Hamburg. Sol Gabetta präsentierte das Weinberg-Konzert und Camille Thomas brillierte mit Saint-Saëns.
Wie schön, wenn eine Solistin so sehr mit sich und ihrem Ton im Reinen ist, wie es der Cellistin Camille Thomas vergönnt ist. Die internationalere Karriere der Französin hat im letzten Jahr Fahrt aufgenommen; seitdem ist sie von Saal zu Saal unterwegs, und für diese Art von Erfahrungs-Sammlung gibt es wenig geeignetere Tour-Vehikel als das a-Moll-Konzert von Saint-Saëns: Kaum ein Abschnitt, in dem der Solo-Part nicht schwelgen kann und brillieren muss; wenig Überflüssiges aus der Abteilung undankbare Fingersatz-Feinmechanik; alles ist so behutsam in den Orchestersatz gebettet, als wäre es ein Collier aus Noten, maßgefertigt an der Place Vendôme.
Mit einem Satz: Beeindruckendes Debüt, dieser Auftritt. Denn Thomas’ Spiel war, und auch das will erstmal geleistet sein, die reine Freude am Wohlklang, am Vollbad in der Musik. Unbequeme oder gar letzte Wahrheiten verlangt dieses Stück ja auch gar nicht. Dass alles so gut lief, wie es lief, hatte die Solistin aber auch der Gast-Dirigentin des Philharmonischen Staatsorchesters zu verdanken, die ähnlich konsequent auf Vergnügen auf hohem Niveau abzielte. Alondra de la Parra.
Begleitung dezent und doch stets mitaufblühend in der Spur
Muss man noch nicht kennen, diesen Namen, sollte man sich aber schon merken. Klare gestische Ansagen, kein exaltiertes Selbstdarstellen, stattdessen geschmeidiges Wegweisen, an den Haken und Ösen der Partituren entlang. Sie hielt die Begleitung dezent und doch stets mitaufblühend in der Spur, ansonsten ließ sie der Solistin den Vortritt, und Thomas genoss diesen Freiraum. Als Zugabe spendierte sie ein Dessert mit ähnlich noblem Aroma wie das Hauptwerk von Saint-Saëns: „Les larmes de Jacqueline“, ein apartes, kaum bekanntes Salonstückchen des Ex-Cellisten Jacques Offenbach.
Als Vorahnung dieser Leistung hatte de la Parra Strawinskys Pulcinella Suite zu einer ersten Lektion in Disziplin und Klangbewusstsein gemacht. Satz für Satz nahm sie die romantisierende Weichheit aus dem Orchesterklang, der sich als Erinnerung an die Galanterien Pergolesis im 18. Jahrhundert verkleidet hatte. Die Philharmoniker-Bläser dankten ihr die Vorzugsbehandlung mit treffsicheren Soli.
Cello-Gastspiel am Vorabend beginnt mit einer Panne
Nach der Pause verblüffte die Mexikanerin mit einem Werk eines Mexikaners: Silvestre Revueltas’ „La Noche de los Mayas“, 1939 als Filmmusik geschrieben Bruder im Geiste von Strawinskys „Sacre“-Eruptionen und ein Stresstest, bei dem mehr als ein Dutzend Schlagzeuger im Orchester mit dem archaischen Druck alle Hände voll zu tun haben. Nicht immer kamen hier die vertrackten Rhythmen mit jener präzisen Lässigkeit, in die man geboren sein sollte. Doch das ließ sich angesichts dieser Entdeckung leicht verschmerzen.
Das Cello-Gastspiel am Vorabend – andere Solistin, spezielleres Stück – hatte mit einer kleinen Panne begonnen: Es gab keine Programmhefte für das Publikum im Großen Saal (und auch keine Informationen zu Werken und Künstlern auf der Pro-Arte-Website). Dem spannenden Konzert mit dem exzellenten Orchester und seinem nicht minder exzellenten Chefdirigenten Mikko Franck tat dieses Defizit allerdings keinen Abbruch. 39 Jahre jung ist der Finne aus der Schule des legendären „Dirigenten-Machers“ Jorma Panula. Der Mann weiß genau, was er will. Viele Bewegungen benötigt Franck nicht. Er hat Autorität, an wichtigen Schaltstellen gibt er klare Zeichen. Die Proben müssen extrem effektiv sein. Denn was Franck an struktureller Klarheit aus dem auch technisch hervorragenden französischen Radio-Orchester herausholte, faszinierte. Dazu kamen ein wohlbalancierter Aufbau von Dynamik und Spannung.
Ein wunderbarer Klangteppich für die Solopassagen der Violine
Das gilt vor allem für den zweiten Teil des Konzerts. Der Anfang mit Paul Dukas’ berühmtem „Der Zauberlehrling“ nach Goethes Ballade klang noch ein wenig verhalten auf Sicherheit. Doch schon hier mischte Franck die Farben wie ein wahrer „Hexenmeister“. Strauss’ „Tod und Verklärung“ nach der Pause lebte vom warmen Sound der Blechbläser, den fein herauskristallisierten Holzbläsern, dem wunderbaren Klangteppich für die Solopassagen der Violine. Ravels „La Valse“, diese grotesk-humoristische Verzerrung von Wiener Walzer-Seligkeit, hatte unglaublich eleganten Charme, packende dynamische Höhepunkte und mehr.
Star-Cellistin Sol Gabetta präsentierte vor der Pause das unbekannte c-Moll-Cellokonzert von Mieczysław Weinberg (1948), ein lohnendes Werk im düsterem Tonfall russischer Tragik. Die zarten, klagenden, traurigen und weitgespannten Melodien hätte man sich durchaus mit kräftigerem, tragenderem Ton im Solopart vorstellen können. Das Zusammenspiel mit Franck und dem Orchester, das auch hier attraktive Flöten- und Trompeten-Soli hatte und auch mal mit einem sarkastischen Tänzchen aufwartete, ließ aber keine Wünsche offen.
Aktuelle CDs: Sol Gabetta / Bertrand Chamayou „Schumann“ (Sony Classical,
ca. 16 Euro). Camille Thomas „Saint-Saëns / Offenbach“ (DG, ca. 9 Euro). Das Philharmoniker-Konzert wird heute, 20 Uhr, wiederholt. Camille Thomas signiert danach CDs im Foyer. Restkarten evtl. an der Abendkasse.
Am 28.1. spielt Sol Gabetta Elgars Cellokonzert mit dem Royal Philharmonic Orchestra.
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