Hamburg. Der Musiker über seine neue Werder-Bremen-Hymne, Lotto King Karls “Hamburg, meine Perle“, Mesut Özil und die Elbphilharmonie.

Jan Delay kommt mit dem Fahrrad zum Interview ins Café Katelbach. Gerade ist er mit seiner Familie in Hamburg, wie immer im Sommer. Der zweite Wohnsitz ist Berlin. Aber fußballerisch ist der Musiker, der am 24. und 25. August mit seiner Gruppe Beginner am Großmarkt auftritt, in Bremen zu Hause. Fußball? Jan Delay? Da gibt es durchaus eine Verbindung. Eine so innige, dass Delay deswegen jetzt sogar einen Song geschrieben hat.

Hamburger Abendblatt: Was ist eine Hymne, Herr Delay?

Jan Delay: Hymnen sind zunächst einmal Songs. Sie werden nicht als Hymnen geschrieben. Erst im Laufe der Zeit bekommt ein Song den Charakter einer Hymne, nämlich dann, wenn die Leute ihn zu einer machen. Als Jack White „Seven Nation Army“ mit dem berühmten Riff schrieb, dachte er nicht: Ich schreib’ jetzt mal eine Hymne.Man kann es nie darauf anlegen, das zu tun.

Dann lassen Sie es uns so sagen: Sie haben gerade einen ziemlich speziellen Song veröffentlicht, der zumindest für manche danach schreit, eine Hymne zu werden: das Werder-Bremen-Fanlied „Grünweiße Liebe“.

Delay: Ein Song von mir für meinen Verein, um etwas zurückzugeben. Ich hoffe, er wird im Stadion neben all den bekannten Werder-Hymnen laufen, neben Songs wie „Lebenslang grünweiß“ und „Wo die Weser einen Bogen macht“.

Sie sind in Hamburg geboren und erklärter Lokalpatriot. Wie kommt es, dass Sie Werder-Fan sind?

Delay: Da mein Vater aus Oldenburg stammt und ich oft meine Großeltern besuchte, war ich häufig im Werder-Land. Seit der ersten Klasse war es fußballmäßig und mich geschehen: Ich sammelte die Bildchen für das Panini-Album. Ich liebte Otto Rehhagel und Rudi Völler, außerdem die grünen Puma-Schuhe. Und ich fand es beim HSV ätzend. Einmal nahm mich mein Onkel mit ins Stadion, damals riefen viele um 15.30 Uhr in der Westkurve „Sieg Heil“. Da war alles aufgeladen mit Aggression, das habe auch ich als kleiner Junge wahrgenommen.

Das ist lange her...

Delay: ...und war die Epoche, in der der heute eher erfolglose HSV seine größte Zeit hatte – und ausgerechnet da wurde ich Werder-Fan (lacht). Aber Ende der Achtzigerjahre war erst einmal Schluss. Ich interessierte mich bald nicht mehr so für Fußball, spielte Basketball, fand die NBA gut und war voll im HipHop-Ding. Im Weserstadion war ich tatsächlich zum ersten Mal nach dem Jahr 2000.

Was sagt denn Ihre Hamburger Posse zu Ihren Bremer Angelegenheiten?

Delay: Es ist ein lustiges Frotzeln in beide Richtungen. Ich habe eine Whatsappgruppe mit dem Namen „Forza Stellingen“ gegründet, aber drei Monate vor Saisonende habe ich die Hamburger da vor dem Abstieg dann mal lieber in Ruhe gelassen.

Sie haben mal gesagt, Sie drücken dem HSV die Daumen, wenn es nicht gerade gegen Werder geht. Das glauben wir Ihnen nicht.

Delay: Ist aber so. Ich bin Hamburger. Und Liebe und Hass liegen bekanntlich eh nahe beieinander (lacht). Obwohl Hass – den gibt es bei mir gar nicht. Hamburg braucht einen Erstligisten, ist doch klar. Als der HSV in der Relegation gegen Karlsruhe zurücklag, war mir mulmig zumute. Da dachte ich, die dürfen doch nicht absteigen. Und als dann der Ausgleich kurz vor Schluss fiel, habe ich trotzdem nur noch geflucht (lacht). Der Abstieg war jetzt übrigens auch mal einfach fällig.

