Hamburg. Am Sonntag läuft der 25. „Tatort“ mit Maria Furtwängler. Sie spricht über ihr Image als kühle Blondine und das Älterwerden.
Eine Hotelsuite in Berlin-Mitte. Maria Furtwängler trägt eine Jeansbluse zu einem dunkelblauen Wollrock und hochhackigen Stiefeln. Sie fragt, ob man auch einen Tee möchte, sie kenne sich hier schon aus. Der Ton ist überraschend locker. Warming-up fürs Interview. Sie weiß eben, wie man sein Gegenüber für sich einnimmt. Am Ende bestimmt sie die Spielregeln. Als man sich auf einen der beiden Interviewstühle setzt, ruft sie: „Halt, das ist mein Platz.“
Frau Furtwängler, in Ihrem 25. „Tatort“ geht es um das Thema Gewalt gegen Frauen. Charlotte Lindholm verdächtigt den Filialleiter einer Bank, seine eigene Frau entführt und ermordet zu haben. Sie macht dabei alles falsch, was man falsch machen kann. Arbeitet sie an ihrem Rauswurf?
Maria Furtwängler: Nein, und ehrlich gesagt war mir gar nicht bewusst, dass es schon der 25. „Tatort“ ist. Ich dachte: Whaaat? Der 25. schon? Crazy. Die Figur hat sich ja in all den Jahren weiterentwickelt.
In der neuen Folge erkennt man Lindholm kaum wieder. Wo ist ihre Coolness geblieben?
Furtwängler: Ich fand es gerade spannend zu erleben, wie sie die Kontrolle verliert. Am Anfang wird sie nach einem Discobesuch selber von Männern zusammengeschlagen. Dieses Gewalterlebnis ist nicht nur physisch, das ist so eine Erschütterung ihres Selbstbildes, dass sie gar nicht in den Spiegel schauen und sich Hilfe holen mag. Sie will die Kontrolle zurück. Sie macht furchtbare Fehler. Diese Verwandlung hat mich gereizt: Wie ist das mit diesen archetypisch starken Frauen, wenn die in so eine Situation kommen? Vielleicht fehlt denen dann ja das Repertoire, mit ihrer Schwäche umzugehen.
Am Ende flennt sie hemmungslos. Wie schwer fiel Ihnen das?
Furtwängler: Ich hab immer die Schauspieler beneidet, die auf Knopfdruck anfangen können zu heulen. Zu denen gehöre ich nicht (grinst). Ich hatte immer Komplexe, wenn im Drehbuch stand: „Sie heult.“ In diesem Fall war das aber gar nicht vorgesehen. Das ist einfach so passiert.
Diese Szene konterkariert Ihr Image als kühle Blondine. Woher kommt das eigentlich?
Furtwängler: Sagen Sie’s mir.
Ich weiß es nicht.
Furtwängler: Ich glaube, wenn man blond ist und ein klassisches Gesicht hat und eine gewisse Intelligenz, dann impliziert das per se eine gewisse Kühle. Wir Frauen haben da gar nicht so viel Auswahl. Entweder wir sind Mutter, oder wir sind die toughe Karrierefrau. Und ich wurde eben immer als toughe Karrierefrau besetzt, die aber natürlich unglücklich ist. Eine Frau, die Karriere macht, kann ja nicht glücklich sein.
So will es das Klischee. Nervt Sie das nicht?
Furtwängler: Na ja, im Gesamtbild schon. Ich für mich kann es aber durchbrechen. 2015 habe ich einen Kinofilm gedreht, „Das Wetter in geschlossenen Räumen“. In dem bin ich ganz anders . . .
. . . als Frau, die sich einen jüngeren Liebhaber sucht . . .
Furtwängler: Genau. Daneben habe ich auch Theater gespielt, weil ich die Komödie mag. Ich kann mich also jenseits der Rolle als Kommissarin ausprobieren. Aber die Rollenvielfalt der Frauen ist insgesamt eben sehr begrenzt.
Kann es sein, dass Ihnen die Charlotte aus dieser „Tatort“-Folge insgeheim nähersteht als die toughe Blonde?
Furtwängler: (überlegt) Jaaa??! Ich bin für meine Freunde, für meine Kinder und meine Familie wahrscheinlich etwas anderes als das, was man außen sieht. Klar ist man privat ein Stück weit anders. Bestimmt.
