Hamburg. Beim Theaterfestival gastierte der beliebte Schauspieler mit einer symphonisch-szenischen Lesung in der Laeiszhalle.

Normalerweise wird Goethes Trauerspiel „Egmont“ nicht mehr allzu oft aus den Regalen und in die Spielpläne genommen. In dieser Saison jedoch war der noble Niederländer aus dem 16. Jahrhundert mit seinem ­eskalierenden Freiheitsdrang gleich zweimal in Hamburg zu sehen und zu hören, und das auch noch mit zwei dramatisch unterschiedlichen Edelschauspielern in der tragenden Rolle. Zur Eröffnung der NDR-Konzerte dort hatte Chefdirigent Thomas Hengelbrock seinen alten Freund Klaus Maria Brandauer in die Elbphilharmonie eingeladen, und der war mit Hochdruck durch seine Auftritte gebrandauert. Gleich zur Einstimmung auf das One-Man-Drama mit Beethovens Schauspielmusik als Soundtrack brüllte er geradezu apokalyptisch herum und erhöhte die Raumtemperatur durch bloße Anwesenheit.

Textstellen-Potpourri über Prometheus

Gleicher Plot, komplett andere ­Befindlichkeit nun im Rahmen des hiesigen Theaterfestivals, ein in Wien entworfenes Gastspiel aus dem Ruhrtriennale-Sortiment, eine jener wohlfeil gedachten Produktionen, in denen Lücken links durch Füllstoff rechts kaschiert werden sollen. Erst ein Textstellen-Potpourri über Prometheus, mit Klassikerbrocken von Aischylos bis Kafka – und mit Portionen aus Beethovens Ballettmusik und anderem als klassischem Blattgold-Rahmen. Ein Stückchenwerk über das Schicksal des Titanen, der den Göttern das Feuer stibitzt, um die Menschen bei der Wahrheitssuche zu erhellen, um sich wieder und wieder die ­ewige Leber von einem Adler wegfressen zu lassen. Im zweiten Teil die Zeitreise nach Brüssel vor Beginn des Achtzigjährigen Kriegs mit den Spaniern.

Koch blieb Zaungast im eigenen Thema

Nicht mehr mittendrin und toll dabei, sondern nur noch kommentierende und skeptisch-lakonisch beobachtende Randfigur: Egmont, bei Goethe im Finale tragisch mit seinen guten Absichten scheiternd. Hier wie dort: Sebastian Koch. A-Plus-Schauspieler, mit Sternchen. Einer der wenigen hierzulande, mit dabei im „Leben der anderen“, Bruce-Willis-Verdrescher im „Stirb langsam“-Universum, Serien-Guter in „Homeland“, von Spielberg engagiert, auf Prestigepreise abonniert. Ganz großes ­Kino. An diesem sonderbar verrutschten Abend allerdings eher nicht, weil der nicht hielt, was sein Star vorab versprach.

Koch, am Ende in der überschaubar besuchten Laeiszhalle begeistert gefeiert, traf dabei noch die geringste Schuld, denn er las seine Texte mit dem Nachdruck, den ihm das Konzept erlaubte. Doch da er an seinen Vorleser-Tisch gefesselt blieb wie Prometheus an seinen Kaukasus-Felsen, reichte es noch nicht mal für feines Kammerspiel. Brandauer hatte freien Auslauf und nutzte ihn, Koch blieb Zaungast im eigenen Thema. Seinen ersten Auftritt hatte er als Grübelnder, der sich ins Bild schlich, mehr Hamlet und kaum ­Titan, sich fragend, ob seine Zwecke seine Mittel denn wirklich heiligen. Von da an ging’s sitzend stets bergab.

Beethoven: Titan und Rebell

Hinter dem Orchesterchen neben seinem Rezitatorentisch hatte das Projektverwirklichungsteam einen Leinwand-Kubus installiert, über dessen Flächen halbdüstere Bildschirmschoner-Schlieren oder Textquellen-Hinweise wanderten. Im „Egmont“-Teil wandelte sich das Bild ständig durch schattierte Umrisse von Gebäuden oder Schlossgängen. Und vieles wirkte wie Gewollt-und-nicht-gekonnt-Notwehr – zu viel für noch konzertant, zu wenig für schon szenisch, Szenen-Puzzle und Drama-Destillat. Die wenigen Auftritte der Sopranistin Marie Arnet waren sachdienlich und nett, mehr aber auch nicht.

Bliebe noch der Beethoven an sich und überhaupt, dritter Titan und Rebell in dieser Konstellation, unbeugsam schwierig gewesen auf seine Art. Doch gerade dieser Teil der Produktion machte, bei allem Ehrgeiz, am wenigsten Eindruck. Das Orchester Wiener Akademie tat seiner ­Reputation als Originalklang-Ensemble mit diesem Auftritt ebenso wenig einen Gefallen wie Beethovens Anspruch ans große Ganze.

Gründer und Dirigent Martin Haselböck, der schon mehrfach beim Theaterfestival mit Produktionen gastiert hatte, scheiterte allzu oft daran, die Partitur stilbewusst und detailsicher wahr werden zu lassen. Im Tutti rumpelte und wackelte es zu oft, um das noch als historisch ambitionierte Ausrutscher zu verzeihen. Zwischen diesem Niveau, der Güte des NDR-Orchesters und erst recht Hengelbrocks Expertise lagen Welten. „Aller Kunst muss das Handwerk voraus­gehen.“ Goethe, „Wilhelm Meisters Wanderjahre“ allerdings. Stimmt aber immer noch.