Hamburg. Die im Zirkusmilieu angesiedelte mutige platt- und hochdeutsche Inszenierung von „Romeo un Julia“ be- und verzaubert zum Saisonauftakt.
Das Bieberhaus am Hauptbahnhof – mag es derzeit ob des großen Gerüsts und der Gaze-Ummantelung einer Baustelle gleichen, drinnen spielt sich wieder richtig was ab. Mit dem Auftakt der Spielzeit im Ohnsorg-Theater, der ersten des Intendanten Michael Lang, war das schon draußen zu sehen: Ein roter Teppich und eine rote Stoff-Girlande über der Tür ließen vermuten, man befinde sich vorm Eingang eines Zirkuszelts. „Oh, mein Papa“, spielte ein Leierkastenmann.
Vieles, aber längst nicht alles dreht sich hier fortan um die Liebe. Auch Plakate der Zaubererfamilie Montague und der Trapezkünstler-Dynastie Capulet hängen am Fenster. Deren Namen, die Geschichte ihrer Kinder Romeo und Julia vor allem, hat sich William Shakespeare vor 420 Jahren ausgedacht. Als „Romeo un Julia“, wie das Stück im Ohnsorg heißt, nimmt es die Zuschauer mit hinein in die bunte Welt des Zirkus.
Ungewöhnliche Reise
Eine ungewöhnliche Reise, zugleich ein mutiger Start in eine neue Ära. Das Premierenpublikum würdigte das mit lang anhaltendem Beifall für das 13(!)-köpfige Ensemble und das Regieteam um Murat Yeginer. Mit den Ohnsorg-Dramaturginnen Cornelia Ehlers und Cornelia Stein hat der Regisseur eine Fassung entworfen, die – inklusive Schluss – einige Überraschungen bietet, ohne den Klassiker zu verraten. In seinem Ansatz bleibt Yeginer konsequent.
Auf einer Drehbühne mit zwei variablen Tribünen und in opulenten Outfits, von Beate Zoff (Bühnenbild und Kostüme) eindrucksvoll bis ins Detail ausgestattet, fährt ein Mensch im Affenkostüm in der Manege Fahrrad, und Romeo (Marco Reimers) kriecht hervor. Er ist der Sohn der norddeutschen Zaubererfamilie Montague, im Zirkus allerdings nur ein Pausenclown. Als er mit seinen Freunden Mercutio (derb-machohaft: Tim Ehlert) und Benvolio (sanftmütig-besorgt: Markus Gillich) ausgerechnet auf das Fest der von jeher verfeindeten Familie Capulet geht, prallen sie aufeinander, die zwei: Romeo begegnet Julia (Yvonne Yung Hee Bormann), Tochter der Capulets – und schon purzeln sie auf den Boden.
Sprache, Zirkusambiente und Schauspiel
Dass Regisseur Yeginer und die Dramaturginnen die Montagues mitsamt Freunden nur Platt, die Capulets und Anhang dagegen nur Hochdeutsch sprechen lassen, verstärkt die zu überwindenden Hürden, betont aber die Bedeutung der Sprache. Und das Publikum erlebt gestandene Ohnsorg-Schauspieler wie Horst Arenthold und Beate Kiupel als Julias Eltern so einmal nicht platt snackend. „Es war die Nachtigall und nicht die Lerche. Ihr Ruf drang an dein Ohr, erschreckte dich“, sagt Julia beim Ruf eines Vogels zu Romeo, den sie nach gemeinsamer Nacht nicht gehen lassen will. Der entgegnet: „Dat weer de Leerk un nich de Nachtigall. De Nacht maakt nu de Lichter ut.“ Da gehört Romeos rote Clownsnase längst der Liebsten.
Die Mischung aus Sprache, Zirkusambiente, Bühnenbild und Schauspiel entfaltet Poesie. Und natürlich das titelgebende Paar: Reimers nimmt man mit seinem rot geschminkten Clownsmund die weichen Züge bei aufgerissenen Augen ebenso ab wie die Verzweiflung. Yvonne Yung Hee Bormann, nur scheinbar naiv, spielt die Julia entschlossen, ja sogar aufmüpfig, mit Tiefe und Witz sowie mit ihrem von Yeginer ins Stück eingebauten koreanischen Migrationshintergrund. Das be- und verzaubert.
Multikulturelle ist ein weiterer neuer Ansatz
Das Multikulturelle ist ein weiterer neuer Ansatz des Stücks, ebenso die Musik. Dabei fehlt auch ein Rap nicht: Als Romeo treibt Reimers ihn im Trio mit Ehlert und Gillich beim „Ammenspott“ auf die Spitze. Julias Amme gibt Rabea Lübbe als exaltierte Type mit blonder Wuschelperücke, buntem Röckchen, Leggins und Fächer – für ihre akrobatischen und komischen Einlagen mit Szenenbeifall und Lachern bedacht. Manchmal hätte ein freches Augenzwinkern dieser wahrhaft großen Komödiantin schon gereicht; beinahe droht Regisseur Yeginer hier den Kern der Geschichte zu verlieren. Ebenso beim wiederholten Einsatz des Dieners Peter (Fabian Monasterios) als Bauchredner mit der plumpen Handpuppe Luigi.
Jedoch überwiegen speziell im zweiten Teil die anrührenden Momente, etwa wenn Tino Führer als gefühlvoller Beichtvater Lorenzo, hier ein Weißclown, mit Romeo und Julia auf Platt- und Hochdeutsch kommuniziert – in einer Kräutergarten-Garderobe. Und wenn sich die Bühne dreht und zehn der 13 Schauspieler wie eingesperrt in einer Laube hocken und mit entrückten Mienen „Fly Me To The Moon“ singen, derweil sich Romeo und Julia liebkosen, wünschte man sich mehr als zwei Rotationen. Die jugendliche Liebe der beiden endet – in einer Welt voller Anfeindungen und Gewalt – auch in dieser Art aufgepepptem Volkstheater tragisch.
Aber wie sagte Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda (SPD) als einer der zahlreichen Premierengäste aus Kultur und Medien treffend und zugleich hoffnungsfroh: „Shakespeare hat auch im Tragischen immer komödiantisch geschrieben. Das hat man auch hier gesehen. Und wir werden auch an weiteren Ohnsorg-Inszenierungen noch unseren Spaß haben.“
„Romeo un Julia“ bis 30.9., Ohnsorg, Karten zu 18,- bis 31,50: T. 35 08 03 21; ohnsorg.de