Hamburg. Singen, bis das Herz bricht: Jonas Kaufmann, Diana Damrau und Helmut Deutsch interpretieren Wolffs „Italienisches Liederbuch“.
Zwei Opernstars, die gern für die großen und schnell dankbaren Helden- und Diven-Partien gebucht werden, im Großen Saal der Elbphilharmonie, und was servieren Diana Damrau und Jonas Kaufmann auf diesem Klassik-Präsentierteller de luxe? Das reinste Kassengift aus einer Repertoire-Nische, auf etliche kleine Portionen verteilt zwar, und dennoch: Unter anderen Umständen, in anderen Räumen, hätte dieses Programm ein ziemlich großes Akzeptanzproblem und mit weniger großen Namen erst recht. Hugo Wolffs „Italienisches Liederbuch“ ist nichts, was sich so einfach wegsingen oder durchhören ließe, das muss man schon sehr wollen.
Es ist die vertonte Fieberkurve einer Beziehung
Auch hier, umgeben, ach was: umzingelt von mehr als 2100 Menschen, ist Wolff als einziger Programmpunkt nicht ohne Problemzonen. Man darf gedanklich nicht abbiegen, man muss unentwegt die kurze Distanz zum Notentext halten, der vor lauter Erzählen nur selten Raum zum Aussingen gibt. Die Musik will Kammerspiel, bei dem das Bravouröse nur in der Nahaufnahme passiert und funktioniert, der Hamburger Raum jedoch bietet ganz großes Drama.
46 Kleinigkeiten werden gegeben, verkunstliederte Momentaufnahmen, die aus heutiger Sicht wie eine romantisch verklärte Version einer WhatsApp-Konversation wirken: Er sagt, sie sagt, er behauptet zurück, sie findet einfach etwas anderes, und all das irgendwo im damaligen Bildungsbürger-Sehnsuchtsland Italien, wo man die Anatomie der Angebeteten schon mal mit der Architektur des Doms von Siena vergleicht (was sich in einem der nächsten Lieder prompt rächt). Die vertonte Fieberkurve einer Beziehung, die man beim Werden beobachtet, mit ihren Aufs und Abs, dem Flirten und dem Zweifeln. Um so etwas wie einen dramaturgischen Ablauf hineinzubringen, haben die Interpreten sich ihre eigene Abfolge kombiniert, doch auch so bleibt die Balance zwischen ihm und ihr und dem Gesungenen schwierig.
Ein sehr feines Vergnügen
Weiter verkompliziert wird die Sache mit der Annäherung und dem Hin und dem Her durch das starre Format-Korsett: Für Sänger, die aus Opern direkte Reaktionen, stimmlich oder szenisch, vom Gegenüber gewohnt sind, sind diese Lieder Geduldsproben, da sie unmittelbar gemeint sind, aber nicht unmittelbar antworten können. Vor allem aber sind sie viel komplizierter, als sie wirken, weil es ausgesprochene Petitessen sind, die schon beim geringsten Überdruck ihren zerbrechlichen Charme der Kleinteiligkeit verlören.
Damrau und Kaufmann sind an diesem Abend klug und gut genug, um sich zu beherrschen und das jeweilige Stimmvolumen im Zaum zu halten. Sie setzen ihre Spitzentöne und die dynamischen Temperamentsausbrüche gekonnt sparsam ein, es ist ein sehr feines Vergnügen, ihnen dabei zuzuhören, denn der Charme geht so dankenswerterweise nicht verloren.
Ohnehin haben sich hier zwei Charaktere auf einer Bühne eingefunden, deren Gegensätze anziehend wirken: einerseits der leuchtend, manchmal verspielt gurrende Sopran von La Damrau, die nur sehr selten durchblitzen lassen darf, wie viel Temperament unter der Oberfläche zu halten ist. Andererseits der Strahletenor Kaufmann, dessen Stimme, baritonal angedunkelt, im interessanten Widerspruch zur jugendlichen Unbedarftheit steht, die dem männlichen Part des Liederbuchs die Spannung gibt, weil am Ende ja doch sie das letzte Wort hat.
Dritter in diesem Bunde, bescheiden bis zur Selbstverleugnung, ist der Klavierbegleiter Helmut Deutsch. Oft hat er nur wenig zu tun, und das ist dann noch nicht mal besonders interessant gesetzt, sondern nur als Akkord-Rahmen gedacht. Deutsch ist solche Zuarbeit gewohnt, er spielt wie geschrieben, nicht mehr, nicht weniger. Der fahle, todesnahe Tiefpunkt und zugleich ein Höhepunkt des umjubelten Abends ist Wolffs Nummer 33, „Sterb ich, so hüllt in Blumen meine Glieder“. Ein Lied wie von Orpheus auf dem direkten Weg in die Unterwelt gesungen, bei dem Kaufmann sich ganz und gar zurücknimmt, nur noch andeutet, bis fast die Stimme bricht. Und so manches Herz, das zuvor nichts von dieser Musik wusste, hoffentlich gleich mit.