Hamburg. Schauspieler wird in der großen Kampnagelhalle K6 für seinen drei Stunden langen Monolog “Die Welt im Rücken“ gefeiert.

Blut, Schweiß und Tränen. Die volle Packung. „Das hier heute abend“, hatte Joachim Meyerhoff schon in den ersten Minuten gewarnt, „das wird wahrscheinlich anstrengend. Also, nicht nur für mich.“ Er wird, am Ende eines Drei-Stunden-Monologs, Recht behalten. Und dem erschlagenen, aber restlos begeisterten Publikum auch deshalb einen furiosen Abend bescheren.

Das Wiener Burgtheater ist ein regelmäßiger Gast beim Hamburger Theaterfestival, in diesem Jahr hat Festival-Intendant Nikolaus Besch eine Inszenierung von Jan Bosse in die große Kampnagelhalle K6 geholt: „Die Welt im Rücken“ von Thomas Melle. Einen Roman, der im vergangenen Herbst für den Buchpreis nominiert war und vielleicht auch deshalb nicht gewann, weil man diskutierte, ob es sich bei dem Text überhaupt um einen Roman handelte. Die eigene Katastrophe auszustellen, das habe ja etwas Aufdringliches, heißt es nun auch in der Bühnenbearbeitung. Denn „die eigene Katastrophe“, das ist in diesem Fall die bipolare Störung des Schriftstellers Melle, der dafür die Bezeichnung manisch-depressiv bevorzugt, auch wenn es das „billigere“ Wort sei. Und der für sein literarisches Werk vollkommen schonungslos „die massiven Hoch- und Tiefdruckgebiete der Psyche“, seiner Psyche, ausleuchtet.

Eine hübsche Zusatzpointe

Dass auch der Schauspieler Meyerhoff ein fantastischer Schriftsteller ist, dazu einer, der ebenfalls im eigenen Leben die besten Geschichten findet, gibt diesem Abend eine hübsche Zusatzpointe. Zumal – wer seine bislang drei Romane gelesen hat, weiß das – Joachim Meyerhoff tatsächlich auf dem Gelände einer Psychiatrischen Anstalt aufwuchs, in der sein Vater einst Direktor war.

Auf beinahe unheimlich exzessive Weise macht er sich nun die Person Melle zu eigen. Die blauen Augen flackern, der lange Körper ist in ständiger Unruhe. Ein Getriebener, der sich erklären will, der das Wechselspiel zwischen Euphorie und Depression, Gefühlsüberschuss und „Empfindungshektik“ buchstäblich verkörpert.

Exklusivbeleidigungen für die erste Reihe

Dem Darsteller und seinem Leib-und-Magen-Regisseur Bosse gelingt es, für diese überbordende „Beichte“, bei der das Publikum ständiger Ansprechpartner ist, bezwingende und hochneurotische Bühnenzustände zu erfinden - ohne den Autor dabei zu verraten. Meyerhoff verglüht geradezu, er stürzt von einem Zustand in den nächsten. Mal hält er sich für den Lover von Madonna, mal gleich für den Messias persönlich. Das ist manchmal komisch, oft traurig, immer anmaßend, bisweilen erschütternd und auch übergriffig. Die erste Reihe bekommt ein paar Exklusivbeleidigungen um die Ohren gehauen: „Es ist ja, als ob alle jungen Menschen davon abhalten wurden, diese Karten zu bekommen! Da ist einfach der Bus aus Blankenese gekommen!“ Je wahrer der Kern, desto übler die Schmach. Allen anderen hilft das Lachen über die Beklemmung.

Zum Ende geht der Abend noch einmal richtig in die Vollen, es wird theatralisch, mit Samtvorhang, Goldjacke, schwebendem Bühnenbild und Gnarls Barkleys „Crazy“ - und reitet Meyerhoff wirklich ein Riesenhirn, als wäre es der Glücksdrache Fuchur? Das ist von allem entschieden zuviel. Und eben drum: eine echt irre Punktlandung.