Hamburg. Die Platten-Labels Tapete Records und Grand Hotel van Cleef werden 15 Jahre alt. Das Abendblatt hat ihre Macher getroffen.

Der Abend, an dem die Musikstadt Hamburg in schönster Blüte erstrahlt, ist feucht. Draußen, es ist halt Sommer 2017, noch mehr als drinnen – dort, in der „Scharfen Ecke“, Davidstraße Ecke Bernhard-Nocht, duellieren sich auf dem Kneipentisch Holsten-Gläser und Astra-Knollen. Indie-Gipfel auf St. Pauli, Tapete Records und Grand Hotel van Cleef (GHvC), zwei Leuchttürme des Musikgeschäfts, ihr Tun erhellt den Himmel der Popmusikfans seit vielen Jahren. Beide Labels feiern in diesem Jahr ihren 15. Geburtstag. Sie sind Kämpfer für dieselbe Sache und Konkurrenten, in Freundschaft verbunden.

Tapete-Chef Gunther Buskies sagt: „Unser Verhältnis ist mehr als kollegial. Es gibt kaum Menschen, die ich weniger nicht leiden kann.“ GHvC-Chef Reimer Bustorff sagt: „Ich bewundere Tapete für die hohe Schlagzahl bei den Plattenveröffentlichungen, und ich beneide Tapete für die erfolgreiche internationale Ausrichtung des Labels.“

Was Grand Hotel im Tapete-Programm mag

Ein Treffen auf St. Pauli ist eines auf halber Strecke. Die Tapete-Leute sind aus Ottensen, wo ihr Label beheimatet ist, hergeradelt, die GHvC-Leute aus der Feldstraße: Zu einem Gespräch in Kiez-Ambiente, mit Fotoaufnahmen vom Hafen an der Wand, tätowierter Bardame und Touristen aus Ostdeutschland, die sich von ebenjener gerne über Hamburg vorschwärmen lassen.

Was einen gleich mal denken lässt, dass zu den Attraktionen der Freien und Hansestadt seit immer schon die Musik­szene gehört. Um die soll es sich jetzt drehen. Lange brauchen die Musikleute nicht, um warm zu werden bei ihrer ­Bestandsaufnahme. Es geht um Anfänge, Brüche, Veränderung, um den steten Wandel der Branche, die Zukunft von Geschäftsmodellen und den Popstandort Hamburg, um Idealismus und ­Geschäft.

Was Tapete im Grand-Hotel-Programm mag

Es wird gefrotzelt und ­gelacht. Wenn die Grund-Rivalität in der eng umkämpften Disziplin der geldwerten Aufmerksamkeitsbeschaffung doch mal durchscheint, dann in so komplizierten Formulierungen wie der von Buskies. Kaum Menschen, die man „weniger nicht leiden kann“? Wer sagt denn so was? Allenthalben Gelächter, Prost. So wird es für die Dauer des Austauschs von Musikverkäufer zu Musikverkäufer bleiben.

Nicht jeder ist sympathisch

Vielleicht hat Buskies aber auch ­unbewusst den idealtypisch misanthropisch-zynischen Major-Label-Schmierlappen, wie man ihn im Roman „Kill Your Friends“ antraf – John Nivens Hass-Tirade gegen die Musikbranche –, im Kopf, als er im Hinblick auf GHvC über Sympathien im Business sprach. Nach dem Motto: Bei uns kann man eben viele auch wirklich gar nicht ­mögen. Solche Leute sind hier nicht versammelt: Buskies ist mit Tapete-Pressefrau Nina Thomsen gekommen, sie ist wie er von Beginn an dabei. Reimer Bustorff gründete 2002 gemeinsam mit Marcus Wiebusch und Thees Uhlmann Grand Hotel van Cleef und hat Rainer G. Ott mitgebracht. Das ist der, der bei GHvC den Laden zusammenhält.

Schwieriges Geschäftsumfeld

Ott, ein begeisterungsfähiger Mann, spricht an einer Stelle und nachdem sich schon viel um Selbstausbeutung und das schwierige Geschäftsumfeld drehte, aus, worum es eigentlich geht. „Ich vergesse nie“, sagt er, „wie geil es ist, wenn man eine fertige Platte hat und sich klar darüber wird, dass wir diejenigen sind, die die jetzt herausbringen werden!“

GHvC hat mit Bands wie Kettcar, in der Label-Co-Chef Bustorff Bass spielt, und Thees Uhlmann Chart-Größen im Programm. Wenn man ihnen eine Deutschrock-Präferenz attestiert, lächeln Bustorff und Ott gequält, weil Deutschrock nach Maffay klingt, aber: passt schon. Es sind zum 15-Jährigen genau 15 Alben, die sie veröffentlichen wollen, das ist für GHvC ein üppiger Output. Das neue Kettcar-Album „ „Ich vs. Wir“ kommt im Oktober, Thees Uhlmann ist für 2018 annonciert.

Besondere Pointe

Es dürfte ein gutes Geschäftsjahr werden, und eine besondere Pointe für ein Label, dessen Nachwuchshoffnungen Fortuna Ehrenfeld und Adam Angst heißen, ist es ja auch, dass die Bands der Labelgründer die größten Cashcows sind. Man habe, erinnert sich Bustorff, GHvC ja einst gegründet, weil man kein Label fand, das ihre Platten veröffentlichen wollte. Auch so gesehen ist GHvC eine Erfolgsgeschichte: Wenn’s keiner wagen will, wagen wir es halt selbst.

