Hamburg. Das Ohnsorg setzt als erstes Theater in Hamburg auf elektronische Zuschauerbefragung. Zum Start gibt es elf Fragen.

„Der Applaus ist das Brot der Künstlers“, heißt es im Theater. Doch davon können weder die Schauspieler noch die Häuser existieren. Was zählt, sind die verkauften Karten. Warum aber kommt ein Stück beim Publikum besser an, ein anderes weniger gut? Die Antworten liefert die Marktforschung. Die betreiben einige Privattheater in Hamburg schon seit Jahren. In der Stadt mit der mutmaßlich größten Bühnenvielfalt Deutschlands – an der 15. Theaternacht beteiligten sich kürzlich wieder 40 Häuser – geht das Ohnsorg-Theater seit Beginn dieser Spielzeit neue Wege.

Sichtbares Zeichen: An den Ausgangstüren des Großen Hauses und des Ohnsorg-Studios stehen nun Mini-Terminals mit Touchscreens auf einem Ständer. An dem können Besucher mit einigen schnellen Eingaben eine direkte Rückmeldung geben. „Digitale Besucherbefragung“ oder auch „Digitale Touchpad-Befragung“ haben Ohnsorg-Intendant Michael Lang, gleichzeitig Geschäftsführer des Theaters, und sein Team das Verfahren getauft.

Schnelle und kompetente Analyse

Dafür haben sich die Ohnsorg-Leute Expertise von außen ins Haus geholt: Das Hamburger Start-up-Unternehmen Qualitize, 2015 Gewinner des Hamburger Gründerpreises, hat ein System zur Besucherbefragung entwickelt, das bisher vor allem in Kaufhäusern, bei Ärzten und Kliniken sowie weiteren Einrichtungen mit direktem Kundenkontakt eingesetzt worden ist. Die Daten stehen dem Betreiber innerhalb kürzester Zeit zur Verfügung. So erhält er eine schnelle und kompetente Analyse der Besucher. Die Befragten geben ihre Meinung auch anhand von unterschiedlichen Smileys wieder – einfach und anschaulich.

Das Ohnsorg hat zum Start elf Fragen programmiert, maximal vier pro Seite. „Wie gut hat Ihnen die heutige Vorstellung gefallen?“, heißt es dort etwa. Oder „Werden Sie das Theaterstück an Freunde und Bekannte weiterempfehlen?“ Aber auch Fragen nach der Verständlichkeit des Plattdeutschen im Allgemeinen und der Vorstellung im Besonderen sind dort zu lesen – wie es sich für das Haus geziemt, wahlweise sogar op Platt. „Es geht darum, in kurzer Zeit einige wichtige Meinungen zu erfassen. 30 Sekunden bis zu einer Minute – länger hat sowieso keiner Lust“, meint Lang.

„Innovation im Kulturbetrieb“

„Eine echte Innovation im Kulturbetrieb“, nennt der Ohnsorg-Chef das System. Traditionspflege allein reicht am Ohnsorg auch bei Zuschüssen von mehr als zwei Millionen Euro pro Spielzeit nicht mehr zum Überleben. Gefragt ist die Nähe zum Publikum – mit neuen technischen Mitteln. „Wir wollen auch die nachwachsenden Generationen neugierig machen auf die norddeutsche Identität, die niederdeutsche Kultur und die plattdeutsche Sprache“, sagt Lang, „und anderseits möchten wir dies natürlich begleiten mit den Ergebnissen und Erfahrungen durch die permanente Rückmeldung über die digitale Besucherbefragung, quasi in Echtzeit.“

Als Lang noch Intendant der Komödie Winterhuder Fährhaus war, gab es dort bereits regelmäßig Kärtchen für Zuschauer, die jedoch vor allem auf die Akquisition von Interessenten für den Newsletter abzielten. Etwa alle fünf Jahre erfolgte eine ausführlichere professionelle Publikumsbefragung, einmal im Jahr die Bewertung (mit Schulnoten) der Stücke durch die bis zu 10.000 Abonnenten. „Damals haben immer so etwa 200 bis 250 Leute geantwortet“, erinnert sich Lang.

„Genauere Zielgruppenansprache“

In den ersten gut 20 Tagen der neuen „Digitalen Befragung“ im Ohnsorg hätten etwa 250 Besucher pro Woche ihre Meinung kundgetan, laut Experten ein sehr guter Wert. „Der wird sich sicher noch deutlich steigern, wenn die Zuschauer das System erst richtig kennengelernt haben“, glaubt der Intendant. Tendenzen seien sehr wohl erkennbar, für Schlussfolgerungen zur künftigen Spielplangestaltung sei es aber noch zu früh.

Im St. Pauli Theater und im Hansa-Theater etwa liegen bei Eigenproduktionen noch Fragezettel auf den Sitzen aus – wegen der „Notwendigkeit genauerer Zielgruppenansprache“, so Kommunikationschefin Dagmar Berndt. Dabei liegt die Beteiligung der Besucher zwischen zehn und 20 Prozent. Insbesondere hinsichtlich von Wiederaufnahmen bestimmter Stücke in der nächsten Saison spielt die Publikumsmeinung dabei eine Rolle – gewiss keine ganz unwichtige. Denn nur die verkaufte Karte zählt.