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Mögen Sie „Hamburg, meine Perle“?

Delay: Ich mag Lotto King Karl, ich liebe den Song. Er berührt mich als Hamburger, obwohl das natürlich null meine Musik ist. Wir haben ihn einst bei einem Konzert in der Barclaycard Arena nachgespielt, als sie noch Colorline Arena hieß.

Haben Sie sich von Lottos oder anderen Stadionklassiker für Ihren Song „Grünweiße Liebe“ inspirieren lassen?

Delay: Nein. Ich habe jetzt auch nicht extra Fußballsongs gehört. Ich hole mir die Inspiration für meine Kompositionen nie woanders. Ich sammele Gedanken, ich warte, bis etwas entsteht.

Wie muss ein Fußballsong klingen?

Delay: Das weiß ich nicht. Da hat jeder andere Vorstellungen! Man könnte aber sagen, dass es um einen großen gemeinsamen Nenner geht. Er sollte nicht allzu schnell sein und nicht unbedingt Speed-Techno à la Gabber. Im besten Fall hat er Harmonien, die Emotionen erzeugen. Und der Text sollte schöne Bilder hervorrufen.

„Grünweiße Liebe“ klingt dank Ihrer Stimme wie ein echter Delay-Song...

Delay: ... wird aber eher kein Charterfolg. Zu viel Lokalkolorit. In Bremen wird er allerdings rauf und runter gespielt werden (lacht).

Es ist ja durchaus ein Risiko, sich als national erfolgreicher Popkünstler in Sachen Fußball klar zu outen.

Delay: Ich bin es gewohnt, zu polarisieren. Und es ist mir auch egal, wenn jetzt ein Hamburger sagt: Früher fand ich den Delay mal cool, aber jetzt macht er ‘nen Song für die Bremer, jetzt finde ich ihn doof. Aber verstehen kann ich das als Künstler trotzdem nicht. Man hört doch mit dem Bauch Musik und nicht mit dem Kopf, deswegen gefallen einem doch Songs auch ohne Ansehen der Person oder des Gesamtwerks. Ich zum Beispiel fand Kanye West schon vor seinen Trump-Äußerungen mies. Aber wenn der mal ausnahmsweise einen guten Song herausbringt, feiere ich den trotzdem ab.

Sie standen vor einigen Jahren auch mal mit einem Ihren Lieblingsspieler Mesut Özil vor dem Mikro („Mesut MC und der Delay Lama/Wir stinken nach Fisch, denn wir sind Werderaner“). Unlängst haben Sie Özil nach dessen Rassismusvorwurf auf Ihrer Facebookseite ausdrücklich gegen „ein paar beschränkte Kartoffeln“ in Schutz genommen. Was sagen Sie jetzt, einige Tage später, zum „Fall Özil“ und der dazugehörigen Gesellschaftsdebatte?

Delay: Die Debatte und #MeTwo waren ein Gewinn und notwendig, obwohl ich nicht glaube, dass dadurch die erreicht wurden, die vor allem einen selbstgerechten Blick auf Menschen mit Migrationshintergrund haben. Mir ist während der Diskussion um Mesut Özil eigentlich die ganze Zeit der Kragen geplatzt, da war viel Heuchelei im Spiel.

Wie rassistisch ist Deutschland?

Delay: Ich habe mit vielen Leuten mit Migrationshintergrund gesprochen. Die sagen: Deutschland ist kein rassistisches Land, jedenfalls nicht per se. Es gibt viele Länder, die das Prädikat „rassistisch“ viel eher verdienen, das Phänomen gibt es leider überall. Trotzdem lähmen einen die Geschichten, die unter dem Hashtag #MeTwo erzählt werden, klar.

