Hamburg. Der Saisonstart der Vereinigung der Kammermusikfreunde war eine beglückende Angelegenheit für das Publikum.

    Ist das wirklich ein junger Mann, der da seine Lippen spitzt? Oder hat sich vielleicht doch ein Vögelchen in den Großen Saal verirrt? Unglaublich, wie leicht und virtuos der Kunstpfeifer Nikolaus Habjan seine Rossini-Koloraturen in den Raum zwitscherte. Eine hauchzarte Überraschung zum Auftakt. Sie sollte nicht die letzte bleiben. Das Kammermusikfest begeisterte die Besucher der Elbphilharmonie fünfeinhalb Stunden lang mit einem fantasievollen, kurzweiligen und nur im letzten Drittel überbordenden Angebot. Es reichte von bekannten Gattungen wie Klaviertrio und Streichquintett bis zu einer Sonate für Saxofon und Orgel und spannte einen Bogen vom Barock über Romantik bis zum Tango und Jazz.

    Ein Fest der Vielfalt, maßgeschneidert für die besonderen Möglichkeiten des Saals. Nach dem filigranen Fiepsen des Kunstpfeifers hatten die Geigerin Sumina Studer und die Saxofonistin Asya Fateyeva einzelne Bach-Sätze aus den oberen Rängen in den Raum rieseln lassen und damit die Sensibilität des Publikums weiter geschärft. Für den Reichtum an Nuancen, den die Elbphilharmonie in seismografischer Präzision abbildet. Aber auch für die persönlichen Botschaften, die viele Komponisten in der Kammermusik hinterlassen haben.

    Bewegende Momente

    Besonders deutlich zu erleben im Streichquintett von Schubert, dem Zen­trum des Abends. Das Quartetto di Cremona und der Cellist Eckart Runge versenkten sich in die emotionalen Tiefenschichten des Stücks, das existenzielle Erfahrungen des Menschseins durchlebt. Den Kontrast von brennendem Seelenschmerz und Trost, die Panik in Anbetracht des nahenden Todes – aber auch die Hoffnung auf eine friedvolle Zukunft im Jenseits, wie sie im wunderbaren zweiten Satz angedeutet wird.

    Ähnlich aufrüttelnd, wenn auch auf eine ganz andere Art: Die Begegnung mit der Zeitzeugin Anita Lasker-Wallfisch. Im Gespräch mit Moderator Ludwig Hartmann schilderte die 93-Jährige, wie ihr die Musik buchstäblich das Leben gerettet hat, weil sie als Cellistin im Mädchenorchester von Auschwitz gebraucht wurde und deshalb der Ermordung durch die Nazis entging. Eindringlich, klar und unsentimental erzählte Lasker-Wallfisch von der Realität des Unvorstellbaren, bevor ihr Sohn Raphael mit seinen Kollegen vom Trio Shaham Eraz Wallfisch Mendelssohn spielte.

    Das Programm fand eine fein austarierte Balance aus bewegenden Momenten, klassischer Schönheit und spritziger Unterhaltung. Es endete mit Piazzollas „Milonga del Angel“ als instrumentalem Gute-Nacht-Lied – von Eckart Runge und Jacques Ammon intim aus den Saiten und Tasten gezaubert. Ein gelungener, teilweise beglückender Saisonstart für die Vereinigung der Hamburger Kammermusikfreunde.