Hamburg. Felix Lobrecht geht mit „Sonne und Beton“ ins Rennen um den Hamburger Klaus-Michael Kühne-Preis. Am 14. September liest er daraus.

Wenn Felix Lobrecht früher aus seinem Hochhausfenster in Berlin-Neukölln schaute, sah er „Sonne und Beton“. So heißt nun der erste Roman des 28 Jahre jungen Berliners, der in einer zugigen, gammeligen Ecke der deutschen Hauptstadt spielt, in der trostlosen Großsiedlung Gropiusstadt. Da, wo die Abgehalfterten wohnen. Da, wo der Vater säuft und die Mutter das Weite gesucht hat. Die, um die sich keiner kümmert, auch wenn sie kaum noch in die Schule kommen.

Jungs wie Lukas, der als einer von sehr wenigen Deutschen unter Arabern, Türken, Kubanern und Russen lebt. Jeden Tag Kampf. Jeden Tag Aggro. Das spiegelt sich in Lobrechts ungehobelten, kruden, bruchstückhaften Sätzen: „Geht ihr zu den Niggan oder Cem, diesen Hurensohn, oder wie?“, fragen die arabischen Drogendealer den Ich-Erzähler Lukas und seine zwei Kumpel, bevor sie ihn mit drei Fausthieben niederstrecken. „Zerficktes Gesicht.“ Mist.

"Fack Ju Göhte-Gefühl"

Der kurze, völlig grundlose Angriff ist ein krachender Einstieg in ein Buch, dessen junge Antihelden ihr Milieu nie verlassen. Weil es in Wirklichkeit nicht anders ist. Opfer bleibt Opfer, wird manchmal aber auch ein bisschen böse. Und es scheint heute anders zu sein als früher, wo es wenigstens einen Grund gab für Keile, das kann Lukas seinem alles besser wissenden arbeitslosen Vater nicht klarmachen. Ein bisschen „Fack Ju Göhte“-Gefühl läuft mit während der Lektüre. Zumal die Lehrer, die sich redlich Mühe geben, einem wirklich leidtun können.

Felix Lobrecht, der mit diesem Buch ins Rennen um den mit 10.000 Euro dotierten Hamburger Klaus-Michael Kühne-Preis geht, knetet recht unterhaltsam ein paar Klischees durch, aber er geht tiefer, indem er die übliche Zuordnung in „gut“ und „böse“ durchkreuzt: Der gutmütige Julius, der seit drei Jahren auf einer gammeligen Ma­tratze ohne Möbel lebt, sprüht einem Taxifahrer CS-Gas „in die Fresse“, Sanchez, der Neue, schleust ein paar Flaschen im Ärmel seiner Jacke aus dem Supermarkt, der türkische Drogendealer Cem lässt den Araber aus dem Park von ein paar kaputten Typen restlos zusammenschlagen. Aus Ehrgefühl Lukas’ Bruder Marko gegenüber, dem „einzigen deutschen Kanaken“. Und dann ist da noch Denise, in die Cem sich verliebt hat, die aber mit einem Deutschen zusammen ist. Oder war. Je nachdem.

Alltag Berliner Jugendlicher

Felix Lobrechts Roman hat weder einen dramaturgischen Aufbau, noch eine erkennbare Struktur. Das stört aber nicht wirklich in diesem Buch, das weniger eine Geschichte erzählt, als einen längeren Blick in den Alltag von Berliner Jugendlichen wirft. Seine Sprache ist saftig, gewalttätig, witzig und ehrlich. Mit diesem Pfund unterscheidet er sich von vielen anderen Berlin-Romanen, und seine Milieukritik teilt sich mit über die Beschreibung der Lebensumstände von Lukas, Gino, Julius und Sanchez. Letzten Endes, so simpel ist das manchmal, geht es bei den krummen Sachen darum, dass die Jungs sich mal ein paar neue Turnschuhe kaufen können. Jeans, T-Shirts, Schuhe, und zwar die wirklich coolen.

Felix Lobrecht liest im Rahmen des Harbour Front Literaturfestivals am 14.9. um 19.00 im ersten Debütantensalon (mit Fatma Aydemir), Nochtspeicher (S Reeperbahn),
Bernhard-Nocht-Straße 69, Eintritt: 10 Euro