Hamburg. Das Freiluft-Theater in der Speicherstadt geht in seine 25. Spielzeit. Autor Michael Batz spricht über Anfänge und Zukunft.

Seit 1920 gehört das Stück vom „Jedermann“ zu den Salzburger Festspielen wie der dortige sogenannte Schnürlregen. Hugo von Hofmannsthals inzwischen 107 Jahre altes Mysterienspiel ist dort auch wegen der beinahe alljährlich wechselnden, prominent besetzten Buhlschaft eine öffentlichkeitswirksame Attraktion. Seit 1994 indes hat Hamburg ebenfalls seinen „Jedermann“. Und seit der hanseatischen Uraufführung trägt das Stück den Zusatz „Das andere Spiel vom Sterben des reichen Mannes“. Geschrieben hat es der Autor und Dramaturg Michael Batz, als gefragter Theater- und Lichtkünstler („Blue Goals“, „Blue Port“) längst über die Stadtgrenzen hinaus bekannt.

Am morgigen Freitag startet „Der Hamburger Jedermann“ am Brooksfleet in seine 25. Spielzeit. Die Geschichte steht: Auch in diesem Jahr will sich der Jedermann die Speicherstadt unter den Nagel reißen, verkauft dafür seine Seele, indem er einen Pakt mit dem Teufel schließt. In einer Kulisse, die – insbesondere bei Abendsonne – in Hamburg ihresgleichen sucht und das Publikum dank dem 14-köpfigen Ensemble (Regie: Teufel-Darsteller Erik Schäffler) stets aufs Neue in den Bann zieht. Wie immer hat Batz auch in diesem Jahr sein Textgerüst mit aktuellen Passagen versehen. Die Langlebigkeit seines Stücks überrascht jedoch auch den Autor.

Herr Batz, hätten Sie Ihrem „Hamburger Jedermann“ bei der Uraufführung 1994 eine solch lange (Über-)Lebensdauer attestiert?

Michael Batz: Die Idee, in der Speicherstadt, damals eigentlich urbanes Ausland, Theater zu spielen, war so neu, dass niemand an Dauer dachte. Es ging nur um eine einzige Spielzeit. Allerdings wurde dann sehr bald klar, welch ein grandioser Schritt da gelungen war. Einer, der viele weitere Projekte nach sich zog.

Ihr Stück trägt bis heute den Zusatz „Das andere Spiel vom Sterben des reichen ­Mannes“. Was war damals für Sie der Antrieb, eine hanseatische Version von Hugo von Hofmannsthals Mysterienspiel zu schreiben?

Batz: Pardon, der „Hamburger Jedermann“ geht auf die alte englische Moralität „Everyman“ von ca. 1490 zurück, keineswegs auf Hofmannsthals quasibarocken Religionsunterricht, den man nur durch Kostümwechsel erträgt. Mein Anlass war der Versuch eines Hamburger Stadtporträts nach dem Fall der Berliner Mauer. Die Frage, was überhaupt noch ein Lebenswert ist in einer Welt, die sich rücksichtslos durchkapitalisiert.

Im Zeitalter der Großprojekte kursierten ja sogar seit Mitte der 1970er-Jahre Pläne, die Speicherstadt abzureißen und die Fleete zuzuschütten. Wie sind Sie damals auf die Spielstätte am Brooksfleet gestoßen?

Michael Batz (66) weiß die Speicherstadt
in Szene zu setzen
Michael Batz (66) weiß die Speicherstadt in Szene zu setzen © HA | Mark Sandten

Batz: Das waren die Auswirkungen des Aufstands der letzten Quartiersleute, alles nachzulesen in der „Speicherstadt Story“, die ich sehr empfehle. Für das Stück sollte es natürlich der traditionelle Schatzkasten der Hamburger Kaufmannschaft sein. Ich erinnere sehr gut, wie Peter Dietrich, damals HHLA-Chef, ans Fenster seines Büros ging, auf die Speicherstadt zeigte und sagte: „Suchen Sie sich einen Platz aus.“ Großartig.

