazu bewogen hat, war, dass meine Biografie ganz genau auf die neue Aufgabe zugeschnitten ist. Ich habe seit meiner Dissertation über die Gründung der Berliner Museen, über höfische Sammlungen und französische Kunst des 18. Jahrhunderts geforscht. Bereiche, die in Potsdam neben Denkmalpflege und Geschichtsbildern unmittelbar in der Grundaufgabe verankert sind. Wahrscheinlich ist es die einzige Institution weltweit, die mir diese Chance bieten kann.

Finanzielle Schieflagen wie zuletzt an der Kunsthalle werden Sie an Ihrer neuen Wirkungsstätte wohl nicht mehr haben.

Vogtherr: In Potsdam wird auch in Zukunft sehr viel Geld fließen, das ist sehr positiv. Das Sonderinvestitionsprogramm von Bund und Ländern wird fortgeführt. Nach den ersten 200 Millionen Euro stehen im kommenden Jahr weitere 400 Millionen Euro zur Verfügung.

Erleichtert Sie das?

Vogtherr: Ja, ansonsten ist das eine tickende Zeitbombe. Es war auch einer meiner großen Erfolge hier in Hamburg, dass wir Ende vergangenen Jahres Bundesmittel genehmigt bekommen haben, um dringend anstehende Modernisierungen und die Erweiterung von Bibliothek, Archiv und Kupferstichkabinett durchführen und so an den europäischen Standard anschließen zu können.

Beim Blick hinter die Fassade hatte man schon seit Längerem den Eindruck, dass es im Getriebe knirscht. Von einer Frustration vieler Kuratoren war immer wieder die ­Rede. Haben Sie davon etwas mitgekriegt?

Vogtherr: Dieser Eindruck ist richtig. Im Moment erleben wir einen großen Umbruch, nicht nur in der Kunsthalle, sondern in vielen deutschen Kunstmuseen. Die Häuser müssen sich dramatisch umorientieren und ihr Verhältnis zur Öffentlichkeit überdenken. Die Anforderungen an die Ausstellungskonzeption haben sich ebenso wie das Besucherverhalten grundlegend verändert. Wir sind mittendrin in dieser Erneuerungsphase. So etwas ist nie einfach, aber notwendig und am Ende fruchtbar für alle Seiten.

Was bedeutet das für die Kunsthalle?

Vogtherr: Das Museum und seine Leitung haben eine große Aufgabe zu erfüllen. Zurzeit befinden sich die Kunstmuseen in einer Testphase, in der sie Mut zum Experimentieren beweisen müssen. Das Ziel ist, ein viel offener gefasstes, großzügigeres Haus zu sein – eine neue Art eines Museums. Mit der Töpfer-Stiftung und der Körber-Stiftung haben wir gute, kritische, freundliche Begleiter, die uns bei diesem Prozess mit Fortbildungen, Diskussionen und ihrem Engagement unterstützen. Wichtige Partner sind in diesem Bereich auch die Commerzbank- und die Nordmetall-Stiftung. Mit dem Transparenten Museum ist schon ein wichtiges Angebot vorhanden.

Das Markk hat seinen Erneuerungsprozess sehr viel radikaler eingeleitet. Wäre das nicht auch für die Kunsthalle notwendig?

Vogtherr: Viele Hamburger lieben die Kunsthalle so, wie sie ist. Wir wollen niemanden ausladen, sondern neue Besucher einladen. Das Ziel muss radikal sein, aber auf dem Weg dorthin sollte man große symbolische Schnitte sparsam einsetzen – innerhalb des Hauses und in der Stadt.

Es gab auch Kritik von ehemaligen Mitarbeitern, die die Bildungsvermittlung weit weg vom Gründungsgeist Alfred Lichtwarks sehen.

Vogtherr: Das ist der Bereich, wo ich mit dem besten Gefühl gehe. „Open Access“ und „Mein Blick auf die Sammlung“ sind Lichtwark-Experimente für heute. Sein radikaler Ansatz war: Was muss die Kunsthalle tun, um ein Bürgermuseum zu sein? Lichtwark hat damals sehr vorurteilsfrei auf die Stadt geblickt; er hatte sogar vor, Zweigstellen der Kunsthalle in den Arbeitervierteln aufzubauen. An Lichtwarks Fragestellungen orientieren wir uns eng – und versuchen, Antworten für das 21. Jahrhundert zu geben.

Von dieser Vision ist die Kunsthalle momentan ja sehr weit entfernt ...

Vogtherr: Das stimmt. Aber das ist der Weg, den wir seit zwei Jahren wieder einzuschlagen versuchen. In Museen wird sich künftig viel mehr um Partizipation und das Bedienen vieler unterschiedlicher Bedürfnisse drehen. Dazu habe ich meinen Teil beigetragen.

Ihr Vorvorgänger Uwe M. Schneede sprach im Abendblatt-Interview von strukturellen Problemen und einer zu großen Bürokratie, die den Umschwung hemmen.

Vogtherr: Antragswesen und detaillierte Kontrolle – unter dem verordneten kleinteiligen Arbeiten leiden die meisten Museen. Viele Prozesse könnten verschlankt werden.

Fühlten Sie sich von der Stadt, insbesondere der Kulturbehörde, nicht gut behandelt?

