Hamburg. Karin Beier zeigt Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ und versucht dabei, eine Menge Ebenen und Religionen zu balancieren.

Am Ende ist es die Jugend, die den Aufbruch schaffen kann. Den Aufbruch aus einer Gesellschaft, in der Verschwendung und Vorurteile das Leben bestimmen. Gala Othero Winter sitzt als Jessica, Tochter des Juden Shylock, am Tisch, schleppt diesen und mit ihm das Erbe der Vergangenheit auch mal mit sich herum und rezitiert aus dem Off düstere Zeilen. „Ich werde der Orkan sein und nach ihm die phänomenale Schönheit, der wundervolle Hoffnungsschimmer der großen Anfänge.“

Ein nachdenklicher, mit Fragezeichen behafteter Epilog beschließt das tolle Treiben in Karin Beiers Version von „Der Kaufmann von Venedig“ am Schauspielhaus. Seit Jahrzehnten beschäftigt die Intendantin sich mit Shakespeare, diesmal mit seinem politisch umstrittensten Stück. Es gilt, eine Menge Ebenen, Gruppierungen, Religionen, Zuschreibungen zu balancieren.

Meyerhoff rückt seine Figur ins Zentrum

Beier stellt in der Inszenierung vor allem ihre eigene reflektierte Ratlosigkeit aus. Die Komödie wiederum liegt ihr, allein der Schauplatz gibt ihr Raum für manch rheinisch anmutende Fröhlichkeit, verpackt in venezianischem Mummenschanz. Auch wenn das ganze manchmal, zu arg auf Brüller abzielend, über das Ziel hinausschießt.

Venedig ist eine brüchige, bedrohte Welt. Das Bühnenbild von Johannes Schütz, ein wie eine Plakatwand errichteter Wohn-Sockel, kracht schon bald in sich zusammen und hinterlässt eine staubige Kraterlandschaft. Carlo Ljubek gibt dem dauermelancholischen, angeödeten Christen Antonio ein liebenswertes Gesicht. Gebeutelt von einer unausgelebten Liebe zu Bassanio, gespielt von Matti Krause, will er dessen Brautwerbung um die wohlhabende Adelige Portia in Belmonte fördern, allein er ist nicht flüssig. Und so muss der eigentlich gesellschaftlich geächtete Jude Shylock aushelfen. Joachim Meyerhoff rückt seine Figur in nur wenigen Szenen unübersehbar ins Zentrum. Am Tisch sitzend, Zeitung lesend, rauchend, ist er eine coole, grimassierende, geheimnisvolle Eminenz in Schwarz und selbst dann noch unübersehbar präsent, wenn er dem Publikum den Rücken zukehrt.

Der ungeliebte, als Wucherer verschriene Außenseiter gefällt sich in der Rolle des Retters und beginnt ein grausiges Spiel. Ein Pfund Menschenfleisch will er aus dem Körper Antonios, sollte dieser seine Schulden nicht begleichen können. Immer wieder wurde Shakespeare für dieses Stück Antisemitismus vorgeworfen.

Manches bleibt schwer verständlich

Wer steht wo, wer ist drinnen, wer draußen, was bestimmt die eigene Identität? Das sind die eigentlichen Fragen, die Beier an das Stück richtet. „Die Russen“ werben anders als „der Chinese“ offenbart Portia, gespielt von der barock aufgerüschten Angelika Richter. Sie ist wenig romantisch verblendet, käut Vorurteile wieder. Und die Juden? „Sie sind traurig, weil sie Opfer sind.“ In Portias Welt aus altem Adel kann man sich alles kaufen. Das macht sie zur Sehnsuchts­figur für die von Schulden und Verschwendung geplagten Städter Venedigs. In das Ringen der Systeme und Gedanken und die ironische Überzeichnung mischen sich noch Märchen, Liebe und am Ende eine Verwechslungskomödie hinein, in der Männer und Frauen sowohl Kleider als auch Rollen tauschen. Wird es zu abgründig, lässt Beier die Narren los. Etwa Jonas Hien als Antonios Freund Salerio und Jan-Peter Kampwirth als ungelenker Clown in der Rolle von Shylocks Diener Lanzelot Gobbo. Beier inszeniert den Stoff mit wenigen Verkürzungen, lässt die Figuren immer wieder aus der Inszenierung heraustreten und Kommentare ans Publikum richten. Häufig sind sie erheiternd, wenn etwa Joachim Meyerhoff, als es an die Wahl des richtigen Kästchens mit Portias Bild durch ihre Freier geht, einen Exkurs über Gold in der Kunstgeschichte hält. Von Klimts golddurchwirkten Frauengewändern bis Rembrandts „Mann mit dem Goldhelm“. Oder sei das jetzt vielleicht schon Ironie, fragt Meyerhoffs Shylock, von sich selbst berauscht.

Meyerhoff ist der schillernde Trumpf dieser Inszenierung, egal welche Albernheiten er von sich gibt. Er stattet Shylock mit einer großen Portion Lust, Dreistigkeit und Selbstgewissheit aus. Als seine die jüdische Herkunft bald verleugnende Tochter Jessica überzeugt Gala Othero Winter, eine existenzialistische Intellektuelle.

Andere Kommentare funktionieren weniger gut, kommen belehrend über die Rampe und sorgen eher für Zerfaserung als Zusammenhalt des Stoffes. Von Insidern ist die Rede, die als Einzige die Codes verstehen würden. Von „auserwähltem Geschmacksadel“. Sie schwächen den Abend eher mit dem Versuch, Gegenwart herzustellen. Denn in Shakespeare steckt reichlich Überzeitliches über Ausgrenzung drin. Die zusätzlichen Texte, die zum Teil aus dem dramatischen Gedicht „Wir Wellen“ der Französin Mariette Navarro stammen, versuchen den Bogen zu schlagen von einer überkommenen Welt in eine neue. Das ist mutig, bleibt in dem Kontext dieser vielen Handlungsebenen aber schwer verständlich. Und raubt dem Ende seine Wucht.

„Der Kaufmann von Venedig“ wieder am 25.2., 18.00; 28.2., 20.00; 2.3., 20.00; 11.3., 17.00, Schauspielhaus (U/S Hbf.), Kirchenallee 39, Karten zu 11,- bis 49,- unter T. 24 87 13