Seit der Ernennung der Speicherstadt zum Unesco-Weltkulturerbe im Juli 2015 heißt es in Ihrem Theater auch „Welterbe mit Weltbühne“. Ein zusätzlicher Werbeeffekt?

Batz: Die Vorlage „Everyman“ ist Weltliteratur seit 500 Jahren. Und der Titel ­Welterbe ist völlig zu Recht verliehen worden. „Weltbühne“ bezeichnet schlicht die Tatsache, dass nicht erst mit der Elbphilharmonie nennenswerte Kultur am Ort stattfindet. Wenn ich etwa auch an das Projekt „Mozart.Amerika“ und die Illumination der Speicherstadt denke.

Anfangs war Ihr Stück eher Anti-Establishment, inzwischen ist es Teil des Hamburger Kultur-Sommers, ja sogar eine Touristenattraktion. Ist „Der Hamburger Jedermann“ heute nicht auch ein Teil der von Ihnen im Stück thematisierten und kritisierten Eventisierung?

Batz: Wir sind, was wir seit Beginn waren: ein pures, sich ständig überprüfendes und änderndes Projekt. Es gibt einfache Holzstühle, kein VIP-Lounge, kein Merchandising. Auch wenn wir open air stattfinden: Für uns gelten die Regeln des Theaters, nur des Theaters, nicht der Event-Industrie.

Ort und Karten

Was hat sich denn mehr verändert: Ihre Textfassung, die Umgebung mit dem vielen Wasser oder schlicht und einfach der ­Zeitgeist?

Batz: Die Umgebung natürlich. Die Realität bemüht sich gewissermaßen, das Stück einzuholen und zum Lehrstück zu machen. Und die nach wie vor ungebrochene Zustimmung zeigt, dass auch der Zeitgeist nicht um Tatsachen des Lebens herumkommt.

Im Vorjahr haben Sie den Tod mit Jantje Billker erstmals weiblich besetzt. Welche Neuerungen gibt es personell und inhaltlich in dieser 25. Jubiläums-Spielzeit ?

Batz: Erwähnen muss ich zunächst Erik Schäffler und Johannes Haag, unsere „Eisernen“, beide sind von Beginn an dabei. 25 Jahre, den Zeitraum muss man sich mal vorstellen, das ist unglaublich! Und mit der Interpretation des „Tods“ durch Jantje Billker haben wir eine fantastische Neuerung geschafft, die alte Denkgewohnheiten aufbricht. Ansonsten freuen wir uns auf Markus Gillich, der vom Ohnsorg-Theater neu zu uns gekommen ist, und natürlich die Aktualisierungen, die jedes Jahr anstehen – mit lokalen wie internationalen Be­zügen.

Zur Uraufführung 1994 haben Sie von der Kulturbehörde sogar 55.000 D-Mark Förderung bekommen. Gab es danach noch mal Zuschüsse, und fühlen Sie sich von der Stadt bei Ihrem Freiluft-Theater eigentlich angemessen gewürdigt?

Batz: Die Projektförderung des Anfangs gehört wahrscheinlich zu den am besten angelegten Mitteln, die die Kulturbehörde vergeben hat. Seitdem spielen wir ohne Subventionen auf eigenes Risiko. Angemessen gewürdigt fühlt man sich in unserer Situation durch Wertschätzung und kluge Moderation. Wir werden Barbara Kisseler ewig dankbar sein.

Wofür steht „Der Hamburger Jedermann“ heute? Und wie lange kann er am Rande der noch immer wachsenden HafenCity überdauern?

Batz: Der „Hamburger Jedermann“ ist maßstäblich geworden – für den Mut und die Qualität eines künstlerischen Entwurfes, die Lust am Neuen und an echter Entdeckung, die Arbeit im Ensemble, nicht zuletzt durch die Haltung, sich nicht korrumpieren zu lassen. Das Projekt wird so lange bleiben, wie es die Umstände erlauben.