Hamburg. Die Sommerpause der großen Bühnen nähert sich dem Ende. Ein Ausblick auf die Spielpläne an den Hamburger Stadt- und Privattheatern.

Noch genießen die Mitarbeiter der Stadttheater ihre Spielzeitferien ohne Vorstellungen, Textlernen und Proben. Ihre Kollegen an den Privattheatern spielen sowieso ohne Pause durch. Zeit für einen Blick auf die Spielpläne der kommenden Saison. Was erwartet uns da?

Karin Beiers Spielzeit im Schauspielhaus richtet sich erneut an den drängenden gesellschaftlichen Fragen der Gegenwart aus. Beier bleibt ihrer in Hamburg bewährten Mischung treu, mit der sie das Haus wieder zum Erfolg geführt hat. Da gibt es Politisches mit der von Beier selbst inszenierten grotesken Parabel um Lebensweisen und Werte­vorstellungen „Tartare Noir“ (Premiere am 15.9.) von Thomas Peckett Prest. Der Hamburger Falk Richter kehrt mit Elfriede Jelineks Donald-Trump-Stück „Am Königsweg“ (Premiere: 28.10.) ans Schauspielhaus zurück und Jungregisseur Jan Philipp Gloger darf sich an Ayad Akhtars „Junk – The Golden Age of Debt“ (21.4.2018) versuchen.

Daneben stehen erneut Unterhaltung und Amüsement mit Niveau. Clemens Sienknecht und Barbara Bürk bringen „Anna Karenina – allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie“ (11.11.) heraus. Christoph Marthaler ist auch wieder dabei und die Volkstheater-Experten von Studio Braun („Der goldene Handschuh“, 18.11.) kehren mit dem Heinz-Strunk-Romanerfolg vom Thalia Theater zurück. Beier selbst und Frank Castorf inszenieren für Klassiker-Fans Shakespeare und O’Neill.

Ibsen-Abend „Baumeister Solness“ auf Eis gelegt

Der angekündigte Ibsen-Abend „Baumeister Solness“ mit Edgar Selge ist hingegen auf Eis gelegt. Der „Unterwerfung“-Star wird stattdessen zu Beginn der übernächsten Spielzeit in einer Neuproduktion zu sehen sein. Die Intendantin arbeitet gern mit prominenten Gästen, doch die Stars finden sich auch im eigenen Ensemble: Lina Beckmann zum Beispiel überzeugte bei den Salzburger Festspielen in Karin Henkels Gerhart-Hauptmann-Adaption „Rose Bernd“. Vom 1. Oktober an steht der Abend auch im Hamburger Spielplan.

Jörg Pohl als „Tartuffe„ eröffnet in Stefan Puchers Molière-Inszenierung die Thalia-Spielzeit
Jörg Pohl als „Tartuffe„ eröffnet in Stefan Puchers Molière-Inszenierung die Thalia-Spielzeit © Armin Smailovic;armin smailovic | Armin Smailovic;armin smailovic

Am Thalia Theater besinnt man sich verstärkt auf dramatische Stoffe, weniger auf lehrreiche Romane (Stichwort: „Abiturtheater“), die den Schauspielern oft wenig Ausdrucksmöglichkeiten lassen. Stefan Pucher, ein Regisseur mit großer Spielfantasie, scheint der Richtige zu sein, um mit Molières Betrügerkomödie „Tartuffe“ am 8. September in die Saison zu starten. Auch das Ernst Deutsch Theater hat mit „Der eingebildete Kranke“ (23.11.) einen zeitlosen Molière im Angebot. Am Thalia zeigt zudem Ersan Mondtag „Die Orestie“ (21.10.) von Aischylos, Sebastian Nübling erarbeitet Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“ (25.11.).

