Hamburg. Regisseur Herbert Fritsch inszeniert an der Staatsoper das amouröse Verwirrspiel „Cosí fan tutte“. Am Sonnabend ist Premiere.

Herbert Fritsch hat eigentlich keine Zeit. Der Regisseur steckt in den Endproben für „Cosí fan tutte“ an der Staatsoper, parallel beginnen die Proben für die Boulevardkomödie „Champignol wider Willen“ an der Schaubühne. Und doch kaspert der ­67-Jährige begeistert im selbst entworfenen „Cosí fan tutte“-Bühnenbild rum. Da ist Fritsch in seinem Element – und muss zum Interview erst losgeeist werden.

Gerade beim Fotoshooting merkte man: Sie haben Spaß am Performen. Sie sind gelernter Schauspieler, selbst auf der Bühne stehen Sie aber gar nicht mehr.

Herbert Fritsch: Doch, das möchte ich schon wieder machen. Aber ich suche einen vorsichtigen Zugang, weil ich da ein bisschen mehr Angst habe als bei der Regie.

Angst?

Fritsch: Viele verstehen nicht, was das bedeutet: als Schauspieler auf die Bühne zu gehen, vor Leuten zu stehen, Ruhe zu entwickeln, Konzentration herzustellen, Aufregung … Regisseur ist einfacher. Als Schauspieler etwas zu finden und das dann zu machen ist viel schwerer. Das ist für mich eine ganz hohe Kunst, die in der Diskussion über postdramatisches Theater oft vergessen wird. Statt dass man mal darauf kommen würde, dass die Schauspielerei die Kunst am Theater ist! Natürlich gibt es auch andere Formen von Theater, aber für mich ist das Schauspielertheater das Entscheidende. Wenn ein Maler sagt, er entscheidet sich, mit Öl zu malen, so entscheide mich und sage: Mir geht es um Schauspielkunst!

Bei der Uraufführung von „Cosí fan tutte“ 1790 in Wien wurde Lorenzo Da Pontes Libretto als „unmoralisch und albern“ ­geschmäht …

Fritsch: Die Argumente kenne ich! (lacht)

Unmoralisch und albern, das liegt Ihnen?

Fritsch: Ja, das bekomme ich auch oft zu hören. Was in diesem großartigen Stück als ­Albernheit bezeichnet wird, sind diese merkwürdigen Verkleidungsszenen. Da sagt jeder: „Es ist doch klar, dass die Frau sofort erkennt, dass der Verkleidete ihr Freund ist!“ Ja, logisch! Aber am Theater macht man genau die Sachen, die es in der Realität nicht gibt! Indem man Absurditäten bemüht, schafft man Voraussetzungen, um über bestimmte Dinge noch genauer erzählen zu können. Damit provoziert man eine andere Form von Realismus, nämlich einen ­realistischen Inhalt in einer absurden Form. Das hat Da Ponte genial gemacht.

Und trotz aller Albernheit ist in Ihren Stücken immer ein Abgrund versteckt. In „Die Schule der Frauen“ am Schauspielhaus etwa ging es um die Zurichtung einer Frau, um Gewalt. In der öffentlichen Wahrnehmung wird dieser Abgrund aber oft ignoriert. Da heißt es dann: Bei Fritsch ist alles immer bunt, laut und lustig.

Fritsch: Es ist ja so: Man kann nicht mehr wirklich schockieren, man kann auch kaum noch provozieren. Womit man provozieren kann, sind entscheidende Formveränderungen. Da rastet zwar auch niemand aus, aber alle sagen: „Was ist das denn für ein Kindergeburtstag, so farbig und bunt?“ Mich berühren meistens die ganz artifiziellen Sachen, wenn man zum Beispiel ein Bühnenbild benutzt, um etwas Tieftrauriges erst einmal anders erscheinen zu lassen. Das Grausame ist, dass schreckliche Sachen auch komisch sind. Und um das auszuhalten, brauche ich die Farbe.

Bei „Cosí fan tutte“ ist diese Grausamkeit im Stück erst mal nicht angelegt. Das ist schon per se eine lustige Geschichte.

Fritsch: Ja. Aber wenn man drinsteckt, wenn man eifersüchtig ist, wenn man betrogen wird … Dieser Liebesschmerz ist heftig. Es gibt ein Bild von Edvard Munch, „Eifersucht“, da sieht ein Mann, wie seine Frau einen anderen küsst, und der bekommt dann einen Blick wie im Comic, so Kreise in den Augen, der guckt wie ein seltsames Tier. Das sieht saukomisch aus, aber gleichzeitig merkt man: Das ist ein grauenhafter Schmerz! Und dann denkt man: So bin ich auch schon mal dagestanden und habe doof geguckt.

An der Komischen Oper Berlin haben Sie mit „Don Giovanni“ auch schon eine ­der anderen Mozart/Da-Ponte-Opern inszeniert. Gibt es da Verbindungslinien?

Fritsch: Auf jeden Fall. Bei „Don Giovanni“ hat mir die Kritik übel genommen, dass ich aus der Titelfigur einen bösen Harlekin gemacht habe. Sonst sieht man da immer einen Typen mit offenem Hemd, dem die Brusthaare rausquellen, aber das ist es nicht. Es ist eine Harlekinade. Da Pontes drei Opern, die er für Mozart geschrieben hat, sind Commedia dell’Arte, und der Mozart hat die entsprechende Musik dazu gemacht. Die vermittelt fast mehr als das Libretto, das ist wirklich kongenial.

Im Grunde machen Sie immer schon ­Musiktheater. Ein Stück wie „Murmel Murmel“ von der Berliner Volksbühne etwa ist zwar Sprechtheater, arbeitet aber ganz stark an einer Partitur entlang …

Fritsch: … auch „Schule der Frauen“. Alles Musiktheater. Ich inszeniere nicht auf Inhalt, ich inszeniere auf Klang. So kommt man viel näher an etwas ran, was man vorher nicht beabsichtigt hat. Vorher alles genau zu wissen, das ist langweilig. Das ist Stadttheater. Aber für mich ist die Musikalität entscheidend. Im Schauspiel und in der Oper, da mache ich keinen Unterschied.

Sie machen jetzt den Spielzeitauftakt an der Staatsoper, Ende des Monats eröffnet Ihre Züricher Arbeit „Grimmige Märchen“ das Hamburger Theaterfestival – ist es sinnvoll, beide Stücke nacheinander zu sehen?

Fritsch: Das, was ich mir unter Theater vorstelle, ist jedenfalls in beiden Abenden drin.

„Cosí fan tutte“ Premiere Sa 8.9., 18.00, Staatsoper, Karten zu 8,- bis 195,- unter T. 35 68 68, weitere Vorführungen ab 12.9.; www.staatsoper-hamburg.de