Hamburg. Regisseur Stefan Pucher probt derzeit Arthur Millers Stück am Thalia Theater. Am Sonnabend ist Premiere.

Auf der Thalia-Bühne ist eine ländliche Szenerie aufgebaut. Kein Idyll, sondern ein in vielerlei Hinsicht beengter, ein die Menschen einengender Raum. Hier verhört Gouverneursvertreter Thomas Danforth (Rafael Stachowiak) die Haushälterin Mary Warren (Toini Ruhnke). Was hat sie gesehen? Tanzende Mädchen? Hüllenlos gar? Ein okkultes Ritual? Das Dorf Salem ist in Aufruhr. Der Pastor beauftragt einen Exorzisten. Abigail Williams, des Pastors Nichte, eine „Mittäterin“, hofft auf Straflosigkeit, wenn sie andere Dorfbewohner als Anstifter denunziert. Die „Hexenjagd“ nimmt ihren Lauf.

Für Regisseur Stefan Pucher, seit Langem fasziniert von amerikanischen Mythen, ist der Klassiker von Arthur Miller ein idealer Theaterstoff. Derzeit probt er mit Hochdruck für die ­Premiere am 29. September im Thalia Theater.

Pathos und Groteske

Pucher hatte 2010 bereits den „Tod eines Handlungsreisenden“ erfolgreich in Zürich inszeniert. Der Regisseur, der regelmäßig am Thalia Theater arbeitet, entdeckt immer wieder ganz ungewohnte Seiten bei Miller. „Da steckt trotz aller Tragik und Dramatik Humor drin. Das sind keine realistisch geschriebenen Sozialdramen“, sagt Pucher. „Miller arbeitet immer mit Überhöhung, mit Pathos und Groteske.“ Einige Tage vor der Premiere sind viele Ideen bereits umgesetzt, es ist aber auch noch Anspannung spürbar.

Angestaubt findet Stefan Pucher das 1953 uraufgeführte Stück jedenfalls keineswegs. Wie alle wirklich guten Texte habe es eine extrem lange Haltbarkeit, weil es mit Bildern, Symbolen und Themen umgehe, die nicht verschwinden. „Das Stück hat etwas unglaublich Ernstes, aber auch Elemente einer Farce.“ Es stecke ein besonderer Humor darin, der etwa durch die Überzeichnung einiger Figuren entstehe. Pucher hat im Stoff sogar die filmische Tragikomik eines Ernst Lubitsch („Sein oder Nichtsein“) entdeckt.

Beinahe religiöser Widerhall

Arthur Miller hatte „Hexenjagd“ als Parabel auf die Kommunistenverfolgung der McCarthy-Ära verfasst. Die Phänomene einer durch Ideologie verblendeten Gesellschaft, die im Grunde eigene wirtschaftliche Interessen verfolgt, all das finde Pucher in diesem Stück wieder, sagt er – und es erscheint ihm in diesem Sinne erschreckend aktuell. Während der Vorbereitung stieß der Regisseur auf ein Zitat des Autors, das auf die gegenwärtige gesellschaftliche Weltlage passt.

Miller bewegte „die Tatsache, dass eine politisch zielgerichtete und geschickte Kampagne der äußersten Rechten nicht nur in der Lage war, eine panische Angst zu schüren, sondern darüber hinaus eine neue, subjektiv erfahrbare Wirklichkeit schaffen konnte, die eine wahrhaft mystische Aura besaß und einen beinahe religiösen Widerhall nach sich zog.“ In der Folge sei „das Denken zum Erliegen“ gekommen, die „Köpfe der Menschen mit betörenden Wolken unerklärlicher Gefühle“ eingelullt. Das ganze Land sei wie „neu geboren worden ohne das geringste Erinnerungsvermögen und bestimmte elementare Formen des Anstands“.

Verleumdungen und Denunziationen

An diesem Punkt sieht der Theatermann die gegenwärtige globale Gemeinschaft: tief gespalten durch eine ideologische Kampagne, in der das Miteinander-Reden kaum mehr möglich ist. „Errungenschaften der Aufklärung, die man als richtungsweisend empfand, werden aufgegeben“, erklärt Pucher und spricht in diesem Zusammenhang auch die Ereignisse in Chemnitz an.

Arthur Miller sagte über die düstere McCarthy-Ära, er habe die Dimension des Bösen unterschätzt. Und er schuf mit seiner „Hexenjagd“ einen modernen Dramenklassiker zum Thema. ­„Miller zeigt, was mit den Menschen in ideologisch verblendeten Gesellschaften geschieht“, sagt Stefan Pucher. Es komme zu Verleumdungen, Denunziationen, alles der Karriere wegen oder um die eigene Haut zu retten.

Salem erinnert an islamistischen Gottesstaat

In „Hexenjagd“ ist es eine Theokratie, eine Herrschaftsform, in der die Staatsgewalt religiös legitimiert ist, in der vor dem gestrengen „Hexengericht“ Aussage, Gegenaussage und Widerruf durcheinandergehen, bis es schließlich eine Reihe zum Tode verurteilter Menschen gibt und die von Angst durchdrungene Gesellschaft vollkommen zerstört in Scherben liegt.

Im Übrigen erinnert Stefan Pucher der Alltag in Salem mit dem dort geltenden Verbot von Musik, Büchern und Kunst an streng islamistische Gottesstaaten. In der Religion entdeckt der Regisseur, so formuliert er es, die Wurzel allen Übels. Und im Abbau des Sozialstaates vermutet er die Basis für wachsenden Populismus.

Seine Amerika-Faszination, seine Liebe des Lauten, Prallen, Bunten, hatbe zuletzt arg gelitten, gesteht Pucher: „Amerika, das war immer der Blick in die Zukunft.“ Im Wissen um die „Hexenjagd“ klingt dieser Satz beinahe wie eine düstere Prophezeiung.