Wie rassistisch ist die HipHopszene?

Delay: Gar nicht, zumindest aus meiner Sicht. Vielleicht könnte Samy Deluxe da mehr zu sagen. Aus meiner Warte ist HipHop aber zunächst einmal eine entspannte Jugendkultur, in der jeder gut aufgehoben ist.

Gibt es denn Rechts-Rap?

Delay: Klar gibt es den. Rap ist die größte Popkultur der Welt, da bleiben extreme Richtungen nicht aus. Es gibt auch in Osteuropa Nazi-Rap, es gibt Haßpredigerrap...

... es gibt Farid Bang und Kollegah...

Delay: ...die eben gerade keine Rassisten sind! Ich fand ihre Auschwitz-Lines auch nicht toll, klar. Aber das ist HipHop, das ist nicht für bare Münze zu nehmen.

Die Freiheit der Kunst also?

Delay: Die Freiheit der Kunst. Ob Eminem oder Kollegah: Rapkünstler vertrauen darauf, dass die Hörer ihre Songs in den richtigen Kontext setzen und nicht denken, dass das alles real ist. Entertainment ist Entertainment, Realität ist Realität.

Zuletzt haben Sie ein Beginner-Album gemacht, ist jetzt wieder etwas mit ihrer anderen Band Disko No. 1 dran?

Delay: Ich will seit einigen Jahren etwas in Richtung Afro-Funk machen. Afrikanische Einflüsse sind im deutschen Rap gerade angesagt, aber ich will das,wenn ich im September mit der Arbeit am neuen Album anfange, etwas herunterschrauben und abwandeln. Ich werde musikalisch eher so eine Platte machen wie „Searching For The Young Soul Rebels“, allerdings mit motivierenden und optimistischen Texten. Es passiert so viel Mist in der Welt, darüber muss man nicht auch noch singen.

Wieviel Spaß macht das Tour-Leben noch?

Delay: Sehr viel. Nervig sind Promo-Touren. Für Konzerte reise ich gern. In dem Moment, in dem ein Konzert beginnt, wird es toll.

Achten Sie auf ihre Fitness in Hinblick auf anstrengende Tourneen?

Delay: Das mache ich schon länger. Ich bin vor ein paar Jahren zum ersten Mal zu einem Orthopäden gegangen, ohne Schmerzen zu haben. Ich wollte einfach wissen, wie ich mich verhalten muss, um möglichst lange auf der Bühne stehen zu können. Ich habe auch angefangen, Sport zu machen, um Rücken und Knie zu stärken. Und gelernt, meine Stimme aufzuwärmen, weil ich singen ja nie gelernt habe. Nach einem Konzert noch exzessiv Party zu machen geht auch nicht, weil am nächsten Tag die Stimme oder der ganze Körper nicht funktioniert.

Hamburgs Musik-Szene wird gerade von so unterschiedlichen Dingen wie der Elbphilharmonie und dem Reeperbahn-Festival dominiert. Wie ist Ihr Blick auf die Musikstadt Hamburg?

Delay: Ich war zwar noch nie auf dem Reeperbahn Festival, aber ich bekomme mit, was da läuft, und finde die Entwicklung gut. Es ist toll, dass das Festival so eine Instanz geworden ist und die Hamburger das annehmen. In der Elbphilharmonie war ich bisher leider nur bei zwei Veranstaltungen. Die Akustik kann ich nicht beurteilen, weil die Musik verstärkt wurde.

Hätten Sie Lust, mit den Beginnern oder Disko No.1 in der Elbphilharmonie aufzutreten?

Delay: Nee. Mit verstärkter Musik ergibt das keinen Sinn. Wenn überhaupt, müsste das unplugged sein. Aber solche Mucke mache ich ja nun einmal nicht.

Beginner: Fr. 24.8./Sa. 25.8., 18 Uhr, Großmarkt Hamburg (U Steinstraße), Eingang Stadtdeich. Beide Konzerte sind ausverkauft.