Hamburg. Die Komödie „Kalenner-Deerns“ überzeugt am Heidi-Kabel-Platz als Ensemblestück – mit viel Dialogwitz.

Wie sang die Schlager-Kanone Mickie Krause doch schon vor Jahren so plump-direkt? „Zieh dich aus kleine Maus, mach dich nackisch.“ Das kommt am Ballermann auf Mallorca an – aber in Hamburg? Im Theater? Im Ohnsorg?

Hier, am Heidi-Kabel-Platz, hatte im November 2016 bereits „Barfoot bet an’n Hals“ Premiere, die plattdeutsche Variante von „Ladies Night“. Sie gilt als Mutter aller Ausziehkomödien. Damals zogen – noch unter der Ägide des Intendanten Christian Seeler – sechs Männer auf der Bühne blank – in ihren Rollen allesamt Hobby-Stripper aus der Unter- und Mittelschicht. So ist es in Zeiten der allgemeinen Gleichberechtigung nur konsequent, dass Seelers Nachfolger Michael Lang und der neue Oberspielleiter Murat Yeginer jetzt auch die Frauen im Ohnsorg zum Zug kommen lassen. Absicht oder Zufall – die „Kalenner-Deerns“ hat mit Harald Weiler derselbe Regisseur inszeniert wie „Barfoot bet an’n Hals“.

Kino-Hit als Vorlage

Und anders als damals, als die „Ladies Night“ für Zuschauerinnen ein sexy Finale bot, die Inszenierung insgesamt aber recht platt geriet, lässt der erfahrene Regisseur den Schauspielerinnen hier nicht nur Raum, sich kleidungstechnisch zu öffnen, sondern auch emotional. Was dabei hilft: Markus Weises niederdeutsche Fassung „Kalenner-Deerns“ basiert auf dem britisch-amerikanischen Kino-Hit „Kalender Girls“, der im Jahr 2003 auch das Filmfest Hamburg eröffnet hatte. Der Filmerfolg seinerseits fußte auf einer wahren Geschichte.

Im Ohnsorg spielt die Handlung, die vor Jahren auch schon in Berlin und in Hamburg (Komödie Winterhude) auf Hochdeutsch inszeniert wurde, nicht in der Grafschaft Yorkshire, sondern in Kirchwerder und in Seevetal. Bei sechs Landfrauen in den besten und allerbesten Jahren reift der Entschluss, sich für einen Kalender auszuziehen, anstatt immer nur Marmelade einzukochen, Vorträge über Brokkoli zu hören, an Torten-Wettbewerben teilzunehmen oder Kalender mit Landschaftsmotiven zu gestalten. Der Anlass indes ist ein todtrauriger: Hannes (Robert Eder), der Mann von Annie (Beate Kiupel), ist an Leukämie gestorben. Ihm zu Ehren wollen die Damen für das Krankenhaus ein „Gedächtnis-Sofa“ anschaffen – und das kostet.

Landfrauen-Treff ganz kreativ

Natürlich kostet es sie auch Überwindung, sich für das Kalender-Projekt nackig zu machen. Im Landfrauen-Treff, der dörflichen Mehrzweckhalle (von Sabine Flunker detailgetreu ausgestattet) leistet Blumenhändlerin Christine alias Tine Überzeugungsarbeit. Fernsehstar Sabine Kaack („Diese Drombuschs“, „Da kommt Kalle“) fügt sich in der Rolle bei ihrem Debüt im neuen Ohnsorg-Theater bestens ins Ensemble ein und geht als Vor-Stripperin voran. „Nakig Fleesch verköfft sik goot“, weiß nicht nur sie. Aber nicht etwa wie beim „Hot Girls“-Kalender, den die Damen interessiert studieren, mit Fleisch pur, sondern mit Zutaten.

Überhaupt ist „Kalenner-Deerns“, in denen Beate Kiupel als Tines beste Freundin Annie zugleich ihr 30. Ohnsorg-Jubiläum feiert, mehr ein Ensemblestück denn eine One-Woman-Show. Das liegt an der Vielfalt der Charaktere, die bis in die Nebenrollen treffend besetzt sind und ausgespielt werden. Überzeugend etwa Julia Weden bei ihrem Ohnsorg-Debüt als exzentrische Golf-Lady Mellie, schon bevor sie mit Rosinenschnecken vor den Brüsten posiert. Oder Senior-Deern Edda Loges als strenge, indes listige Ex-Grundschullehrerin Emma oder die musikalische Tanja Bahmani, die als XXL-Deern Cora mit ihrer Oberweite für vorwitzige (Klavier-)Töne sorgt. Nicht zu vergessen Meike Meiners, die als anfangs biedere und prüde Ruth nicht nur beim Outfit – vom Hasenkostüm hin zum legeren Damen-Look – die größte Entwicklung durchmacht.

Szenenbeifall

Dazu kommt mit der als einzige Frau Hochdeutsch sprechende Kerstin Hilbig eine weitere Ohnsorg-Debütantin, die als Landfrauen-Vorsitzende Mieke das Zickig-Autoritäre wunderbar verkörpert. Und als tapsiger und schüchterner Hobbyfotograf Lorenz erweist sich Markus Gillich als Elefant im Porzellanladen, besser gesagt als komischer Knipser im zeitweiligen Fotoatelier. Mehrmals Szenenbeifall für dieses turbulente Fotoshooting, am Ende viel Applaus für alle Beteiligten.

Zuvor ist die Freundschaft der „Kalenner-Deerns“ ob ihrer ungeahnten Popularität auf die Probe gestellt worden und der eigentliche Zweck der Aktion fast verblasst. Doch dank einiger nachdenklicher Szenen und viel Dialogwitz trotzen die Damen all dem. Ebenso dem Jugendwahn und dem Hang zur totalen Entblößung.

Besucherstimmen:

Anke Lüders
(Lemsahl-Mellingstedt):
„Ich fand das Stück sehr schön. Ich kenne auch den Film, die Inszenierung kann da durchaus mithalten.“
Fridrun Weidner
(Harvestehude):
„Ich habe ein paar Tränen verdrückt. Das Stück war überhaupt nicht zotig, sondern ansprechend und gut umgesetzt. Auch wenn ich auf Platt nicht alles verstanden habe. Und die Fotos im Bühnenhintergrund waren wunderbar.“
Andreas Valjavec
(Lemsahl-Mellingstedt):
„Die Inszenierung hat mir
gefallen. Die Stimmung der Damen kommt gut rüber, und
die Darstellerin der Cora wirkte im Stück wie ein Motor.“

„Kalenner-Deerns“ bis 29.9., Ohnsorg- Theater (U/S Hbf.), Heidi-Kabel-Platz 1, Karten zu 15,50 bis 31,- unter T. 35 08 03 21; www.ohnsorg.de