Hamburg. Roger Waters stellt auf seinem neuen Solo-Werk „The Life We Really Want“ das gesamte westliche System infrage.

Wenn Roger Waters an Donald Trump denkt, steigt ihm Zornesröte ins Gesicht, und er vergisst seine gute Kinderstube. Kein Schimpfwort reicht aus, um adäquat auszudrücken, was Waters angesichts der Politik und der nicht abreißenden Twitter-Flut des US-Präsidenten empfindet. Die Wahl von Trump und die damit verbundenen Risiken für die ganze Welt haben den ehemaligen Pink-Floyd-Bassisten inspiriert, nach 25 Jahren wieder ein Album aufzunehmen. „Is This The Life We ­Really Want?“ heißt es. Der 73 Jahre alte Musiker gibt darauf in zwölf Songs seine bissigen Kommentare zur allgemeinen Weltlage und zu Nordamerika im Besonderen ab. Waters weiß, wovon er spricht, denn der gebürtige Brite lebt seit den 90er-Jahren in New York.

Der Titelsong ist zugleich der Schlüsselsong des neuen Werks. Er beginnt mit einem Original-Einspieler von Donald Trump, der sagt: „Ich habe gewonnen. Es gibt kein Chaos.“ In den folgenden fünf Strophen zählt Roger Waters auf, was die Welt gerade aus den Angeln hebt. Er berichtet von Journalisten, die eingesperrt in Gefängnissen dahinvegetieren, von protestierenden Studenten, die von Panzern überrollt werden, und von Grönlands Gletschern, die angesichts der Erderwärmung im Meer untergehen.

Angst bestimmt Verhalten der Menschheit

Waters beklagt, dass nicht mehr Menschen sich gegen die politischen Verhältnisse – nicht nur in den USA – auflehnen, sondern zusehen, wie die Welt den Bach runtergeht. Angst bestimmt das Verhalten der Menschheit und sorgt dafür, sich brav zu verhalten. „Fear keeps us all in line“, ist Waters’ Bild für dieses Angepasstsein.

In „Broken Bones“ stellt Waters das gesamte westliche System infrage. „We could have been free“ beklagt die Abhängigkeit, in die alle Staaten des Westens sich nach Ende des Zweiten Weltkriegs begeben haben, als sie sich dem „American Dream“ mit all seinen Versprechungen von Freiheit und Wohlstand unterordneten. „Wir können das Rad nicht zurückdrehen“, weiß auch Waters. „Aber wir können sagen: Leck mich, wir werden deinen Schwachsinn und deine Lügen nicht glauben.“ Auch hier ist der nicht genannte Adressat eindeutig: Donald J. Trump. Ihm schleudert Waters seine ganze Abscheu und seine Wut entgegen.

Bissige politische Kommentare

Musikalisch hat Roger Waters das Rad nicht neu erfunden. „Is This The ­Life We Really Want?“ klingt wie Pink Floyd in den späten 70er-Jahren, als Waters maßgeblich für „The Wall“ verantwortlich zeichnete, jenes opulente Konzeptalbum, das zu einer der erfolgreichsten Platten von Pink Floyd werden sollte. Bei seinem insgesamt vierten Solowerk kleidet Waters seine bissigen politischen und sozialen Kommentare in abwechslungsreiche Kompositionen, die nach minimalistischem Beginn oft in üppige sinfonische Arrangements übergehen.

In viele Nummern sind Geräusche wie Möwengeschrei, Wolfsgeheul oder Meeresrauschen hineinmontiert. Auch Zeitansagen aus dem Radio tauchen in den Stücken auf und wirken in Zeiten des World Wide Web als bedeutender Informationsquelle wie aus der Zeit gefallen. Doch gerade Pink-Floyd-Fans werden diesen musikalischen Sprung zurück sicher lieben. Mit seinen Aussagen, auch wenn sie manchmal etwas plakativ wirken, befindet sich Waters auf der Höhe der Zeit, musikalisch steckt er in seiner eigenen Vergangenheit fest – was jedoch legitim ist.

Wütende Attacken

„Is This The Life
We Really Want“
von Roger
Waters ist bei
Columbia/
Sony erschienen
„Is This The Life We Really Want“ von Roger Waters ist bei Columbia/ Sony erschienen © Sony | Sony

Ein wichtiger Partner ist für Waters der Produzent Nigel Godrich gewesen, der seit „OK Computer“ alle Alben von Radiohead produzierte und mit R.E.M., U2, Air, Paul McCartney und Beck zusammengearbeitet hat. Godrich ist für die Soundcollagen und die Arrangements verantwortlich und spielt außerdem noch Keyboards und Gitarre. Waters selbst ist natürlich der Sänger und Bassist der zwölf neuen Songs, und er spielt akustische Gitarre. Im Studio halfen Waters eine Reihe exquisiter Musiker wie der Schlagzeuger Joey Waronker und der Gitarrist Jonathan Wilson.

„Is This The Life We Really Want?“ endet mit den drei ineinander übergehenden Songs „Wait For Her“, „Oceans Apart“ und „Part Of Me Died“. Waters beschwört hier die Liebe als einzige Möglichkeit, um Gier und Gewalt zu überwinden. Es scheint fast, als müsse er sich selbst und seinen Zuhörern etwas Mut machen, um den alltäglichen Terror, die Dummheit der Politiker und die Zerstörung des Planeten aushalten zu können. Doch viel Hoffnung lässt Waters mit seinen wütenden Attacken in den Songs davor nicht zu.