Hamburg. Seddig, Bonné, Gantenbrink und Haratischwili: Die 15. Ausgabe des Ziegels versammelt die Autorenszene in Hamburg.
In Nora Gantenbrinks Backpacker-Text „Paradise“ lässt die Autorin einen tiefsinnigen jungen Menschen mit Namen Danilo auftreten, er dichtet gerne. Und zwar Verse wie diesen: „Ich sitze hier und schreibe/diese Lyrik/in der Karibik“. Kann es ganz vielleicht sein, dass die zur lakonischen Komik begabte Autorin Gantenbrink den poetischen Möchtegerns und unreifen Globalisierungskids kräftig einen mitgeben will?
Das Hamburger Jahrbuch für Literatur ist kein Ort für Möchtegerns. Oder sagen wir so: Es versammelt zwar Autorinnen und Autoren, die nicht immer schon einen Buchvertrag ergattert haben, ist aber insgesamt vor allem „eine Bastion des literarischen Könnens der Hamburgerinnen und Hamburger“, wie Kultursenator Carsten Brosda (SPD) in seinem Grußwort des neuen Jahrbuchs schreibt. „Jahrbuch“ sagt niemand, das Ding heißt „Ziegel“ und erschien vor 25 Jahren zum ersten Mal. Jetzt liegt die 15. Ausgabe vor, sie hat immer noch die Form eines gebrannten Hamburger Backsteins, ist aber deutlich leichter, weil: nicht mehr Hardcover. Man sollte jedoch unbedingt keine Rückschlüsse auf den Inhalt ziehen, das scheint vor allem des Kultursenators Vorrede zu signalisieren. Dort schreibt er auch vom Ziegel als „Bollwerk“.
Nicht nur ein Ort für die Hamburger Literatur
Und wenn dieser Ziegel also immer noch ein Text-Massiv transportieren soll, dann ist er dabei dennoch „durchlässig“, wie Brosda verspricht – Aufnahme gewährt wird jedem, der die jährlich wechselnden Hamburger-Förderpreis-Jurys überzeugt.
Der neue Ziegel, der nicht nur ein Ort für die Hamburger Literatur ist, sondern das Thema „Ort“ zum Leitmotiv ausgerufen hat, umfasst die Jahre 2014, 2015 und 2016. Von den etablierteren Autoren sind freilich nicht alle Preisträger jüngeren Datums. Manche sind dem Ziegel und dessen Herausgeber, der Kulturbehörde, seit Langem verbunden. In der 2017er-Ausgabe finden sich Beiträger wie Nino Haratischwili, Katrin Seddig, Karen Köhler, Mirko Bonné und Frank Schulz.
Stark ausgeprägter Prosa-Anteil
Dem stark ausgeprägten Prosa-Anteil stehen Gedichte und Fotos gegenüber. Sehr schön die Idee, die meisten Texte mit einem schriftvergrößerten Anfang beginnen zu lassen. Das ist nicht nur vom Textdesign her betrachtet eine gute Idee, sondern folgt auch als Gestaltungs- dem Lustprinzip. Die ersten Zeilen entscheiden schließlich, ob der Leser in Stimmung für jeweilige Stück ist.
Der Ziegel ist ein Lesebuch, das auszugsweise genossen werden will. Seine Beiträgerfülle macht ihn zur kurzweiligen Angelegenheit. Die literarischen Orte, die hier betreten werden, sind so unterschiedlich wie ihre geografischen Entsprechungen. Von Titeln darf man sich übrigens nicht irritieren lassen. In Alexander Poschs „Wie man sich einer Sache chinesisch nähert“ geht es mal wieder um Rahlstedt.