Hamburg. Im Thalia Theater feierte „Tod eines Handlungsreisenden“ Premiere. Von Leistungsdruck und Selbstoptimierung.
Verbissen hält sich Willy Loman (Kristof Van Boven) an seinem Karton fest. So als würde der seine Handelsvertreterexistenz beglaubigen. Dabei enthält er lediglich Tischtennisbälle. Gerade jetzt wetteifern die Söhne Biff (Sebastian Rudolph) und Harold „Happy“ (Rafael Stachowiak) vor seinen Augen mit ihren Schlägern, bis Biff der Länge nach einfach auf die Platte knallt.
Regisseur Sebastian Nübling schenkt seinen Figuren nichts in seiner unerbittlichen, sehr körperlich-sportiven Lesart von Arthur Millers Klassiker „Tod eines Handlungsreisenden“. Das Stück, geschrieben 1949 vor dem Hintergrund von Depression und einer sich wandelnden US-Arbeitswelt, hat heute, in Zeiten von Selbstoptimierung und in einer Leistungsgesellschaft, die schon Grundschüler erfasst, nichts von seiner Dringlichkeit verloren.
Allerdings verfällt Nübling nicht der Versuchung, Abgehängte oder abgestürzte Mittelschichtler zu karikieren, er nimmt das Stück, das jetzt Premiere im Thalia Theater hatte, wohltuend ernst.
Der Vater ist am Ende, die Söhne sollen es richten
Auf den ersten Blick sind die Lomans eine Familie wie viele andere auch. Der Vater rackert sich – erfolglos – ab, die Mutter biegt den Haussegen immer wieder gerade, die Söhne taugen mehr oder weniger nichts. Unter dem selbst beschworenen Glanz lauert nur noch das Versagen. Eigentlich liegt zu Beginn schon alles in Trümmern, und Willy Loman selbst ist so gut wie tot. Es ist erschütternd zu sehen, mit welcher Beharrlichkeit er an die doch längst gebrochenen Versprechen des amerikanischen Traums glaubt.
Vor der düsteren Treppenkulisse (Bühne: Evi Bauer) findet die Inszenierung aus dem Stand ihr Tempo. Sebastian Nübling hat die Sportmetapher schon häufiger benutzt. Hier bewahrt sie die Inszenierung nicht nur vor einem Versinken in platten Realismus, sie hat als Assoziationsebene auch eine inhaltliche Entsprechung. Lomans Sohn Biff ist Athlet. Der Vater und der Bruder fabulieren eine große Karriere für ihn herbei, zu der es natürlich nie kommt. Die munter springenden Tischtennisbälle fliegen bald, automatisiert ausgespuckt von einer Ballmaschine, Willy Loman wie Ohrfeigen ins Gesicht. Er pariert sie schon lange nicht mehr.
Nach 36 Jahren des Herumreisens, des ständigen Verkaufenmüssens, ist er erschöpft. Die Firma dankt ihm nichts. Andere sind schneller und besser. In einem letzten grausamen Akt der Demütigung setzt ihn die Chefin schließlich vor die Tür. Und doch mag Loman einfach nicht von seinen Lebenslügen lassen.
Nun sollen die Söhne es richten, die Haushypothek will schließlich abbezahlt werden. Doch wie soll das gehen, mit einem Biff, den Sebastian Rudolph mit zerrissenem Loser-Rebellentum und großer Verlorenheit gibt? Die Wortduelle, die er sich mit Rafael Stachowiak als seinem gleichgültigen, ebenso erfolglosen Bruder liefert, sind große Schauspielkunst. Für den Vater, dessen Leben „nie eine Schlagzeile wert war“, haben beide nur Verachtung übrig.
Gegeneinander das neue Miteinander
Überhaupt spielt das ganze Team hier beachtlich auf. Marina Galic als dauerrauchende, verletzliche Loman-Gattin Linda ist mit ihrem Durchhaltewillen ein Symbol der Stärke, des Familiengeistes und der Liebe.
Kristof Van Boven erweist sich, obwohl er gerade mal so alt ist wie sein Bühnen-Sohn Biff als ebenso ungewöhnliche wie glückliche Besetzung. Mit seiner Kassenbrille, die er gefühlt 100-mal zurechtrückt und in seiner unscheinbaren braunen Vertreteruniform ringt Van Boven der Figur eine anrührende Menschlichkeit ab. Hinter der Lächerlichkeit eines Mannes, der mit scheuem Blick versucht, Verlegenheit zu überspielen und sich auch mal hinter einer Topfpflanze versteckt, findet er zu dramatischer Würde. Der Starrsinn begleitet ihn bis zum Schluss.
„Gegeneinander ist das neue Miteinander“, verkündet Happy mit kaum verhohlenem Zynismus. Passend dazu lässt Nübling eine zehn Mann starke American-Football-Mannschaft aufmarschieren. In den schwarzen Uniformen (Kostüme: Amit Epstein) bekommt sie etwas Militärisches, fast Bedrohliches. Einer wie Willy Loman muss gar nicht erst versuchen, es mit den Spielern aufzunehmen.
Die Trip-Hop-Nummern hätte es nicht gebraucht
Vor dem Familienelend und all dem Druck, der Willy Loman schließlich zu einer radikalen Tat verleitet, die seiner Familie wenigstens seine Lebensversicherung sichern soll, flüchtet er sich in Gegenwelten. Mit artistischem Geschick schwingt sich Alicia Aumüller die Pole-Dance-Stange empor, singt ein paar schmerzvolle, mitunter arg ausgewalzte Trip-Hop-Hymnen des famosen Musikers Lars Wittershagen. Dramaturgisch hilft das nicht unbedingt weiter. Aber das ist nur ein kleiner Punktabzug in einer ansonsten sportlich-starken Inszenierung.
„Tod eines Handlungsreisenden“ weitere Vorstellungen 1./2.12., 12.12., 2.1.2018, jeweils 20.00, Thalia Theater, Alstertor, Karten unter T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de