Hamburg. Im Kupferstichkabinett des Museums lagern besondere Werke des Meisters. Doch nur sehr wenige Menschen können sie bewundern.

2019 gehört Leonardo da Vinci. Die ganze Welt feiert das 500. Todesjahr des größten Universalgenies unserer heutigen Zeit, den Wegbereiter der modernen Malerei, den Super-Erfinder. In Mailand begeben sich Touristen auf die Spuren des Renaissance-Künstlers, der Pariser Louvre zeigt eine Großausstellung, die alle Leonardo-Gemälde vereint – Höhepunkt des europaweit begangenen Gedenkjahres. Auch Hamburg hätte guten Grund, dieses große Jubiläum mitzufeiern. Denn vier der fünf in Deutschland überhaupt existierenden Zeichnungen befinden sich in der Hamburger Kunsthalle.

Der Kunsthändler Georg Ernst Harzen erwarb diesen außergewöhnlichen Bestand in der Zeit zwischen 1838 und 1854. Nach seinem Tod ging sein Nachlass 1869 mit mehr als 30.000 Blättern an die just gegründete Kunsthalle, an deren Bau er auch maßgeblich mitarbeitete. Die damalige Sammlung Harzen-Commeter legte den Grundstock für das Kupferstichkabinett.

Auch das vermeintlich Hässliche war wichtig

Doch halt, wer sich jetzt zum Glockengießerwall aufmachen will, um echte Leonardo-Meisterwerke anzusehen: Die befinden sich im Lager des Kupferstichkabinetts, sind also nicht öffentlich ausgestellt. Normalerweise können sich Besucher auf Anfrage individuell Zeichnungen und Druckgrafiken im Kabinett vorlegen lassen. Bei Leonardo da Vinci ist das leider nicht möglich. „Es wird jedoch in der ersten Jahreshälfte einen anmeldepflichtigen ,Werk der Woche‘-Termin geben, bei dem wir eine Auswahl der Leonardo-Arbeiten zeigen werden“, sagt Kunsthallen-Sprecherin Mira Forte.

Es handelt sich um empfindliche und äußerst wertvolle Papierarbeiten, zum Beispiel die „Studien zu einer Anbetung der Hirten“, die auf die Zeit um 1480 datiert sind. Das 17 mal 11 Zentimeter große, mit wenigen Federstrichen gezeichnete, violett präparierte Papier ist einer der kostbarsten Schätze des Kabinetts.

Suchende Zeichentechnik

Der „Hl. Sebastian“, eine 17 mal 6 Zentimeter große Federzeichnung in Braun über Bleigriffel (1478–1483), soll Leonardos suchende Zeichentechnik veranschaulichen. Der Künstler beschäftigte sich mehrfach mit der Figur des sehr populären Heiligen. Es ist möglich, dass die Zeichnung als Vorstudie für ein privates Andachtsbild oder ein Altarbild angefertigt wurde. Die Arbeit wird im Herbst in der Leonardo-Schau des Louvre in Paris gezeigt werden.

Das berühmteste Lächeln der Kunstgeschichte: „Mona Lisa“.
Das berühmteste Lächeln der Kunstgeschichte: „Mona Lisa“. © Getty Images

„Kopf eines alten Mannes oder einer alten Frau im Profil“ (um 1495– 1505, etwa zehn mal acht Zentimeter) ist gerade aus dem Teylers Museum im niederländischen Haarlem zurückgekehrt. Die Arbeit ist exemplarisch für das physiognomische Interesse des Malers. Die Konturen von Hals, Gesicht und Haaransatz wurden zur Übertragung mit der Nadel gestochen. Leonardo (oder einer seiner Schüler) hielt auf diese Weise die Facetten des menschlichen Gesichts systematisch zeichnerisch fest. Dabei sollten keineswegs nur Schönheit und Harmonie dargestellt werden, sondern auch das vermeintlich Hässliche und Deformierte.

Zeichnerische Schwächen des Künstlers

„Aristoteles und Phyllis (Cam­paspe?)“ ist eine Federzeichnung in Braun über Metallstift auf blaugrauem Papier, die auf das Jahr 1475 datiert ist. In dem etwa 9 mal 13 Zentimeter großen Blatt thematisiert Leonardo die Macht der Frauen über die Männer. Der am Boden kriechende Mann ist der berühmte griechische Philosoph Aristoteles (384–324 v. Chr.). Gleich zwei Legenden berichten davon, dass er eine Frau auf seinem Rücken reiten ließ: zum einen seine schöne Geliebte Phyllis als Dank für ihre Wohltaten, zum anderen Cam­paspe, die Geliebte seines Schülers Alexander der Große. Die Figuren zeigen zum einen noch zeichnerische Schwächen des Künstlers, zum anderen Einflüsse seiner Lehrmeister Antonio Pollaiuolo und Andrea del Verrocchio.

Leonardos „Studien zu einer Anbetung der Hirten“ zählen zu den kostbarsten Schätzen des Kupferstichkabinetts. Sie wurden mit Feder in Schwarz über Metallstift auf violett präpariertem Papier gezeichnet.
Leonardos „Studien zu einer Anbetung der Hirten“ zählen zu den kostbarsten Schätzen des Kupferstichkabinetts. Sie wurden mit Feder in Schwarz über Metallstift auf violett präpariertem Papier gezeichnet. © Christoph Irrgang

Mit dem „Kopf eines Greises im Profil nach links“ beherbergt die Kunsthalle auch die Zeichnung eines Leonardo-da-Vinci-Nachfolgers. Bei der acht mal knapp sieben Zentimeter großen Rötel-Zeichnung handelt es sich höchstwahrscheinlich um eine frühe Kopie einer verlorenen Arbeit aus dem engen Umfeld des Meisters.

„Jünglingskopf im Profil nach rechts“ wurde als Leonardo-da-Vinci- Werk erworben, später aber einem Nachahmer zugeschrieben. Das gut 9 mal 9 Zentimeter große Blatt ähnelt den Porträts, die der Meister von seinem Mitarbeiter und Freund Salai angefertigt hatte. Es wird in diesem Jahr noch in die Gallerie dell’Accademia in Venedig reisen.

Informationen zu den Zeichnungen gibt das Kupferstichkabinett , T. 040/428 13 12 00, www.hamburger-kunsthalle.de