Hamburg. Die Musikerin überzeugt mit dem Beethoven-Konzert und Sir Antonio Pappano mit seinem römischen Orchester.
Kann man so machen, dann ist es halt toll. Auf diese in sich passend widersprüchliche Kurzformel ließe sich der Elbphilharmonie-Auftritt von Übergeigerin Anne-Sophie Mutter bringen, den sie dort mit Orchester hatte und bei dem sie dem verzückten Publikum ihre Version des Beethoven-Konzerts kredenzte. Wenn sie dieses Stück spielt, wird es nicht mehr grundsätzlich hinterfragt, es wird vielmehr gefeiert, staatstragend verehrt.
Das Podest, auf dem sie steht, wird beweihraucht und belorbeerkranzt; eine Heiligsprechung könnte mit dieser Methode vertont werden. Und es gibt ja auch nur wenige Komponisten seiner Zeit, die eine derartige Bewunderung mehr verdient hätten als der Bockige aus Bonn, der dem Schicksal chronisch gern den Krieg erklärte.
Doch: Ringen, hadern, zweifeln, verzweifeln womöglich, das kommt in Mutters klar geregelter Welt aus Wille und Vorstellung nicht vor, obwohl die Interpretin natürlich und mit allem Recht der Welt das Gegenteil und die emotionalen Anstrengungen betonen würde.
Timing wie ein Schweizer Uhrwerk
Spielen im Sinne von: fehlerfrei bewältigen kann Mutter Beethovens op. 61 in D-Dur schon seit Jahrzehnten im Schlaf, das Timing ist wie das eines exquisiten Schweizer Uhrwerks: Keinen, wirklich keinen einzigen Moment zu früh setzte sie den Bogen an, um in die erste Phrase im Kopfsatz hineinzubrillieren.
Eine schaffensmächtige Zielgewissheit, mit der man lahmende Führungskräfteseminare auf Trab bringen könnte. Weit und breit kein: Ach was, lasst uns doch mal ausprobieren, wie es auch gehen könnte, und wenn etwas tatsächlich nicht klappt, auch kein Weltuntergang, wir haben es dann wenigstens mal probiert.
Interessant dabei war die leichte Reibung zum anders gewichtenden Ansatz, den das Umrahmungsorchester beisteuerte: Mutter war mit dem römischen Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia zu Gast, mit dessen temperamentvollem Chef Sir Antonio Pappano, und diese beiden Faktoren nahmen Beethoven geschmeidiger, wolkiger fast, luftiger und weniger in HD als die Solo-Virtuosin.
Mit dem ersten Beethoven-Satz war alles gesagt
Überhaupt, dieses Orchester, dieser Dirigent, in diesem Saal: Pappano war an diesem Abend jeden Takt lang fröhlich entschlossen, sich nicht abhängen zu lassen und als solider Zulieferer zu enden – gerade bei diesem Konzert, in dem Haupt- und Nebenrollenbesetzung wechseln und der Dialog wichtiger ist als das klare Oben und Unten, wäre das ohnehin nicht durchhaltbar oder sinnvoll.
Und während Mutter also ihre Passagen mit hochkonzentrierter Tondeutlichkeit modellierte und Wertarbeit am Werk vollzog, genossen die Italiener spielerischer die Herausforderung aus Raum und Gast-Star. Und den Spaß, sich mit der Akustik und den speziellen Eigenheiten gerade dieses Konzertsaals anzulegen.
Deswegen nutzten sie die Gelegenheit, die klassische Proportionsgründlichkeit auch mal klassische Proportionsgründlichkeit sein zu lassen und gönnten sich kleine Spielräume für Gestaltungsschlenker. Die Chefin neben ihrem Chef würde sie eh wieder auf Linie bringen.
Mit dem ersten Beethoven-Satz war eigentlich alles schon gesagt, klar war: Es kommt noch mehr, aber noch besser, noch eindringlicher und erst recht spontaner? Dafür war man an diesem Abend im falschen Solo-Konzert. Doch wie radikal sich Mutter in der Dynamik zurücknehmen konnte, wie drastisch sie vor dem Einstieg ins flott-forsche Rondo den Strich verfeinerte und ausdünnte, bis nur noch eine weißgoldene, vage Ahnung von Ton blieb – auch das macht so schnell niemand nach.
Zwei Violinkonzerte für den Preis von einem
Dass es fast zwei Violinkonzerte für den Preis von einem gab, während nur eines deutlich im Programm angekündigt wurde, war Pappanos Begeisterung für Strauss zu verdanken. In dessen „Heldenleben“ darf der Konzertmeister, in diesem Fall der junge Spanier Roberto González-Monjas, ganz groß aus seiner Rolle rauskommen.
Man kann Geige durchaus auch so spielen, zeigten seine Einsätze: bodenständiger, aufgedrehter, anders durchblutet, nicht so ungemein nobel durchdacht und sophisticated wie vor der Konzert-Pause, sondern aus dem sprichwörtlichen Bauch heraus.
Als Zugabe gab es etwas Italienisches
Mit dieser großorchestral inszenierten Lust aufs pralle Ausleben von musikalischen Exzessen wurde diese Sinfonische Dichtung, in der Strauss es gern mal übertreibt mit der Künstlerseelen-Egozentrik, zum funkelnden Gewusel aus Motiven, Schmalz, Bombast und Schwung.
Von Anfang an spielte das Tutti so heißherzig mit, wie es dem Renommee seines Chefdirigenten entspricht. Und was am Ende an Abgeklärtheit fehlte, nachdem alle hineinkomponierten Anspielungen auf Strauss’ eigenen Werkkatalog durchs Bild gerauscht waren, das machte Pappano mit anderen Ausdrucksmitteln rasant wirbelnd wieder wett.
Denn die Zugabe, so viel Nationalstolz darf schon sein beim Elbphilharmonie-Debüt, konnte nur Italienisches sein, natürlich Oper, Verdi, eine kleine Portion Hexentanz aus „Macbeth“. Leider nur eine kleine Portion.
CD-Tipps
Antonio Pappanos aufsehenerregendste Aufnahme der letzten Jahre dürfte die All-Star-Version von Verdis „Aida“ (Warner, 3 CDs) sein. Eine mehrfach ausgezeichnete Studio-Einspielung, die zeigt, wie sehr die italienische Oper diesem Dirigenten im Blut liegt. Anja Harteros als Aida und Jonas Kaufmann als Radamès, das römische Orchester in Spitzenform, die Messlatte liegt seitdem sehr hoch.
Kleiner, gänzlich anders, auch fein: die Zusammenarbeit von Anne-Sophie Mutter mit dem Pianisten Daniil Trifonov bei einer lebendigen Einspielung von Schuberts „Forellenquintett“ (DG).