Hamburg. Tenor und Entertainer Rolando Villazón begeisterte das Publikum im Großen Saal. Probleme mit den höheren Lagen? Und wenn schon!
Von Rolando Villazón bloß als Tenor zu erzählen, wäre nur die halbe Wahrheit. Höchstens. Denn das mexikanische Multitalent hat mehr zu bieten als Musik. Bei seinem Elbphilharmonie-Debüt plauderte er zwischendrin, in sehr charmantem Deutsch, als Teilzeitmoderator; er demonstrierte, vor allem gegen Ende, sein Clownsnaturtalent – und er wickelte sein Publikum als begabter Menschenfänger um den Sängerfinger.
Ob Villazón breitbeinig auf die Bühne stiefelt, als würde er statt schickem schwarzen Anzug einen Blaumann tragen, ob er der Konzertmeisterin galant die Hand küsst oder zur letzten Zugabe mit schelmischem Grinsen ein frisch gezapftes Pils mit auf die Bühne bringt, das er zum Schlussakkord wegext: Immer wirkt der 46-jährige Lockenkopf authentisch und zum Knuddeln sympathisch. Man muss ihn einfach gern haben.
Stimmliche Problemzonen
Und das taten die begeisterten Besucher auch, in einem Konzert, das die stimmlichen Problemzonen des Tenors zwar nicht vergessen ließ, aber doch oft elegant umschiffte. Unterstützt von Guerassim Voronkov am Pult und dem Stuttgarter Kammerorchester – das erfreulich weit über dem Niveau vieler sonst üblicher Begleitcombos spielte – widmete sich Villazón der halbleichten Muse. Keine anspruchsvolle Opernkost, sondern Romanzen und Lieder, aufgeteilt in eine italienische und eine spanische Konzerthälfte, und ergänzt durch einige Orchesterstücke.
Vor allem zu Beginn, bei zwei Konzertarien von Bellini, beschränkte sich der Ambitus der Gesangspartie weitgehend auf die tiefe Lage. Dort, wo keine strapaziösen Spitzentöne drohen und Villazón mit dunklen Farben punkten kann. Er hat sie ja, diese baritonale Grundierung, nicht so ausgeprägt wie der Kollege Jonas Kaufmann, aber doch warm und samtig. Da geht sein Timbre leicht ins Ohr, auch in drei von Luciano Berio arrangierten Verdi-Romanzen.
Villazón ist kein Ritter vom hohen C
Wenn er allerdings die obere Mittellage antippen musste, wirkte die Stimme weniger frei, die Intonation weniger sicher als weiter unten. Die selbstverständliche Strahlkraft, dieses Gefühl, dass nach oben hin noch reichlich Platz ist, wie man es von anderen Tenören kennt – das ist eher nicht seine Stärke, Villazón ist kein Ritter vom hohen C mit Metall auf den Stimmbändern und glänzender Höhe.
Er berührt mit anderen Qualitäten. Seinem bittersüßen Klang, seiner Musikalität und einer Hingabe, die gerade den leisen Passagen einen sanften Zauber verleiht. Vor allem im zweiten Teil, bei den sieben spanischen Volksliedern von Manuel de Falla, dem Höhepunkt des Programms. Dort führt Villazón mit den Holzbläsern des Orchesters ein vertrautes Zwiegespräch, wie im fünften Lied, „Nana“, mit seinem zarten Schmelz. Das kann der Große Saal der Elbphilharmonie ja auch besonders gut, diese Intimität des gehauchten Pianissimo. Jede Nuance wird bleistiftfein abgebildet.
Frontalbeschallung macht Text verständlich
Im Forte kommt der Tenor dagegen nicht immer mühelos durch, da ist die Balance mit dem Orchester ausbaufähig und die Position vorne auf der Bühne sicher auch nicht die günstigste für einen Vokalsolisten. Aber er löst das Problem, indem er sich beim Singen in alle Richtungen dreht, und so alle Bereiche des Saals vorübergehend frontal beschallt. Wenigstens zeitweise sind Text und Ton dadurch auch in den lauteren Phasen zu verstehen.
Wovon genau er eigentlich singt, musste man sich allerdings aus der Mimik oder der bereits erwähnten Einzelmoderation von Villazón erschließen. Im Programmheft hatte die Reihe Elbklassik zwar Platz für ein Grußwort, für Fotos und ausgiebige Künstlerbiografien reserviert, nicht aber für einen Einführungstext oder gar die Gesangstexte.
Der Star ist der Star
Die Botschaft ist klar: Der Fokus liegt an so einem Abend mehr auf dem Star als auf der Musik. Und der erfüllte die Erwartungen auch weitgehend und kam gegen Ende des Konzerts immer besser in Fahrt, nicht nur musikalisch. Wie Rolando Villazón die vom Veranstalter und von zwei Verehrerinnen in der ersten Reihe überreichten Blumen als Vorlage nutzt, um mit dem Publikum herumzuschäkern, wie er Grimassen schneidet, im Takt wippt oder sich bei der Lippenakrobatik der Zugabe „Funiculi, Funiculà“ mit stummfilmgroßer Geste den Speichel vom Mund wischt: zum Schießen! Sowas kann man nicht lernen, das muss man einfach können.
Als Tenor ist Villazón sicher nicht frei von Schwächen, das offenbart er auch in Hamburg. Aber als Musikerpersönlichkeit, Künstler und Mensch bringt er so viel herzenswarmen Ausdruckwillen, Kommunikationslust und mitreißendes Temperament mit, dass man über die matteren Töne hinweg hört und beschwingt nach Hause geht.
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