Junge, vielversprechende Regisseure für die große Bühne

Romane stehen auch weiterhin auf dem Spielplan. Aber wenn Johan Simons sich Ayn Rands „Fountainhead“ (April 2018) vornimmt, Antú Romero Nunes’ den Kleist-Romanstoff „Michael Kohlhaas“ (20.1.2018) inszeniert, Luk Perceval seine Emile-Zola-Familien­trilogie „Geld – Liebe – Hunger“ (auch als Marathon, 23.9.) vollendet und Christopher Rüping Benjamin von Stuckrad-Barres autobiografische Udo-Lindenberg-Hommage „Panikherz“(März 2018) dramatisiert, könnte dank ihrer starken Handschriften Gelingendes dabei herauskommen. Auch der Spielplan von Thalia-Intendant Joachim Lux ist politisch: Blender und Betrüger, Familiendynamiken, Suche nach neuen Utopien sind die Themen. Erfreulicherweise wird wieder mehr riskiert am Thalia Theater und mit Mondtag und Rüping auch jungen, vielversprechenden Regisseuren die große Bühne anvertraut.

Das Thalia Theater besinnt sich  verstärkt  auf dramatische  Stoffe
Das Thalia Theater besinnt sich verstärkt auf dramatische Stoffe © Klaus Bodig

Für einen echten Theaterfan lohnt nicht nur der Blick auf die Stadttheater. In den Privattheatern sind die Zeiten, in denen angestaubtes Boulevard-Theater geboten wurde, zum Glück weitgehend vorbei. Neu-Intendant Michael Lang tritt am Ohnsorg Theater mit großstädtischem Volkstheater an, etwa mit ­„Blütenträume“ („Droomdänzers“, 1.10.) von Lutz Hübner. Den Auftakt aber macht Ende August – ungewohnt mit einer A- und einer B-Premiere – Shakespeares „Romeo und Julia“. Dazu gesellt sich Klassisches von Alan Ayckbourn mit „Schöne Bescherungen“ („All Johr Wedder“, 11.11.) aber auch Schräges, wie der Didi-Hallervorden-Filmstoff „Ostfriesisch für Anfänger“ als „Plattdüütsch För Anfängers“ (7.1.2018). Mit der Regisseurin Ayla Yeginer, die eine Migrationskomödie inszeniert („Allens Düütsch – Oder Wat?“, Februar 2018), holt Lang eine neue Farbe ans Haus.

Mischung aus Unterhaltung und Anspruch an den Kammerspielen

An den Hamburger Kammerspielen setzt Multi-Intendant Axel Schneider auf die bewährte Mischung aus Unterhaltung und Anspruch. Gegenwartsdramatik von Philipp Löhle („Schlaraffenland“, 2.10.), der hinter die Fassade der Wohlstandsgesellschaft blickt, steht neben Neuem vom französischen Gesellschaftssezierer Eric Assous („Der Rechte Auserwählte“, März 2018). Anders als am Thalia, spielt man am Altonaer Theater gemäß eigenem Slogan schon lange Bücher. Und setzt weiter auf Bestseller, etwa mit der Uraufführung von „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ (7.9.) des Schauspielers Joachim Meyerhoff. Jonas Jonassons „Hundertjähriger“ sorgte für ein volles Haus, folgerichtig kommt im
April 2018 „Die Analphabetin, die rechnen konnte“ zur Uraufführung. Aber auch in Altona entdeckt man das Politische. Claude Berrutti inszeniert im Januar Aldous Huxleys Parabel auf totalitäre Diktaturen, „Schöne neue Welt“.

Die andere klassische Dystopie der Literatur, George Orwells „1984“ (31.8., Regie: Elias Perrig) wird am Ernst Deutsch Theater wiederauferstehen. Dass die Stoffe von Huxley und Orwell gesteigertes Interesse wecken, ist angesichts der gegenwärtigen politischen Weltlage kein Zufall. Das Theater spielt gerade in diesen von Unsicherheiten geprägten Zeiten eine wichtige Rolle, das Chaos der Welt ein wenig besser zu ordnen und zu verarbeiten. Live auf der Bühne. Besser als jede Serie. Sowieso besser als jeder Tweet.