Und ein Wagnis ist es eben tatsächlich, in Zeiten wie diesen ein Plattenlabel zu führen. Wobei das, Stichwort digitale Wende, halt auch auf viele Branchen zutrifft. Gunther Buskies, der bei Tapete Künstler wie Niels Frevert, Bernd Begemann, Lloyd Cole und Robert Forster veröffentlicht hat, ist ein kämpferischer Musikmanager, der erst nach einiger Zeit in einem Nebensatz erwähnt, wie schwierig das Geschäft doch sein kann, und sonst nie Zweifel an seiner Mission aufkommen lässt. Buskies (42) mag als standhaftes Vorbild dienen: Er hat sich noch nie alt auf Konzerten gefühlt. Das ist beneidenswert, aber wohl auch eine Grundvoraussetzung für ein langes Überleben in dem Geschäft.

Gewaltige Freude am Gestalten

Es gibt, und das scheint der Grundantrieb bei allen zu sein, als Essenz ihres Tuns und wahrscheinlich erste Voraussetzung in der allgemeinen Jobbeschreibung die gewaltige Freude am Gestalten und Entstehen-Lassen. Einen Künstler gemeinsam mit diesem selbst zu entwickeln, „das ist so spannend und schön“, wie es mehrere Male heißt.

Viel, erklärt Buskies, der in der ­Tapete-Band Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen spielt, funktioniert auf der persönlichen Ebene. Das ist die wertvollste Währung des Popschaffens zwischen Nische und Massenappeal: jemanden kennen, der früher mal klein war, aber auch groß noch die Intimität und Überschaubarkeit eines kleineren Festivals schätzt – dessen der beiden Labels etwa. Um wirtschaftlich besser dazustehen, treten ­Tapete und GHvC seit Langem auch als Festivalveranstalter und Tourneeorganisatoren in Erscheinung.

Blendende Netzwerker

Da sei, sagt Reimer Bustorff, „schon viel Tolles bei rumgekommen, Veranstaltungen, die überragend liefen – und dann welche, die totale Reinfälle waren“. Der zweite Teil seines Satzes sorgt übrigens bei ­allen Beteiligten für maximale Erheiterung. Konzerte, die man besser nicht ­gemacht hätte, kennen alle, und es ist die Selbstironie auch hier unverzichtbare Eigenschaft, die gelegentliches Scheitern erträglich macht.

Gunther Buskies, der blendende Netzwerker, wird übrigens auch von den GHvC-Kollegen für seinen Einsatz gelobt. Dem ist es zu einem Gutteil zu verdanken, dass die Kulturbehörde ­Label-Förderung betreibt. Ohne die würde es manche Newcomer-Veröffentlichungen nicht geben, sagt Rainer G. Ott.

Flammendes Plädoyer

Und während Buskies zu einem nicht anders als flammend zu nennenden Plädoyer für den Popstandort Hamburg ansetzt („Die wichtigsten Indie-Labels und -Vertriebe sind hier und nicht in Berlin, wir haben eine Super-Infrastruktur“), spricht Ott die Grundbedingung in Zeiten der Entdinglichung aus: „Wir wissen nicht, was passieren wird, wollen aber in der Lage sein, schnell zu reagieren. Wann werden Streaming-Angebote den Album-Download ersetzen? Wie lange gibt es noch das Konzept Album und wann nur noch Tracks? Wie lange werden noch CDs ­gekauft?“

Vielleicht ist es das Selbstbewusstsein derer, die in anderthalb Jahrzehnten schon viel erlebt haben, vielleicht ist die Devise „Bangemachen gilt nicht“ ­jedem hier in Fleisch und Blut übergegangen: Weder GHvC noch Tapete ­machen den Eindruck, als würden sie so etwas wie Angststarre kennen.

Man wird nicht reich

Nina Thomsen sagt, aber das auch erst auf Nachfrage, dass man als Label-Mitarbeiterin natürlich nicht reich werde, „manchmal schaue ich schon auf ­andere und auch darauf, wie viel die verdienen und wie viel ich – aber das hört schnell wieder auf, weil ich einfach gerne tue, was ich tue“. Man spricht ja gerne von Neigungsberufen. Sie sind im Kulturbereich häufiger zu finden. Wer in diese Sparte fällt, der kann darauf bauen, dass die Lust immer wieder über den Frust siegt.

Und ist es nicht Belohnung und Wertschätzung genug, wenn ausländische Künstler sich (oft erfolglos) bemühen, den Namen ihres deutschen Labels richtig auszusprechen? Tapete ist aber auch wirklich ein schöner Name. Klassisch, irgendwie.

15 Jahre – Fest van Cleef 2017 mit Kettcar, Gisbert zu Knyphausen und Thees Uhlmann Fr 18.8., 17 Uhr, Großmarkt (Bus 34), Auf der Brandshofer Schleuse 4. Tickets 43,- im Vvk.

15 Jahre Tapete Records mit Fehlfarben, Tele u. a. Fr 10.11., 19 Uhr, Knust (U Feldstr.), Neuer Kamp 30. Tickets 25,- im Vvk.