Hamburg. „Das kunstseidene Mädchen“ erzählt die klassische Geschichte einer jungen Frau aus der Provinz und überzeugt auch musikalisch
Am Ende steht Fritzi Haberlandt mit starrem Blick auf der Bühne des St. Pauli Theaters, und der von ihr verkörperten Doris dämmert eine bittere Erkenntnis: „Auf den Glanz kommt es vielleicht gar nicht so sehr an“. Im Pelz, einem Feh, steht sie da, braves rosa Schleifenkleid, Bob-Frisur. Neben ihr verklingen die letzten traurigen Akkorde des Pianisten Jens Thomas. Mit dem Abend „Das kunstseidene Mädchen“ nach dem gleichnamigen Roman von Irmgard Keun gelingt Haberlandt und Thomas ein triumphaler Auftritt beim Hamburger Theater Festival.
Ein verstärkendes Mikrofon hätte Haberlandt nicht gebraucht. Es vergrößert lediglich den Schmerz ihrer Figur. Jener etwas naiven, aber irgendwie auch lebensklugen und liebenswerten Doris aus der Provinz, nach Berlin geflohen mit einem gestohlenen Pelz, um „ein Glanz zu werden“.
Zurück lässt sie eine alte Liebe, Hubert, Professorenanwärter, der eine gute Partie heiraten wollte, nun aber getrennt und mittellos zu ihr zurückkriecht. Sie verachtet ihn, genauso wie fast all die anderen Männer, denen sie begegnet. Wenn sie ihr übers Haar streicheln und ihr von gescheiterten Leben und Lieben erzählen, verursachen sie meist Brechreiz, selten Rührung. Die ewig mädchenhafte Haberlandt findet dafür einen selbstbestimmten Ausdruck, immer würdevoll, selbst wenn sie am Bodensatz des Denkens und Handelns angelangt ist. Bei dem mit den Moos-Augen, Ernstel, ist es nicht anders oder vielmehr –, es ist besonders schlimm. Und doch wird sie ihn, der irgendeiner Hanne nachtrauert, wirklich lieben. Es ist eine Liebe ohne Chance, bevor sie wieder im Wartesaal am Bahnhof Zoo landet und zugleich im Vorzimmer des Lebens, über das sie nicht hinauskommt. Unter geht sie aber auch nicht. Sie hat Kork im Bauch.
Haberlandt spielt diese Szenen mit Ernstel, treibt den sehr subtilen Humor der Keun mit ihrem frech-kindlichen Spiel auf die Spitze. Die zeitlich früheren Passagen liest sie am Tisch. Jens Thomas gibt zu seinem tollen Klavierspiel zerquälte, fast tierische Laute von sich. Manchmal singt er sanfte Lieder zwischen Radiohead und Tocotronic. Gemeinsam treffen sie den richtigen Ton für dieses Frauenleben Anfang der 1930er-Jahre mit seinem Ringen um Behauptung in einer Männerwelt: Es gibt langen Beifall und zahlreiche Bravos. Haberlandt singt, flankiert von Thomas, noch einmal das schönste Lied. „Ich tanz für mein Leben“. Schön.