Hamburg. Im Ohnsorg wurden die begehrten, nach Rolf Mares benannten Auszeichnungen an ganz unterschiedliche Arbeiten verliehen.
25 Premieren – allein in diesem Monat November. Auch wenn man diese Summe nicht einfach auf das Gesamtjahr hochrechnen kann, vermittelt sie doch einen Eindruck der zahlreichen Neuproduktionen, die (zusätzlich zum ohnehin angesetzten Repertoire) in der Hamburger Theaterlandschaft Monat für Monat, Woche für Woche über die mehr als 40 Bühnen gehen – und rund 2,6 Millionen Zuschauer in die großen und kleinen Häuser locken.
Wie enorm dabei die Bandbreite ist, wie reichhaltig die Auswahl zwischen Formaten, Inhalten, Lesarten, Intentionen und – nicht zuletzt, vielleicht sogar: zuallererst – Typen, auch das zeigt alljährlich im Herbst die Verleihung der Rolf-Mares-Theaterpreise. Diese Auszeichnung des Hamburger Theater e.V., einem Verbund staatlicher und privater Bühnen, heißt seit zwei Jahren korrekt und etwas sperrig „Theaterpreis Hamburg – Rolf Mares“ und sorgte damit, initiiert durch Moderator Christian Seeler, für einen Running Gag während der Gala im Ohnsorg-Theater.
Die lokale Szene feiert sich selbst – wie wenig das trotz der Übersichtlichkeit der Kulturstadt Hamburg eine inzestuöse Veranstaltung sein muss, bewiesen bereits die drei Preisträger der ersten Kategorie „Herausragende Inszenierung“: Der türkischstämmige Murat Yeginer erhielt die mit 1000 Euro und einem Montblanc-Meisterstück dotierte Auszeichnung für seine Inszenierung „Hinter der Mauer ist das Glück“ am Theater Kontraste, der russische Musiktheaterregisseur Dmitri Tcherniakov wurde für „Senza Sangue/Herzog Blaubarts Burg“ an der Staatsoper geehrt und Jette Steckel für die sinnliche Umsetzung der georgischen Familiensaga „Das achte Leben (Für Brilka)“ ihrer Schriftstellerfreundin Nino Haratischwili am Thalia Theater. Drei hinreißende Arbeiten, aber auch: drei weit aufgerissene Fenster zur Welt – und dreimal die Erkenntnis, die Murat Yeginer gleich zu Beginn in seiner Dankesrede formulierte: „Theater ist für mich Heimat.“
Der Preis zeige, „wozu Theater fähig ist“, hatte auch Kultursenator Carsten Brosda zuvor in seiner Ansprache betont, die wie stets klug und ausgesprochen unterhaltsam den großen Bogen schlug, die Politik des Theaters mit dem Theater der Politik verglich. Wobei Letztere den Nachteil habe, dass kein Vorhang falle und dauerhaft Authentizität dargestellt werden müsse. „Und selbst die gespielte Politik hat sehr reale Auswirkungen, wie man unter anderem in den USA sieht“, so Brosda. Die Differenz zu markieren, das sei „eine der vornehmsten Aufgaben“ der Gegenwart.
Das Theater braucht Rampensäue
Wie konkret Hamburger Spielplangestaltung internationale Politik und Diplomatie berühren kann, wurde nur wenig später deutlich, als Opernintendant Georges Delnon, der für den abwesenden Dmitri Tcherniakov den Preis entgegennahm, an den in Moskau unter Hausarrest stehenden Regisseur Kirill Serebrennikov erinnerte. Der soll in Hamburg im kommenden Jahr „Nabucco“ inszenieren. Wenn er denn bis dahin freikommt. In Stuttgart feierte die Oper „Hänsel und Gretel“ kürzlich ohne Regisseur Serebrennikov Premiere.
Problemlos zur Mares-Preisverleihung reisen durfte der junge britische Darsteller Christopher Buckley, der für seine Arbeit am English Theatre ausgezeichnet wurde und sich die Mühe machte, seine Dankesrede komplett auf Deutsch zu verlesen. Buckley bezauberte wie auch seine Kollegin Farina Violetta Giesmann (22) mit einer offenen, herzerwärmenden Frische, während Urgestein Peter Bause „dem Kollektiv der Kammerspiele“ dankte und eine Souffleusen-Anekdote nicht nur saftig erzählte, sondern direkt nachspielte. Was wäre das Theater ohne seine Rampensäue!
Kleine und große Glücksmomente
Warum man in der Kategorie „Herausragende Darsteller“ nur zwei Schauspielerinnen preiswürdig fand, aber doch drei Schauspieler, warum das Bühnenbild wiederum in diesem Jahr gar nicht ausgezeichnet wurde? Gestaltungsfreiheit der Jury. Die darf nun bis zur kommenden Gala reichlich neue Inszenierungen begutachten, wie jedes Publikum stets auf der Suche nach den kleinen und großen Glücksmomenten. Und bis zum nächsten Herbst haben sich dann bestimmt auch alle Laudatoren, Kultursenatoren und Moderatoren an den korrekten Titel gewöhnt. Theaterpreis Hamburg – Rolf Mares 2017. Ach nein, dann ja 2018.