Hamburg. Französischer Abend mit NDR Elbphilharmonie Orchester und Krzysztof Urbanski. Der Dirigent erlaubte sich einen Scherz.

Opening Night. Eröffnungsnacht. Gibt es ein suggestiveres Wort für einen Saisonauftakt? Was hat der NDR unter diesem Motto für rauschende Feste gefeiert, damals in der Laeiszhalle: Es floss der Sekt, es summte und sirrte im Publikum, selbst Plüsch und Blattgold schienen vor Erwartung zu zittern. Dem damaligen Chefdirigenten und Moderator in Personalunion Thomas Hengelbrock gelang es, alle Anwesenden zu einer Gemeinschaft zusammenzuschweißen, bis man spätabends, selbstvergessen und besoffen von all der prickelnden Musik, irgendwann nach Hause taumelte.

Und nun? Zur diesjährigen Opening Night am Sonnabend herrscht in der Elbphilharmonie beste Laune, kein Zweifel. Nur könnte der französische Abend mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester und Krzysztof Urbanski genauso gut ein Abo-Konzert sein, der legeren Garderobe einiger Konzertbesucher nach auch durchaus noch ein spätes Sommerkonzert.

Elbphilharmonie: Geteilte Welt drinnen und draußen

Niemand richtet das Wort an die Hörer; nix Überlänge, keine Federboas oder bunten Röcke wie anno dazumal und schon gar kein Chor der Orchesterdamen. Wie schon an den vorangegangenen Abenden wird auch dieses Konzert auf den Vorplatz übertragen. Schon eine Stunde vor Beginn waren die Treppenstufen voll besetzt, die Stimmung blendend, der Wind noch erstaunlich lau für einen Septemberabend in der windzerzausten Hafencity. Nur bekommt das Publikum droben im Großen Saal davon so gar nichts mit. Geteilte Welt.

Rein musikalisch freilich lässt die Atmosphäre an diesem Abend nichts zu wünschen übrig. Unter der geschmeidigen Stabführung des Publikumslieblings Urbanski – wenn’s spannend wird, zieht er gerne mal in einer tänzerischen Drehbewegung das linke Knie vor das rechte Bein – feiern die Musiker den französischen Komponisten Maurice Ravel. Beinahe völlig im Dunklen beginnen die drei „Fragments symphoniques“ aus der Ballettmusik „Daphnis et Chloé“, zum Wassermurmeln und -sprudeln des „Lever du jour“ wird die Bühnenrückwand feuerrot.

Der Klang entfaltet sich so räumlich, dass man ihn schier anfassen kann. Die Piccoloflöte schmeichelt, die Streicher kleiden ihre Kantilenen in kostbar mürbe Seide, und Urbanski mischt die Klangfarben der Naturschilderungen, die sich so nur ein Ravel einfallen lassen kann, kongenial ab. Nur beim großen Flötensolo denkt der Hörer sehnsüchtig an das SHMF-Eröffnungskonzert des Orchesters vom vergangenen Jahr, als ein im Programm nicht namentlich genannter Gastflötist die Sterne vom Himmel herunterspielte.

Als hätte Ravel sich bei Gershwin bedient

Der Peitschenknall zu Beginn des G-Dur-Klavierkonzerts wirkt etwas schüchtern. Dann aber stürzen sich die Musiker in das gemeißelte, jazzfarbene Staccato des ersten Satzes, das wirkt, als hätte es Ravel direkt bei seinem amerikanischen Kollegen George Gershwin ausgeliehen und zu etwas Eigenem gemacht. Die Orchestersolisten und der Pianist Bertrand Chamayou teilen sich den Spaß, und in die Schlusskurve rasseln dann alle mit einem derart charmant abgerockten Groove, als wären sie eine altgediente Südstaaten-Tanzkapelle.

Zwischenapplaus, na klar, und weiter geht’s. Im zweiten Satz singt Chamayou und lässt der Melodie Zeit zum Atmen. Hier und da täte es womöglich auch weniger Pedal, zumal der ausgewiesene Ravel-Experte Chamayou sein untrügliches Gespür für das rechte Maß doch längst bewiesen hat.

Das Zeitgenössische wird gepanzert mit viel Blech

Das einzige gesprochen Wort des Abends kommt vom Solisten. Der sorgt für Gelächter mit der lakonischen Ansage, er werde ein Werk von Maurice Ravel zugeben. Und spielt dann die „Pavane pour une infante défunte“, das Wiegenlied für eine tote Prinzessin: ganz in Dur und trügerisch heiter, unerbittlich im Zeitmaß.

Nach der Pause kommt das zeitgenössische Werk des Abends. „Les cités de Lovecraft“ von Guillaume Connesson, uraufgeführt im vergangenen Jahr, ist eine Verneigung vor Strawinsky, Debussy und weiteren Großen des frühen 20. Jahrhunderts. Gut gebaut, gepanzert mit viel Blech, dazu Anklänge aus Jazz und Pop sowie ein paar hollywoodreife, geradezu visuell greifbare Spezialeffekte, fertig ist das schmissige, gut verdauliche Stück Neuer Musik, das in unserem Jahrhundert zu verorten schon einige Willenskraft verlangt. Aber für Herz und Ohr ist vieles drin, etwa das traumgleich in sich gekehrte Bratschensolo von Jan Larsen.

Den Schluss macht, wie könnte es anders sein, Ravels „Boléro“. Den kennen alle, den lieben alle, und alle können dank der Sitzanordnung dem Schlagzeuger Thomas Schwarz auf die Schlägel gucken. Womit sie nicht gerechnet haben: Urbanski tritt vors Orchester – und verlässt das Podium gleich wieder, um sich grinsend ins Parkett zu setzen. Der „Boléro“ geht doch immer geradeaus, wofür braucht es da einen Dirigenten? Urbanski lässt den Schluss wiederholen – kann sein, dass der mit Urbanski dann doch noch ein bisschen genauer zusammen ist. Und das ist ja auch gut so, damit niemand auf falsche Gedanken kommt.

Und sonst? Hey, keine Zugabe? Nein, es bleibt dabei. Um viertel nach neun ist diese „Nacht“ schon zu Ende. Unten auf dem Vorplatz ziehen noch ein paar späte Besucher mit ihren Sitzkissen und Windjacken von dannen.