Hamburg. “Ehrverletzende“ Passagen des Gedichts über den türkischen Präsidenten Erdogan dürfen nicht wiederholt werden.
Andreas Buske hatte schon häufig mit Prominenten zu tun. Als Vorsitzender Richter der Pressekammer am Landgericht gehörten Unterlassungsklagen zum alltäglichen Geschäft. Vor fünf Jahren ist Buske zum Vorsitzenden des 7. Zivilsenats am Hanseatischen Oberlandesgericht (OLG) aufgestiegen – doch einen Fall wie diesen dürfte auch der erfahrene Richter bisher nicht gehabt haben.
Buske – lange, weiße Haare – sitzt mit zwei Kollegen im gediegenen Plenarsaal des Oberlandesgerichts. Hinter ihm steht eine Bücherwand mit Rechtsliteratur, ein Kamin rechts in dem mit Marmor ausgekleideten Raum, schwere Lüster hängen von der Decke herab.
An diesem besonderen Ort geht es am Dienstag um einen Rechtsstreit von internationaler Tragweite – doch die Entscheidung seines Senats verkündet Buske im nüchternen, fast beiläufigen Ton. „Die Berufungen des Klägers und des Beklagten werden zurückgewiesen.“ Damit steht fest: Jan Böhmermanns berüchtigtes Schmähgedicht über den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan bleibt in weiten Teilen verboten. Vorläufig zumindest. Denn rechtskräftig ist das Urteil nicht.
Beide Parteien in der Berufung gescheitert
Veröffentlicht hatte der Satiriker das Gedicht im März 2016 in der ZDF-Sendung „Neo Magazin Royale“. Es trug den Titel „Schmähkritik“ und hat mit Poesie etwa so viel zu tun wie ein Tütensuppe mit einem Fünf-Sterne-Gericht. Da geht es in despektierlicher Weise um Erdogans Manneskraft und um Sex mit Tieren; es stellt ihn in eine Reihe mit Menschenquälern wie Josef Fritzl und weist ihn als Mann mit Gasmaske aus, der kleine Mädchen schlägt. Es folgten: eine Staatsaffäre und Erdogans Klage gegen die Schmähkritik vor einem Hamburger Zivilgericht.
In erster Instanz hatte das Landgericht das Böhmermannsche Werk bereits in großen Teilen untersagt – nur sechs der 24 Verse waren demnach zulässig. Und so bleibt es auch: Am Dienstag bestätigte das OLG das erste Urteil vom Februar 2017. Damit sind beide Parteien, die jeweils Berufung gegen das Urteil eingelegt hatten, gescheitert: Böhmermann, der das Gedicht in Gänze erlaubt und Erdogan, der es in Gänze verboten sehen wollte. „Satire kann Kunst sein – muss sie aber nicht“, sagte Buske.
Zum Auftakt der Verhandlung hatte Böhmermanns Anwalt Christian Schertz noch dafür gestritten, das Gedicht unter dem Gesichtspunkt der Kunstfreiheit zu betrachten. Es sei als „überhöhte Rechtsvorlesung“ zu sehen, mit der deutlich gemacht werden solle, „was in Deutschland Meinungsfreiheit ist“; es ginge eben nicht um eine persönliche Schmähung Erdogans. Die Berücksichtigung des Gesamtkontextes sei für eine rechtliche Einordnung der Satire ebenso evident wie ihr Erhalt als Kunstwerk im Ganzen. Das Gedicht zu zerlegen und einzelne Teile davon zu verbieten, widerspreche dem Prinzip der Kunstfreiheit, so Schertz.
OLG spricht dem Gedicht die Qualität ab
Im Gegensatz zur ersten Instanz sprach das OLG dem Gedicht nun aber sogar die Qualität ab, „Kunst im Sinne des Grundgesetzes“ zu sein. Dafür fehle es an der „notwendigen Schöpfungshöhe“, so Buske. Es handele sich um eine „Aneinanderreihung von Meinungsäußerungen“, jede einzelne könnte mit einem Verbot belegt werden, zumal weder die Sendung noch das Gedicht ein „einheitliches, untrennbares Werk“ bildeten. Zwar müsse sich Erdogan als Staatsoberhaupt „massive Kritik gefallen lassen“.
Die Passagen des Gedichts, die Bezug auf sein tatsächliches Verhalten nähmen, seien von dem Verbot auch ausgeklammert. Die meisten Verse hingegen beinhalteten „schwere Herabsetzungen“ mit Bezügen zum Intimen und Sexuellen. Und diese schweren Eingriffe in Erdogans Persönlichkeitsrecht seien auch nicht dadurch gerechtfertigt, dass Böhmermann vor dem Beitrag erklärte: Er wolle aufzeigen, welche Arten rechtlich unzulässiger Äußerungen es gebe.
Rechtsstreit noch lange nicht beendet
Eine Revision ließ das OLG zwar nicht zu, da sich in dem Fall keine neuen, grundsätzlichen Rechtsfragen stellten. Beendet ist der Rechtsstreit aber noch lange nicht. „Gegen die Nichtzulassung werden wir Beschwerde beim Bundesgerichtshof einlegen“, sagte Schertz dem Abendblatt. „Es geht nicht nur um das Gedicht, sondern um die Grundsatzfrage, was Satire darf und was nicht.“ Sollte auch dieser Rechtsweg ausgeschöpft sein, werde man Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einlegen.
Erdogans Anwalt Mustafa Kaplan begrüßte die OLG-Entscheidung hingegen. „Wenn wir Texte eines Kollegah als antisemitisch kritisieren, dann dürfen für die Texte eines Böhmermanns keine anderen Maßstäbe gelten“, sagte Kaplan dem Abendblatt. „Den Farid Bangs, Kollegahs und Böhmermanns dieser Welt muss klargemacht werden, dass Menschenverachtung nichts mit Kunstfreiheit zu tun hat.“