Hamburg. Im neuen Workshop-Format „Mein Blick“ dürfen die Museumsbesucher selbst eine Ausstellung kuratieren – und die ist richtig gut gelungen.

Dass Schönheit im Auge des Betrachters liegt, ist ein alter Hut. Dass dies auch auf die Kunst zutrifft, beweist ein neues Format, mit dem die Hamburger Kunsthalle von heute an Mut beweist. Mut zur Öffnung nach außen. Seit Gründung 1869 war es das ausgesprochene Privileg der Kuratoren, Ausstellungen zu kuratieren. Mit „Open Access“ 2017 wagte man sich schon einmal an ein Experiment und ließ eine Gruppe von Geflüchteten eine Ausstellung entwickeln – ein großer Schritt für die Kunsthalle, ein kleiner, was die Besucherzahlen anging, leider. Nun, im 150. Geburtstagsjahr des Museums, ist ein neues Format der Bildungsvermittlung am Start: „Mein Blick auf die Sammlung“.

Kunsthalle und Körber-Stiftung luden 17 Hamburgerinnen und Hamburger im vergangenen Sommer zu einem mehrtägigen Workshop ein, um ihre persönliche Sicht auf ausgewählte Werke zu schildern, um Exponate aus dem Depot zu ergänzen und damit drei Ausstellungsräume zu bespielen. Darunter waren eine Gruppe von Mitgliedern der Handwerkskammer, Freunde der Kunsthalle und Mitglieder der Interessengemeinschaft Steindamm. „Ein Museum muss sich mindestens einmal pro Dekade verändern“, sagte Direktor Christoph Martin Vogtherr bei der Pressekonferenz am Donnerstag, an seinem vorletzten Arbeitstag an der Kunsthalle. Einen „Perspektivwechsel“ im Geiste des radikalen Denkers Alfred Lichtwark wolle man erreichen, um „Antworten für das 21. Jahrhundert“ zu finden.

Ergebnis ist geglückt

Das Ergebnis dieses Ausstellungsexperiments ist geglückt: Die Mini-Schau in Petersburger Hängung bildet einen spannenden Bruch in der Dauerausstellung. Im Zentrum die drei Gemälde, die den Ausgang der Beschäftigung und Diskussion bildeten, ausgewählt von den Kuratoren Sandra Pisot, Karin Schick und Markus Bertsch: ­Gerard van Honthorsts „Solon vor Krösus“ (1624), Lawrence Alma-Tademas „Das Fest der Weinlese“ (1871) und Max Beckmanns „Odysseus und Kalypso“ (1943).

„Es war eine großartige Erfahrung, sich so lange und intensiv mit einem Gemälde auseinanderzusetzen und mit den anderen Teilnehmern darüber zu diskutieren“, sagt Anke Kirch, die mit der IG Steindamm den Max-Beckmann-Raum gestaltet hat. Rund um das „spannungsreiche“ Werk gruppieren sich Bilder der Ruhe: das „Elternschlafzimmer“ von Almut Heise, das „Schachspiel“ von Paul Kayser. Auf einem kleinen Bildschirm läuft eine getanzte Video-Performance des Künstlerehepaares Annamaria und Marzio Sala. „Das Arrangement zeigt auch das Spiel der Geschlechter“, so Anke Kirch.

Workshop-Teilnehmer diskutieren ihre Werkauswahl.
Workshop-Teilnehmer diskutieren ihre Werkauswahl. © Hamburger Kunsthalle

Im Gemälde „Das Fest der Weinlese“ fanden die Mitglieder der Handwerkskammer Hinweise auf eine Zweiklassengesellschaft; eine Hamburger Schuhmacherin guckte sich die Schuhmode von damals ganz genau an und war von der Darstellung der Weiblichkeit fasziniert. Auch für Inge Gollnow-Wöhler, die den Freunden der Kunsthalle angehört, war der Workshop ein Aha-Erlebnis: „Ich werde mich künftig viel stärker auf wenige Werke konzen­trieren. Es würde dem Museum guttun, das Konzept der aufgebrochenen Chronologie im ganzen Haus fortzusetzen.“

Postkarte regt zum Nachdenken an

Ausgehend vom Gemälde „Solon vor Krösus“ entschied sie sich zusammen mit den anderen Freunden, Reichtum und Armut zu thematisieren. „Durch mehrere Kilo Ausstellungsverzeichnis“ mit Schwarz-Weiß-Fotografien arbeiteten sich die Teilnehmer und fanden am Ende das für sie Passende. So flankieren nun ein überdimensionierter Ohrring von Nicole Wermers und der Filzanzug von Joseph Beuys das Historienbild, und es steht eine Schubkarre mit Kronleuchter davor, „Arbeit im Reichtum“ von Stephan Huber. Wer mag, hört sich einen Auszug aus der Oper „Croesus“ von Reinhard Keiser aus dem Jahr 1711 an, die in Hamburg uraufgeführt wurde.

Auch für die Informationsmittel waren die Gruppen verantwortlich. Eine Postkarte regt zum Nachdenken über die Werke an: Was ist hier los? Worauf fällt Ihr Blick? Wohin schweift er weiter? Wo verweilt er letztendlich? Mixed Media, spannende Oberthemen, Bezüge zum Gestern und Heute – „Mein Blick“ hat alles, was eine zeitgemäße Ausstellung braucht. Experiment geglückt.

„Mein Blick“ bis 19.5., Kunsthalle (U/S Hbf), Glockengießerwall 5, Di–So 10–18, Do 10–21, Eintritt 14,- (erm. 8,-)