Hamburg. Regisseur Herbert Fritsch legt bei der Premiere in der Staatsoper ein manierliches „Così fan tutte“ vor.

Früher oder später – aber eher früher – kommt man bei Mozarts erschütternd hellsichtigen Da-Ponte-Opern mit Faxenmachen nicht weiter. Sobald es ernst wird, wichtig, erwachsen, zeitlos wahr und erhaben aufrichtig, helfen Inszenierungs-Mätzchen nicht mehr.

Dann ist die sprichwörtliche Hose unten und auch die Herzen der Charaktere liegen frei, verwundbar und empfindlich. Selbst eine Regie-Rambazamba-Rampensau wie Herbert Fritsch kann das nicht mal eben, oder gar ungestraft, gefühlstaub zuwitzeln. In diesen Episoden größter Eindringlichkeit wird alles und jeder von der Musik zur Erkenntnis gezwungen, um wie viel es gerade geht. Wie nah uns diese vermeintlichen Antiquitäten sind.

Bei seiner Version von „Così fan tutte“, mit der die Staatsoper am Wochenende entschieden amüsant in ihre Spielzeit startete, konnte und sollte Fritsch nicht gänzlich aus seiner Haut: Die Kostüme von Victoria Behr waren, wieder mal, ein toller Mix aus Rokoko-Pop auf Speed und explodierten Krepp-Papier-Rollen. Die Bühne war ein atemberaubend farbwechselintensiver Käfig voller Narren, der den Laborcharakter der in ihrem Kern so bösen, hinterhältig doppelbödigen Geschichte über Verführung, Vertrauen und Misstrauen noch betonte.

Fritsch versuchte auch gar nicht erst, das unglaubwürdige Maskeraden-Durcheinander zu überschminken, bei dem zwei Verlobte angeblich ihre Verlobten beim Treue-Test nicht erkannten, weil sie angeblich blind vor Verknalltheit waren.

Also steckte Fritsch Guglielmo und Ferrando in Zottelmäntel und unter grenzdebile Langhaar-Perücken aus dem „Wayne’s World“-Fundus; wenn schon, denn schon. Überall und ständig wurden aber auch raffinierte kleine Dechiffrierungs-Vorschläge gemacht, denn es war ganz bestimmt kein Zufall, dass einzig die Kostüme von Don Alfonso und der Zofe Despina, jene zwei Strippenzieher der fies eingefädelten Nachhilfe-Stunde in Mozarts Schule der Liebenden, die pralle Farbe von Herzblut hatten.

Aber, und das ist ein großes Aber: dieses Ensemble!

Dazu wurde gekonnt eingeübtes Zappeln und leicht spinnertes Kniewippen in den Ensembleszenen gereicht. Und in der Mitte der grellbunt lackierten Krawall-Schachtel ein orangenes Cembalo, das in einigen Rezitativen Amok klimperte und sich auch ein kalauerndes Zitat aus der „Kleinen Nachtmusik“ nicht verkneifen musste. Erwartbar dick aufgetragener Klimbim-Klamauk, ohne den jede Fritsch-Inszenierung so unvollständig wäre wie eine Marthaler-Arbeit ohne Wartesaal-Tristesse.

Aber, und das ist ein großes, wichtiges Aber: dieses Ensemble! Kleine Rückblende: In einigen Neuinszenierungen der letzten Spielzeiten gab es hier stimmlich dramatisch zu wenig zu bewundern, das Qualitätsniveau schwankte dann zwischen noch passabel und schon sonderbar. Nun nicht.

Nun überzeugten sechs feine, gut geführte, gut aufeinander abgestimmte, geradezu noble Stimmen, eine Einheit, die miteinander sang, atmete, fühlte. Obwohl sie erst wenige Tage vor der Premiere als Einspringerin dazu kam, war Ida Aldrian als Dorabella eine Freude; die Fiordiligi von Maria Bengtsson hatte in ihren anrührenden Solo-Arien Tiefe, Anmut und Glanz. Ebenso prächtig: der klare Herz-Schmelz von Dovlet Nurgeldiev, der als Fernando bewies, wie elegant ein Mozart-Tenor klingen kann.

Kartal Karagedik war als Guglielmo versierte Abrundung der Stimmen-Palette. Sylvia Schwartz würzte ihre Rolle als hyperaktive Zofe Despina mit enormer Präsenz und Drive, der Don Alfonso von Pietro Spagnoli war ein hinreißend schmieriger Intrigant.

Aus dem Orchestergraben jedoch kam ein Mozart-Angebot, das anfangs vor allem gediegen war. Sébastien Rouland, ein freundlich solider Zuarbeiter, dirigierte im Großen und Ganzen ohne Fehl und Tadel, was bei Mozart schon viel ist. Aber eben auch ohne diesen gerade noch beherrschtem Überdruck, ohne den die genial ausgewogene Feinmechanik aus Noten, Pausen und Akzenten verbeamtet und statuarisch klingt.

Der Mann hat bei Marc Minkowski gelernt, sollte also eigentlich wissen, wie man virtuos eskaliert, wie man Mozart traumhaft tänzeln lässt, als wäre es Muhammad Ali in seinen besten Jahren.

Und während das nicht immer trittsichere Philharmoniker-Tutti es sich in seinen Tempi kommod einrichtete, wurden die Rezitative so rasant heruntergespult, als wären sie störender Plot-Ballast, den man dringend loswerden müsste, damit die nächste Slapstick-Pointe keine Sekunde länger auf ihren Einsatz wartet. So schwächelte der umjubelte Premieren-Abend dann doch, stellenweise. Allerdings auf deutlich höherem Niveau als frühere.

„Così fan tutte“ weitere Termine: 12./16./18./ 26./29.9., jew. 19 Uhr, 23.9.: 15 Uhr, Tickets 6,- bis 109 Euro. Informationen unter www.staatsoper-hamburg.de