Hamburg . Erhöhte Sicherheitsvorkehrungen bei Can Dündar. Der türkische Regimekritiker redete über das Thema „Exil“ und warnte vor der AfD.
Taschenkontrollen beim Aufgang zum Kleinen Saal, Personenschützer im Konzertsaal selbst, die genau im Blick haben, wer sich dem Hauptredner des Abends nähert: Der Auftritt von Can Dündar in der Elbphilharmonie findet unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen statt.
Im Rahmen der „Tages des Exils“, die die Körber Stiftung in Kooperation mit der Herbert und Elisabeth Weichmann-Stiftung ausrichtet, spricht der ehemalige Chefredakteur der türkischen Zeitung „Cumhuriyet“, und auch Regisseur Fatih Akin („Gegen die Wand“, „Aus dem Nichts“) ist gekommen. Um einen Mann zu hören, der in der Türkei politisch verfolgt wird und wegen angeblicher Spionage und des Verrats von Staatsgeheimnissen zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt wurde. Dündar entzog sich dem Zugriff der türkischen Justiz und lebt seit 2016 im Berliner Exil. Seine Frau darf nicht ausreisen, ist eine Art Geisel der Erdogan-Regierung.
Dündar: Wo ich schreibe, da ist die Türkei
In der Elbphilharmonie nun spricht ein Mann, der erkennbar unter der Situation in seiner Heimat und unter der eigenen Entwurzelung leidet, der aber weit davon entfernt ist, aufzugeben. Er berichtet von der politischen Situation in der Türkei, dass er und viele andere die Anzeichen für eine Entwicklung in Richtung Diktatur erst erkannt hätten, als es bereits zu spät war. Dass es irgendwann nur noch zwei Optionen gegeben habe: zu schweigen oder zu gehen. Dündar ist gegangen und sagt: „Die von uns, die das Land verlassen konnten, trauern um die, die es nicht mehr geschafft haben.“ Und: „Meinen Schmerz darüber verstecke ich hinter einem Lächeln.“
Ein Fremder im eigenen Land sei er gewesen, und ist nun ein Fremder in der Fremde. Er zitiert Theodor Adorno und Thomas Mann, Exilanten während der Nazi-Herrschaft, die im Schreiben einen Weg fanden, mit ihrer Entwurzelung umzugehen. Auch für ihn treffe das zu, sagt Dündar: „Wo ich schreibe, da ist die Türkei.“ Und verweist darauf, dass viele Immigranten unter Depressionen angesichts ihrer Lage leiden, angesichts der Erkenntnis, ihr Heimatland vielleicht nie wieder betreten zu können, die Familie nie wieder zu sehen.
Dündar warnt vor der AfD
Er erinnert daran, dass es derzeit weltweit 65 Millionen Flüchtlinge gebe, die Hälfte davon Kinder. „Aber“, so fügt er mit einem sarkastischen Lächeln hinzu, „keine Sorge, 84 Prozent davon kommen nicht her, sondern bleiben in Entwicklungsländern.“ Europa liefere Waffen, mit denen Kriege geführt werden, Menschen fliehen vor Kriegen – und Europa schließe die Türen, beschreibt Dündar die aktuelle Lage.
Immer höhere Mauern, nationalistische oder offen rechtsradikale Parteien, die an Bedeutung gewinnen: „Wenn die AfD in Deutschland an die Macht kommen sollte, dann werden gewiss die Migranten zurück geschickt. Aber dann werden auch sie alle hier sich als Migranten fühlen“, warnt er. Gemeinsam mit seinen deutschen Freunden sei er gegen Rassismus auf die Straße gegangen, und diese Verbundenheit, dieses gemeinsame Engagement, so ist zu spüren, lässt Dündar ein wenig Heimat in der Fremde finden. Eine starke Rede eines Mannes, den das Erdogan-Regime nicht brechen konnte. Großer Applaus.
Heilende Kraft der Musik ist offensichtlich
Einen anderen Weg, mit dem Schicksal des Exils umzugehen, zeigt anschließend das Syrian Expat Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Ghassan Alaboud. 26 Musikerinnen und Musiker, die aufgrund des Syrienkriegs ihre Heimat verloren haben und über die Welt verstreut sind, finden sich zusammen, um Musik zu machen.
Dass die Probenarbeit nicht umfangreich sein kann, wenn Orchestermitglieder in Kanada, Polen oder den Niederlanden leben, ist klar. Und das Ergebnis um so beeindruckender. Auf dem Programm stehen Werke von bei uns nahezu unbekannten Komponisten wie Suad Bushnaq, Dia Succari oder Nuri El Ruheibany, Kompositionen voller Gefühl, mal sehnsüchtig-melancholisch, dann wieder geradezu spielerisch-fröhlich, oft mit deutlichen folkloristischen Anklängen.
Ein sehr abwechslungsreiches Konzert, bei dem Maher Mahmoud an der Oud (eine Kurzhals-Laute) und Sopranistin Rach Rizk besonders bejubelt werden. Die heilende Kraft der Musik ist offensichtlich und lässt sich auch an den lächelnden Gesichtern der Musiker ablesen, die gar nicht auf die erklatschte Zugabe vorbereitet waren und sich spontan entscheiden, „Bin El Shalabiya“ zu wiederholen. Ein großer Hit für die libanesische Sängerin Fairuz, der überall im Mittleren Osten gesungen wird – und nun an einem kühl-windigen Abend in Hamburg ein Stück Heimat schafft. Sehr berührend.