Hamburg. John Neumeier sprach in der Elbphilharmonie über seinen Film. Der 79-Jährige ist bis heute ein Avantgardist.

Unter den Ballett­kre­ationen John Neumeiers nimmt „Die Kameliendame“ eine Sonderstellung ein: 1978 schuf der Intendant des Hamburg Ballett eine erste Choreografie nach ­Alexandre Dumas’ Roman in Stuttgart, drei Jahre darauf brachte er die Produktion in Hamburg heraus, weitere sechs Jahre später verfilmte er den Stoff, der bis heute im Repertoire bedeutender Ballettensembles zu sehen ist. Neumeiers Kunst, das klassische Ballett mit zeitgenössischen Tanzformen zu erweitern, fand hier zu einem ersten Höhepunkt, der auch 40 Jahre später noch ­fasziniert.

Ebenfalls auf Alexandre Dumas’ Vorlage basiert Verdis Oper „La Traviata“, die am kommenden Sonntag konzertant in der Elbphilharmonie aufgeführt wird – was die etwas gewollte Erklärung ist, weswegen Neumeier am Dienstagabend im Kaistudio 1 über seine Choreografie und den 1981 gedrehten Film sprach.

Moderatorin Nina Amon und Hamburg-Ballett-Sprecher Jörn Rieckhoff waren dabei eher Stichwortgeber als echte Gesprächspartner: Meist redete Neumeier allein. Und zwar mitreißend. Der 79-Jährige ist ein Charmeur, der trotz seiner mittlerweile 45 Hamburg-Jahre seinen reizenden amerikanischen Akzent behalten hat, ein Plauderer, der vor Anekdoten sprüht, vor allem aber ist er ein Künstler, der für den Tanz brennt. Und der sich in eine Begeisterung für den Tanz hineinredet, der man sich kaum entziehen kann. Da störte es nicht, dass die Technik immer wieder falsche Filmschnipsel einspielte – man spürte, weswegen John Neumeier mit diesem Stoff auch heute noch nicht fertig ist.

Nicht der konservative Ballett-Maestro

Man war berührt, wenn er die Tuberkulose-Erkrankung der Titelheldin mit der in den Achtzigern aufkommenden HIV-Epidemie verglich. Man war fasziniert, wo er die Unterschiede zwischen einem Tanzfilm und dem Abfilmen eines Bühnenstücks erläuterte. Man bemerkte die filmische Sprache, die minimalistischen Gesten, die Zeitlupen, die Überblendungen.

Was dabei deutlich wurde: dass Neumeier eben nicht der konservative Ballett-Maestro in Opposition zum Tanztheater ist, als den ihn oberflächliche ­Betrachter häufig einordnen. John Neumeier ist bis heute ein Avantgardist innerhalb der klassischen Form, der immer wieder die Modernität seiner Arbeit als Qualität betont. „Wenn etwas ­artifiziell ist, ist es vielleicht schön oder virtuos, aber für mich nicht besonders interessant“, beschrieb er sein ästhetisches Credo. „Für mich ist die Wahrheit interessant.“

„La Traviata“, 21. Oktober, 20 Uhr, Elbphilharmonie, Platz der Deutschen Einheit (ausverkauft, ggf. Restkarten an der Abendkasse)


„Die Kameliendame“, 10.–24. November, Hamburgische Staatsoper, Große Theaterstraße 25, Karten unter 35 68 68