Hamburg. „Das große Feuer“, inszeniert von Roland Schimmelpfennig, gastierte in der Staatsoper zum Abschluss des Hamburger Theater Festivals.

Ein Knall. Tödlich verletzt sinkt eine Frau zu Boden. Für den Schuss auf die vermeintliche Holzdiebin braucht Burkhard C. Kosminski kein Gewehr, eine platzende Papiertüte reicht für den Theatereffekt. Der Mannheimer Theaterdirektor und sein Bühnenbildner Florian Etti kommen bei der Inszenierung von Roland Schimmelpfennigs „Das große Feuer“ ohne die modernen Hilfsmittel des postdramatischen Theaters aus. Schimmelpfennigs Parabel wird strikt analog in Szene gesetzt. Mit Papier. Die acht Schauspieler machen damit ­Geräusche, sie schlitzen den weißen Vorhang auf und schneiden Fenster hinein, aus denen sie ins Publikum sprechen, sie reißen lange Bahnen von den Traversen, knüllen sie zu einem Haufen und legen die Welt in Fetzen. „Das große Feuer“, im Januar am Nationaltheater Mannheim uraufgeführt, gastierte in der Staatsoper zum Abschluss des Hamburger Theater Festivals.

Kosminskis analoge Methode passt zu der dörflichen Welt, die Schimmelpfennig in seiner Ballade entwirft. Zwei Dörfer liegen aneinandergeschmiegt in einem Tal, nur von einem schmalen Bach getrennt. Eine Brücke verbindet sie, die Menschen verkehren freundlich und friedlich miteinander. Bis zu dem Tag, an dem die Köter des Winzers und des Viehwirts sich ineinander verbeißen und auf der Dorfstraße ein Weinfass zum Bersten bringen. Winzer und Viehwirt dreschen nun ebenfalls auf­einander ein, der Frieden ist dahin, der Viehwirt treibt den Winzer auf die ­andere Seite des Baches. „Lass dich hier nie wieder sehen“, brüllt er ihm hinterher.

Märchenhafte Dorfgeschichte als Parabel

Dieser Streit ist das erste Anzeichen dafür, wie die Dinge aus dem Lot geraten. Naturkatastrophen suchen das Tal heim. Auf eine Dürre folgt eine Überschwemmung. Nach den Wassermassen befällt ein tödliches Fieber die Dörfler, der Winter ist extrem, Brennholz geht zur Neige, die Menschen hungern und frieren. Doch nur das eine Dorf wird von den Schrecknissen heimgesucht, das andere prosperiert. Während des Fiebers wird die Brücke ­geschlossen, im Winter schotten die Wohlhabenden sich von den Armen ab. Aus dem Bach ist ein Fluss geworden, später wird daraus ein reißender Strom.

Schimmelpfennigs Text wird mehr erzählt als gespielt, als Märchentante fungiert Nicole Heesters, die Grande Dame des deutschen Theaters. Mit dem Textbuch in der Hand wandert sie gemächlich über die Bühne oder sitzt auf einem Stuhl am Bühnenrand und berichtet von den Nöten. ­Direkte Dialoge zwischen den anderen Schauspielern gibt es nicht. Lediglich Marion und Martin, die Kinder von Winzer und Viehwirt, werfen sich verliebte Blicke zu und sind die einzigen, die den Bach überwinden. Schimmelpfennig hat das Motiv von Romeo und Julia in seine Dorfgeschichte einge­woben, ein Happy End gewährt er den Liebenden jedoch nicht. Eine apokalyptische Feuersbrunst zerstört das eine Dorf, die Brücke ist längst weg­gespült worden, niemand kann den Strom mehr überqueren.

Ungleichheit der globalisierten Welt

Schimmelpfennigs Parabel auf den Zustand der Welt mit immer heftigeren Naturkatastrophen, den nicht versiegenden Flüchtlingsströmen und der Abschottung der Reichen ist offensichtlich. Die Ungleichheit der globalisierten Welt verdichtet er zu einer märchenhaften Dorfgeschichte.Kosminski steckt seine Schauspieler in historische Kostüme, die an flämische Malerei aus dem 16. Jahrhundert erinnern. Dadurch schafft er Distanz zur Wirklichkeit. Doch mit Schimmelpfennigs Text ist es wie mit Grimms Märchen. Man weiß bereits, wie es ausgeht. Der Erkenntniswert des Abends ist eher bescheiden. Die Inszenierung beeindruckt jedoch mit romantischen Bildern, wenn die Dorfbewohner mit Lampions durch eine Nebellandschaft tapsen oder auf dem zugefrorenen Fluss Schlittschuh laufen.

Analog ist auch die Musik. Ein ­Ensemble des Nationaltheater-Orchesters spielt Ausschnitte aus Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ und Stücke des ­Österreichers Hans Platzgumer. Auch das Vorspiel zeigt Kunst von Hand: Sven Prietz erzählt die Stück-Geschichte mit virtuos gewischten Sandmalereien, die per Overheadprojektor auf den Vorhang projiziert werden. Das Idyll mit dem sich lieblich schlängelnden Bach und den Porträts der Liebenden versinkt in Feuer und Chaos. Am Ende bleibt nur ein Glöckchen aus Sand übrig. Es ist die Totenglocke für die Bootsflüchtlinge. Eine rettende Küste ist nicht in Sicht.