Hamburg. Und auch sonst lernt das Publikum in einer ganz neuen Fassung des bekannten Stoffs so manches über Haltung und Gerechtigkeit.
Von den Reichen nehmen, den Armen geben. Umverteilung. Versteht jedes Kind, findet jedes Kind gerecht. Mit dem „Robin Hood“-Stoff verhält es sich also ein bisschen wie mit dem Bierdeckel von Friedrich Merz, nur spiegelverkehrt. Wer das Konzept (Vermögens-)Steuer seinem Nachwuchs auf höchst unterhaltsame Weise näherbringen und ganz nebenbei auch noch den Geist von Europa, gendergerechte Sprache, Gleichberechtigung und den Hashtag #WirSindMehr abhandeln will, dem sei der Besuch des aktuellen Familienstücks im Schauspielhaus wärmstens ans Herz gelegt. Uff? Nur keine Scheu!
In „Robin Hood“ packen Markus Bothe (der auch für die Regie verantwortlich ist) und Dramaturgin Nora Khuon all diese Themen in eine Inszenierung für Kinder ab acht Jahren - und siehe da, es ist kurzweilig, verspielt, aufgekratzt, liebevoll und sehr lustig. Und zwar für Kinder und mitgebrachte Eltern (streckenweise sogar: für die erst recht). Und ganz nebenbei lernt der junge Theaterbesucher, was es heißt, Haltung zu zeigen.
Ein bisschen Ronja Räubertochter, ein bisschen Pippi Langstrumpf
Robin ist, das ist die vielleicht auffälligste Änderung zum bekannten Stoff, in dieser Fassung ein Mädchen. Sie ist plietsch, flink mit Pfeil und Bogen, mutig und frech. Ein bisschen Ronja Räubertochter, ein bisschen Pippi Langstrumpf, von Tabitha Frehner voller Energie, Frische und Spaß gespielt. „Das Leben ist kein Pferdeschlecken“, muss sie früh lernen, als der böse Guy von Gisborne (hingebungsvoll gemein: Michael Wittenborn) erst ihren Vater ermordet und dann den mit Kreuzzügen abgelenkten König Richard Löwenherz und dessen eher schlichten Bruder ausbootet, um sich schließlich selbst auf den Thron zu putschen.
Mithilfe einer Sheriffin, die auch dann auf die weibliche Form besteht, wenn man sie als Versager („Versagerin!“) beschimpft und ansonsten mit viel Überbiss und wenig Grips beschenkt ist, spinnt Gisborne Intrigen und knechtet das Volk. Katja Danowski darf als Sheriffin von Nottingham dem Affen so richtig Zucker geben, überhaupt hat das Ensemble sichtlich Spaß am wilden Spiel auf der Drehbühne, an den hemmungslos überzeichneten Typen, den Schwertkämpfen, den großzügig eingestreuten Anspielungen („Expelliarmus!“), Wortspielen und Kalauern. Als Will Scarlett (Samuel Weiss), einer der Rächer der Enterbten, an einem Ufer steht und das Publikum bittet, beide Arme in die Höhe zu halten und langsam zu schwenken, ergibt das nicht nur eine poetische Wasserbewegung im Parkett, sondern auch eine Steilvorlage: „Wie schön, der ÄRMELkanal!“
Noch eine weitere Frau in Führungsposition
Und nicht nur Robin Hood, auch Bruder Tuck ist hier eine coole Schwester Tuck (Anne Müller), Anführerin einer Gruppe von Vogelfreien. Noch eine Frau in Führungsposition also, die sich allerdings - anders als Robin, die sich als Junge tarnt - ständig schlagfertig an den dämlichen Rollenklischees ihrer Gefährten (darunter drei Live-Musiker) abarbeiten muss. Am Ende, na klar, zählt die Gemeinschaft mehr als das Vorurteil, der lässige Song „Living in the woods“ (Musik: Biber Gullatz) bleibt einem als Ohrwurm erhalten, der entmachtete Guy von Gisborne muss einen Tunnel von England nach Europa graben und das Team erntet reichlich Premierenjubel. Um den Brexit kümmert sich dann das Weihnachtsmärchen im nächsten Jahr.
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