Was muss denn passieren, dass Sie mal vor Freude in die Luft springen?
Furtwängler: (lacht) Ach, das kann Musik sein, von Schumann oder Bach. Das Schöne an Musik ist, dass sie einen inneren Zustand ausdrückt, der irgendwie diffus in einem wabert. Und plötzlich wird das im Außen spürbar. Es hat den Effekt: Ich bin nicht allein. Die Schönheit der Natur berührt mich auch. Jetzt haben wir ja diese tollen Farben im Herbst. Ich gehe gerne auf Berge. Und ich mag Tiere.
Hunde?
Furtwängler: Und Katzen. Ich hab zwei Hunde und eine Katze. Und viele Hühner.
Sie sind eigentlich Medizinerin. Haben Sie sich für die Schauspielerei entschieden, weil Sie Kontrolle gewinnen oder abgeben wollten?
Furtwängler: Eine gute Frage. Ich glaube, ich war eine gute Ärztin. Wahrscheinlich wäre ich in die Forschung gegangen. Das ist so eine Komfortzone. Die Schauspielerei ist die größere Herausforderung. Da muss ich als Mensch über mehrere Schatten springen. Und das ist das, was mich auszeichnet. Aus irgendeinem merkwürdigen Instinkt heraus suche ich nach Herausforderungen.
Weil Sie gerne an Ihre Grenze gehen?
Furtwängler: Ich weiß es nicht. Irgendwas zieht mich dahin. Immer wieder dahin zu gehen, wo es wehtun könnte, wo es aber auch natürlich toll und spannend werden könnte, weil es neu ist. Ich bin jemand, der sich unglaublich ungern wiederholt.
Welche Rolle spielt Eitelkeit dabei?
Furtwängler: Die Freude, gesehen zu werden, ist erst mal was Urmenschliches. So intensiv habe ich das bei meinem Sohn beim Fußball erlebt, als der noch klein war. Guck mal, Mama, guck mal, guck mal. Bis ich dann gesagt habe: Toooolll! Ich glaube, dass Schauspieler mit dieser Aufmerksamkeit ungenierter umgehen als andere.
Auf einer Skala von eins bis zehn, wie eitel sind Sie?
Furtwängler: (lange Pause) Ich glaube, ich bin tatsächlich nicht sehr eitel, also, rein äußerlich. Ich bin jemand, der selten in den Spiegel schaut.
Machen Sie gar keine Selfies?
Furtwängler: Nee, ich bin natürlich auf meine Art auch eitel, aber nicht so.
Sie sind jetzt 51. Geht Ihnen diese Zahl locker über die Lippen. Oder denken Sie insgeheim, upps?
Furtwängler: Zum Thema Älterwerden habe ich mal eine Kolumne von Sibylle Berg gelesen, die fand ich sehr erhellend. Fragen, die Männern nie gestellt werden. Da waren die ganzen Fragen rund ums Alter, rund ums Aussehen und die Frage: Was hält Ihr Mann davon? Ich habe daraufhin entschieden, dass ich Journalisten diese Frage nur beantworten werde, wenn sie mir zehn Männer nennen können, denen sie die gleiche Frage gestellt haben.
Auf zehn komme ich noch nicht, aber ich kann Sie beruhigen: Männern stelle ich diese Frage auch.
Furtwängler: Sie bleiben da beharrlich, oder? Ich glaube nicht, dass das Alter spurloser an mir vorbeigeht als an anderen. Warum sollte es auch? Ich möchte bloß nicht auf mein Äußeres reduziert werden.
Aber Männer leiden doch genauso unter dem Älterwerden.
Furtwängler: Aber bei Frauen fängt es sehr viel früher an. Das hat die Studie ans Licht gebracht, die die Stiftung in Auftrag gegeben hat, die ich mit meiner Tochter gegründet habe.
Wissenschaftler haben sich die Mühe gemacht, mal auszuzählen, wie oft Männer und wie oft Frauen in der Unterhaltung und in den Nachrichten vorkommen. Das ernüchternde Ergebnis: Auf zwei männliche Protagonisten kommt im Fernsehen nur eine Frau.
