Hamburg. Bühnen auf dem ganzen Kontinent rufen eine „Europäische Republik“ aus. In Hamburg sind Schauspielhaus und Thalia dabei.

Lässt sich mit Europa noch ein Blumentopf gewinnen? Großbritannien hat mehrheitlich für den Ausstieg aus der Europäischen Union gestimmt, in Polen, Italien und Ungarn stellen dezidiert europafeindliche Parteien die Regierung, Österreich ist europakritisch, und auch hierzulande erreicht die AfD mit Anti-Europa-Polemik stabil zweistellige Zustimmungswerte.

Einerseits.

Andererseits wurde mit Emmanuel Macron ein überzeugter Europäer französischer Präsident, und gerade unter der jüngeren Bevölkerung wird immer deutlicher, dass man die Vorteile eines vereinten Europas – Reisefreiheit, Internationalität – nicht so einfach aufgeben sollte. Und: Der Widerstand gegen die Re-Nationalisierung Europas formiert sich. Allerdings sollte dieser Widerstand dann auch ein politisches Ziel haben, und dieses Ziel will erst einmal formuliert werden. Als Utopie.

Aktion findet am 10. November statt

Für Utopien sind die Künste immer gut, entsprechend ist es folgerichtig, dass hier ganz konkret darüber nachgedacht wird, was aus der krisenan­fälligen EU werden könnte. Ein Beispiel: eine echte Republik, in der sich die Nationalstaaten auf lange Sicht auflösen. Am 10. November um 16 Uhr wird deswegen in Theaterhäusern auf dem gesamten Kontinent eine „Europäische Republik“ ausgerufen, eine Aktion, die vom österreichischen Schriftsteller Robert Menasse initiiert wurde, dessen jüngster Roman „Die Hauptstadt“ eine Art satirisches Bekenntnis zu Europa in all seiner Widersprüchlichkeit darstellte. Teilnehmer beim „European Balcony Project“ sind unter anderem Bühnen-Hochkaräter wie das Schauspielhaus Zürich, das Berliner Ensemble und das Wiener Burgtheater. In Hamburg sind sowohl das Thalia als auch das Schauspielhaus mit dabei.

Für Thalia-Intendant Joachim Lux ist die Teilnahme eine historische Pflicht. „Am 9. November 1918 hat Philipp Scheidemann die erste deutsche Republik ausgerufen, insofern knüpft das an diesen Enthusiasmus von ,Nie wieder Krieg!‘ und ,Demokratie!‘ an.“ Das Thalia nimmt die Idee wörtlich: Schauspieler werden wie einst Scheidemann auf Balkonen stehen, um Menasses Manifest zur Republikgründung zu verlesen.

Schauspieler deklamieren Texte vom Balkon herab

Über diese Proklamation hinaus plant Lux allerdings keine weiteren Veranstaltungen, sein Haus ist ohnehin explizit proeuropäisch aufgestellt. Und weil der 10. November mitten in der Jubiläumswoche zu 175 Jahren Thalia Theater steckt, muss eine Lesung vom Balkon herab reichen. Schauspieler deklamieren Texte – das ist ja auch das ureigene Metier des Theaters.

Das Schauspielhaus in Hamburg.
Das Schauspielhaus in Hamburg. © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez

Mehr bietet das Schauspielhaus. Hier wird die Proklamation flankiert von zwei Diskursveranstaltungen am 8. und am 9. November. „Das wäre eine Utopie: dass sich die Europäische Union in eine Republik verwandelt“, freut sich der zuständige Schauspielhaus-Dramaturg Christian Tschirner. Tatsächlich geht das Thema für ihn über Pathos und Symbolpolitik hinaus: „Europäische Identität ist gar nicht das wichtigste. Wenn es zum Beispiel eine europäische Arbeitslosenversicherung oder einen gemeinsamen Finanzhaushalt geben würde, dann würde eine gemeinsame Identität von alleine kommen.“ Klingt trocken, ist aber zumindest konkret.

Das European Balcony Project ist vor allem ein Gedankenanstoß

Bleibt die Frage: Wenn ausgerechnet Theater für Europa trommeln, predigt man da nicht zu längst Bekehrten? „Das Theater ist kein Diskursraum des völlig Verschiedenen, sondern meistens die Selbstvergewisserung einer bestimmten Geisteshaltung“, bestätigt Thalia-Chef Lux. Wobei diese Selbstvergewisserung für ihn auch okay ist – zumal die vermutete Geisteshaltung so klar gar nicht ist. Wer weiß schon, welche unterschied­lichen politischen Haltungen sich in einem 1000-Plätze-Theatersaal verteilen? Zumindest Schauspielhaus-Dramaturg Tschirner sieht hier weniger Homogenität: „Kaum jemand macht sich Gedanken darüber, wie wir Europa konkret verändern müssen, damit es bestehen kann, weder im Theater noch in der gesamten linksliberalen Öffentlichkeit.“ Das European Balcony Project wäre entsprechend vor allem ein Gedankenanstoß. Und Gedanken anstoßen, das kann Theater auf jeden Fall.

„Jenseits der Nationen: Europäische Iden­tität, Unionsbürgerschaft und res publica“, Podiumsdiskussion, Do 8.11., 20 Uhr, Deutsches Schauspielhaus, Kirchenallee 39, Karten unter T. 24 87 13
„Die Hoffnung kehrt zurück – Der europä­ische Frühling“ Fr 9.11., 20 Uhr, Deutsches Schauspielhaus (Rangfoyer), Kirchenallee 39, Eintritt frei Feierliche Proklamation der „Europäischen Republik“, Sa 10.11., 16 Uhr, Deutsches Schauspielhaus (Rangfoyer), Kirchenallee 39, und Thalia Theater, Alstertor, jeweils Eintritt frei