Hamburg. Kristof Van Boven spielt in Arthur Millers Klassiker am Thalia Theater die Hauptrolle des Willy Loman. Am Sonnabend ist Premiere.

Kristof Van Boven ist ein erstaunlicher Schauspieler. Eines der rätsel­haftesten Mitglieder des Thalia-Ensembles. Er spielt häufig Rollen, die ihre Bedeutung erst auf den zweiten Blick entfalten. Und doch ist es unmöglich, ihn zu übersehen. Sogar als er sich in Theodor Storms „Der Schimmelreiter“ hinter einer Maske verbarg. Oder in der (Frauen-)Rolle der Eliza in „Pygmalion“ im rosa Kleidchen als einziges menschliches Wesen durch ein Theatergruselkabinett tanzte. Die Inszenierung der Regisseure Ene-Liis Sempers und Tiit Ojasoos war eine sehr freie Variante des Stoffes.

Van Boven fällt auf, weil er aus dem Rahmen fällt, mit seiner Jockeystatur, der hohen Stimme und dem belgischen Akzent. Seine Könnerschaft speist sich aus vermeintlichem Unvermögen. Ab dem 25. November spielt er nun in „Tod eines Handlungsreisenden“ von Arthur Miller seine erste richtige Hauptrolle, den Willy Loman. Die Regie hat Sebastian Nübling.

Tasten und Suchen

„Es ist ein Tasten und Suchen“, sagt Kristof Van Boven nach einer Probe und raucht. Die Arbeitsweise des Regisseurs empfindet er als angenehm. „Er gibt zu, dass er am Anfang nicht weiß, wohin es führt. Und wenn er dann eine Spur findet, folgt er ihr.“

Das Stück

Auch dieser Schauspieler wirkt glaubhaft bescheiden. Ein Besuch des Stücks „Pygmalion“, das ihm mit der Rolle der Eliza Doolittle den Rolf-Mares-Preis einbrachte, lohnte sich nach Übereinstimmung von Kritikern und Zuschauern vor allem wegen seines unerschrockenen, komischen, grenzüberschreitenden Spiels. „Das ging halt schief“, sagt er über die Inszenierung und lacht. „Das war Ausdruck meiner Verzweiflung.“ Das Kind im „Schimmelreiter“ hinter einer Maske zu geben ist wiederum Zeichen einer Schüchternheit, die Van Boven in Stärke ummünzt. Gefühle wie Verzweiflung oder Frustration, die Sorge, nicht zu genügen, können einen Schauspieler weit tragen.

Sehr körperliches Spiel

Kristof Van Boven kommt aus einem kleinen belgischen Dorf. Pferde und das Jockey-Reiten waren seine erste große Liebe und sind es ein bisschen bis heute geblieben. Doch der Druck der Familie, einen akademischen Beruf zu ergreifen, war groß. Das Germanistikstudium erschien ihm seltsam statisch, erst an der Hochschule der Künste in Arnheim, an der er zum Schauspieler wurde, entwickelten die Texte ein Eigenleben – das gefiel ihm.

Gerade weil er Belgier ist, setzt er sich stark mit Sprache auseinander. Das mag der Grund sein für sein sehr körperliches Spiel, das sich auch die angesagte Choreografin Meg Stuart zunutze macht. Mit zweien ihrer Stücke ist Van Boven nach wie vor auf Tour. „Gerade mit der körperlichen Konzentration darauf, was es heißt, auf eine Bühne zu gehen, kann man Sprache als Musik betrachten“, sagt er. Viele Regisseure haben ihn dahingehend ermutigt. „Ein Körper sagt eigentlich schon sehr viel, auch wenn er nicht spricht.“

Das Paradox als Schauspieler

Die Präsenz des Körpers, das „Öffnen“ der Brust, auch das hat er bei den Pferden gelernt. So wie die Geselligkeit und das scheinbare Nichtstun. Man kann das auch im Gespräch beobachten: Van Boven reibt sich die Augen, fährt sich durch die Haare, manchmal fixiert er einen Punkt in der Ferne.

Als der Regisseur Johan Simons, mit dem er lange Jahre in Belgien frei gearbeitet hatte, Intendant der Münchner Kammerspiele wurde, nahm er Van Boven mit. „Bei mir stellt sich immer die Frage, wie gehe ich mit Unvermögen um. Das ist das Paradox als Schauspieler. Ich kann etwas auswendig lernen und behaupten, aber die Zuschauer interessiert nur, wie man sich herauslügt, wenn man dicht am Abgrund steht und ein Windstoß kommt.“ Er denkt viel über das Agieren auf der Bühne nach.

Van Boven ist in Hamburg angekommen

„Ich habe Schauspieler immer für selbstmitleidig gehalten und lieber Gedichte gelesen. Ich war nicht der, der auf den Tisch stieg und alle unterhalten hat“, sagt Kristof Van Boven. „Das ist immer eine Kurve aus Scham gewesen.“ Wenn er andere Schauspieler sah, dachte er: „So ein Mensch bin ich nicht.“ Bis heute schätzt er an Klassikern wie Hölderlin, dass sie sich in ihren Texten immer auch selbst infrage stellen.

Nach dem Ende der Intendanz von Simons in München kam Van Boven mit der Schauspielerin Marie Jung nach Hamburg ins Thalia-Ensemble. Seit dem Sommer ist das Paar, das eine Dachwohnung in St. Georg bewohnt, verheiratet. Schwiegervater Van Bovens ist der langjährige Schauspielhaus-Star André Jung. Van Boven ist in Hamburg angekommen. Ein bisschen erinnere es ihn an Antwerpen, sagt er.

Ein tragischer Held

Wenn er jetzt „Tod eines Handlungsreisenden“ probt, hat das für ihn viel mit Liebe zu tun. „Miller hat das sehr klug, fast wie ein antikes Drama geschrieben. Es steckt voller Archetypen. Und er verbindet es mit dem, was wir alle kennen, der Familie.“ Willy Loman, der Handlungsreisende, der vor den Seinen den verlorenen Job verheimlicht, sich verschuldet und mit einem revoltierenden und einem gänzlich gleichgültigen Sohn geschlagen ist, ist in seiner Familie allein. Der amerikanische Traum kehrt sich für ihn um.

„Er ist ein leidender Mann, ein tragischer Held, aber auch ein Täter“, findet Van Boven. Ein wenig selbstmitleidig, ja, das auch. Sich am Abgrund „weiterzulügen“, eine Figur neu zu denken, indem man sich in sie hineinversetzt, das fasziniert ihn auch bei Willy Loman. „Ich probe gerne. Ich fantasiere gerne“, sagt Kristof Van Boven. Seine zahlreichen Preise – unter anderem wurde er Nachwuchsschauspieler des Jahres 2011 und erhielt den Kunstpreis der Akademie der Künste Berlin in der Kategorie Darstellende Kunst – habe er wahrscheinlich deshalb gewonnen, weil er sie nicht unbedingt angestrebt habe.

Bei Kristof Van Boven ist eben alles ein klein wenig anders.

„Tod eines Handlungsreisenden“ Premiere Sa 25.11., 20.00, Thalia Theater, Alstertor, Karten T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de