Vogtherr: Es ist absolutes Recht und die Pflicht der Stadt, uns zu sagen, was sie von uns erwartet. Aber in der Tat fand ich es befremdlich, dass man Externe holt, die die Ausstellungspläne beurteilen. Man sollte schon etwas mehr Vertrauen in die Expertise der eigenen Direktoren legen. Das betrifft übrigens auch den Innovationsfonds der Stadt: Die Direktoren und Mitarbeiter wüssten selbst ganz gut, was wir mit dem Geld anstellen müssen, um ans Ziel zu kommen.

Das Ausstellungsprogramm zum 150. Geburtstag der Kunsthalle sieht keine richtigen Höhepunkte vor. Dabei wäre das Ihre Chance gewesen, zum Abschied noch einmal richtig zu glänzen.

Vogtherr: Das Programm weist eine große Spannbreite auf: mit der dänischen Malerei im klassischen Bereich, der kritisch-zeitgenössischen Auseinandersetzung mit KP Brehmer bis zu Goya, Fragonard und Tiepolo, womit wir international ausholen. Da sehe ich keinen Grund, das Programm zu relativieren; darauf sind wir alle sehr stolz im Haus. Im zweiten Schritt hätten wir uns eine Neupräsentation der ständigen Sammlung vorgenommen. In dieser Situation wäre es aber nicht sinnvoll gewesen, etwas so Großes zu starten, was eventuell nicht vom Nachfolger weitergeführt wird. Ein Programmteil des Jubiläumsjahres wurde also zunächst auf Eis gelegt.

Blockbuster wie zuletzt Mark Rothko in Ihrem Haus oder auch Tutanchamun in der ehemaligen Oberpostdirektion, mit denen man große Massen ins Museum lockt, fehlen – allerdings auch in vielen anderen Häusern. Woran liegt das?

Vogtherr: Das ist eine große Diskussion unter den Museumsleitern. Zum einen gibt es immer weniger Blockbuster. Zum anderen ist es immer schwieriger vorhersehbar, was ein Blockbuster werden könnte. Bei manchen Projekten anderer Häuser zu prominenten Künstlern hätte ich wetten können, dass sie sehr gut laufen. Das hat sich aber nicht immer eingelöst. Da viele Kunstwerke ständig in Bewegung sind, ist es kaum mehr für ein einzelnes Haus möglich, in ganzer Breite und Tiefe auszustellen. Und gegen das Budget von so manchem Privatmuseum für Marketing und Leihgaben kommt man nicht heran.

Ist es dann nicht noch wichtiger, das eigene Profil zu schärfen, das Museum als Marke zu etablieren? Im Fall der Kunsthalle also den Akzent auf regionale Künstler und Kunst des 19. Jahrhunderts zu legen?

Vogtherr: Jein. Was man gut in Paris beobachten kann: Das Petite Palais hat sich mit der Spezialisierung auf Kunst um 1900 eine sehr treue Gefolgschaft geschaffen. Aber bei sechs Millionen Besuchern jährlich kann sich das die Stadt auch leisten. Eine zu enge Profilierung würde der Kunsthalle allerdings nicht guttun, denn wir wollen für viele ein Ort sein. Aber die Ausstellung „Hamburger Schule“ ab Mitte April ist eine gute Chance, um das 19. Jahrhundert und die Hamburger Kunst neu zu entdecken.

Bei dem Thema hätte man ja ruhig mal etwas moderner denken können, etwa die Kunst mit Musikern der heutigen Hamburger Schule verbinden. Oder ist das nicht kunsthistorisch genug?

Vogtherr: Was bei einer solchen Gattungs­mischung herauskommen muss, ist, dass am Ende die Summe größer ist, als die einzelnen Teile. Vielleicht hätte es geklappt. Wir müssen eben immer von der Kunst ausgehend denken. Ich gebe Ihnen völlig recht, dass wir hier auch soziale Räume schaffen sollten, die dafür sorgen, dass sich das Museum anders anfühlt. An anderen Häusern laufen zum Beispiel Jazzabende sehr gut, die zunächst nicht direkt mit der ausgestellten Kunst zu tun haben. So etwas ist absolut nicht ehrenrührig. Unser vielfältiges Programm an den langen Donnerstagabenden mit verbilligtem Eintritt läuft zum Beispiel sehr gut.

Was nehmen Sie aus Ihrer Zeit in Hamburg mit, was werden Sie vermissen?

Vogtherr: Etwas, was mich sehr positiv überrascht und wirklich begeistert hat, ist das besonders gute Verhältnis unter den Museumsdirektoren. Aus dem Austausch zwischen den Häusern habe ich sehr viel gelernt. Das ist etwas, was in Hamburg außergewöhnlich gut funktioniert und ein großes Kapital der Stadt ist. Aus London kannte ich das zum Beispiel nicht. Da sind viel mehr Politik und Konkurrenz im Spiel.

Hamburger Kunsthallendirektor zu sein ist ein attraktiver Posten – stimmen Sie zu?

Vogtherr: Die Kunsthalle ist ein sehr attraktives Haus. Sie hat loyale und tatkräftige Freunde. Und sie hat eine enorme ­Bedeutung, gerade im nordeuropäischen Raum.