Hamburg. Die Albumvorstellung als große Udo-Show: Am Hafen bewarb der Musiker „Unplugged 2“. Viele Co-Stars mit an Bord.

Er sagt, dass er beim Sichten des Resultats seine Sonnenbrille erst einmal nicht absetzen konnte. Er sagt, dass ihm die Tränen nur so herunterliefen, denn: „Es hat mich derartig berührt.“ Und wenn Udo Lindenberg, der größte Untergeher und Wiederaufersteher des deutschen Pop, berührt ist, dann muss doch tatsächlich wieder mal was passiert sein, oder?

So ist es. Und zeitlich passt das alles gleich dreimal. Es ist bereits passiert. Im Juli an drei Abenden auf Kamp­nagel. Es passiert jetzt, beim Pressetermin auf der „Mare Frisium“ am Anleger Sandtorhöft. Und es wird Mitte Dezember passieren, wenn das auf Kampnagel eingespielte Livekonzert in den Handel kommt. „MTV Unplugged 2 – Live vom Atlantik“ heißt es. Und der Mann von Warner Music bewirbt es in seinen einleitenden Worten vor versammelter Journalistenschar sprachlich eher schlicht („Großartiger Tag heute ... großartiges Projekt ... alte großartige Songs auf großartige Weise vom Grund gehoben“), aber auch mit, das dann wohl irgendwie doch, gebührendem Pathos. Und dann kommt auch schon Lindenberg in den Barsalon des Großseglers stolziert, es schwankt in diesem Moment tatsächlich ganz prächtig.

Und Lindenberg, der gerade hier auf dem Promotermin einfach nur „Udo“ ist, sagt „Guten Morgen, liebe Freunde.“ Es ist der Anfang seiner auch hier wieder – wie auf jeder Bühne, die er betritt – konsequent durchironisierten Selbststilisierung; in diesem Fall ist es die des Rockstars, der dauerhaft im Grandhotel lebt und nicht vor dem späten Nachmittag aufzustehen gedenkt.

Lindenbergs Leben dem Wellengang ausgeliefert

Aber zur Ironie kommt immer auch ihr Gegenteil. Denn neben all dem PR-Gedöns, den Einlassungen von musikalischem Produktionsteam und Regisseur, die alle ihr Geschäft verstehen und wissen, wie das geht mit der Überhöhung („Mit dem ersten Unplugged-Konzert schrieb Udo Musikgeschichte“), neben Udo Lindenbergs von den Journalisten und den Plattenfirmenmenschen an Bord euphorisch begrüßter Selbstreferenz („Vor zehn Jahren begann der zweite Akt in meinem Leben, und darauf trinken wir später erst einmal zehn Eierlikörchen“) liegt selbst über dieser forcierten Werbemaßnahme in eigener Sache weit mehr als nur ein Hauch von Wahrhaftigkeit.

Lindenberg erinnert ja selbst daran, dass vor genau einem Jahrzehnt sein märchenhaftes Comeback begann. Sein Leben war wie die „Mare Frisium“ dem Wellengang ausgeliefert, und für lange Zeit schritt der Mann, der vor ebenso langer Zeit die Bezeichnung „Panikrock“ in die deutschsprachige Populärmusik brachte, auf unsicherem Schritt durch die Welt.

Vorbei, vorbei. Wenn jetzt zum zweiten Mal ein Unplugged-Album mit vielen Co-Stars erscheint, dann wäre alles andere als ein reißender Absatz eine große Überraschung. Für die zweite Auflage wurden die Lieder aus der zweiten Reihe wichtig, denn auf dem ersten Unplugged-Album waren die Lindenberg-Gassenhauer nun einmal alle schon versammelt. Deswegen spricht dann auch Udo Lindenberg von den Songperlen, die er „vom Boden des Lindischen Ozeans“ gehoben habe. Alte Geheimhits wie „König von Scheißegalien“, „Good Bye Jonny“ und „Kugel im Colt“ zum Beispiel, die sich mit manchem Song der jüngsten Udo-Epoche („Durch die schweren Zeiten“) zu einer insgesamt 27 Titel umfassenden Karriere-Revue vereinigen.

Stargäste werden im Akkord begrüßt

Er sei, sagt Lindenberg auf Nachfrage, bei den Konzerten überrascht gewesen, wie sehr das Publikum diese für manch einen unbekannteren Nummern gefeiert hätten. Das könnte auch an der Dramaturgie jener Abende liegen, bei denen der Sänger im Akkord Stargäste begrüßt. Alice Cooper, Gentleman, Marteria, Andreas Bourani, Jan Delay, Maria Furtwängler. Letztere beiden sind die VIP-Waffen, die Lindenberg nicht nur auf Kampnagel, sondern auch auf der „Mare Frisium“ einsetzt. Man bekommt im von Lindenberg selbst angemessen lässig und stilecht geführten Kurzgespräch des Unplugged-Trios einen guten Eindruck davon, dass auch Delay zu denjenigen gehört, die den Nuschel-Styler gerne imitieren. Und man bekommt die zunächst einmal irritierende Information, dass die „Tatort“-Schauspielerin Furtwängler im Besitz von zwei Unterhosen des Musikers ist.

Als Delay („Udo ist der Derbste“) und Furtwängler („Udo chillt einen bis in die Zehenspitzen“), die im Duett mit Lindenberg erstmals überhaupt als Sängerin in Erscheinung tritt, auf der „Mare Frisium“ Deutschlands derzeit wohl tatsächlich größten Popstar für seine coole Aura und alles andere, was zur Lindenberg-Legende gehört, preisen, wird es allerdings auch endgültig tautologisch. Genau diese Form der mit griffigen Lines und oft auch lahmen Behauptungen („Es war eine Ehre, dabei zu sein“) betriebenen Heldendichtung war ja unmittelbar davor über den Bildschirm geflimmert.

Der Zusammenschnitt des neuen Udo-Events zeigt nicht nur, wie freundlich jeder über ihn spricht, sondern auch, wie opulent das Unplugged-Konzert produziert wurde. Es zeigte Lindenberg, wie er die Gaststars herzt, wie er soulful und tief empfunden seine charakteristische Schrägstimme in die bisweilen ganz alten Songs sägt. Wirkt immer, so auch hier. Wie einmalig Lindenberg wirklich ist, wird aber dadurch deutlich, dass er den Raum nicht etwa verlässt, als den Journalisten erste Einblicke gewährt werden. Er setzt sich an die Bar, er zuckt im Rhythmus der Songs, hibbelt herum, singt mit, schaut gebannt auf den Bildschirm.

Udo Lindenberg, der Udo Lindenberg dabei zusieht, wie er Udo-Lindenberg-Dinge tut? Überragend.