Furtwängler: Nicht nur das. Frauen werden ab ihrem 30. Lebensjahr graduell unsichtbar. Das ist eine sehr subtile Form der Diskriminierung. Natürlich werden wir alle älter. Aber bei Frauen wird das Fallbeil der Vergänglichkeit jenseits der 30 angesetzt.
Der „Tatort“ ist eine Institution, und Sie gelten als beliebteste Kommissarin. Ist es da nicht ein bisschen kokett, wenn gerade Sie dafür kämpfen, dass mehr Frauen ins Fernsehen gehören?
Furtwängler: Ich sag es mal ketzerisch: Wäre ich klein, rundlich und runzelig und würde dann so eine Untersuchung in Auftrag geben, würden alle sagen: Kein Wunder, schau dir die doch an! Ich glaube, es hat mehr Gewicht, wenn es jemand macht, der über diesen Verdacht erhaben ist. Mir geht es mit unserer Stiftung darum, jeder Form von Diskriminierung oder Gewalt gegen Frauen entgegenzutreten. Wir müssen uns davon lösen, gefallen zu wollen.
Wurden Sie zu Hause nicht so geprägt?
Furtwängler: Doch, natürlich. Als ich ein Teenager war, hat mir meine Mutter . . .
. . . Schauspielerin Kathrin Ackermann . . .
Furtwängler: . . . gesagt, ich laufe wie ein Matrose auf Land. Ich sei burschikos. Das hat sie gar nicht böse gemeint. Aber für mich war das ein Problem. Ich fand meine Stimme zu tief. Ich fand mich nicht mädchenhaft genug.
Warum nicht?
Furtwängler: Als die anderen schon anfingen, sich zu schminken, habe ich Tom-Sawyer-Spiele im Garten gemacht. Meinen ersten Rock habe ich mit 20 angezogen. Ich hatte auch keinen Busen. Ich fand mich wahnsinnig unweiblich und unsexy.
Stellen Sie sich vor, damals hätte es Instagram schon gegeben.
Furtwängler: Der Druck wäre noch größer gewesen. Damals konnte ich mir überlegen: Werde ich Popper, Punk oder Hippie? Das gibt es heute gar nicht mehr. Die Mädchen haben alle blonde glatte Haare und sehen alle sehr niedlich aus. Und sie sind alle dünn.
Welchem Lager gehörten Sie als Teenager an?
Furtwängler: Ich war Popper. Ich trug diese Collegeschuhe mit Troddeln (lacht). Ich hatte so eine gelbe Kaschmirjacke. Die war zwar nicht aus Kaschmir, aber sie sah so aus. Und Karottenjeans. Tooolll! So was gibt es ja heute gar nicht mehr.
Ihre Kinder sind mit dem Internet aufgewachsen. Wie haben Sie die im Umgang mit sozialen Netzwerken erzogen?
Furtwängler: Ich habe natürlich versucht, sie zu ermutigen, sich von solchen Rollenzuschreibungen freizumachen. Ich hab mit meiner Tochter sogar mal „Germany’s Next Topmodel“ geguckt. Wir haben uns neulich gerade noch mal darüber unterhalten, dass es am Anfang doch ganz toll gewesen sei.
Nicht Ihr Ernst.
Furtwängler: (lacht) Nee, stimmt. Das war es nie. Ich war aber immer wieder davon fasziniert, wie Heidi Klum sich da hinstellte und sagte: Vanessa, ich habe heute . . .
. . . kein Foto für Dich.
Furtwängler: Die konnte mit drei Sätzen zehn Minuten füllen. Am Anfang war das toll, weil das neu war. Ich erinnere mich an eine Folge, in der die Mädchen mit einem Frosch posieren mussten. Solche Bilder bleiben im Gedächtnis. Medien prägen. Deshalb müssen wir bewusster mit den Bildern umgehen, die wir zeigen.
Wie alt waren Sie, als Sie sich mit Ihrem Spiegelbild versöhnt haben?
Furtwängler: Das werde ich wahrscheinlich nie erleben. Ich glaube, das ist eine ewige Challenge. Ich ertappe mich noch heute auf dem roten Teppich mit High Heels dabei, wie ich die Welt verfluchen könnte, weil ich nach fünf Minuten nicht mehr stehen kann. Und dann frage ich mich: Warum tue ich mir das an?
„Tatort – Der Fall Holdt“ So 5.11., 20.15, ARD