Hamburg. Weltklasse-Kammermusik: Der Über-Cellist Yo-Yo Ma gab das erste seiner drei Konzerte im Großen Saal der Elbphilharmonie.
Zwei aufmerksame Menschen kommen auf eine Bühne, und der Rest findet sich. Blindes Vertrauen und unausgesprochenes Verstehen ist eines der höchsten und wichtigsten Ziele, die Kammermusik als Kunst des Gedankenaustauschs erreichen kann. Wann man im entscheidenden Moment vor dem entscheidenden Moment spürt, ahnt, weiß, was der andere will und warum; wenn Telepathie erklärende Gesten und suchende Blicke zu ersetzen beginnt.
Da der Cellist Yo-Yo Ma und die Pianistin Kathryn Scott sich schon seit mehr als drei Jahrzehnten das Rampenlicht teilen, ist es nicht verwunderlich, wie automatisch und dennoch intuitiv die Abstimmung zwischen ihnen funktioniert. Also war es auch nur konsequent, dass der Cellist die ersten Stücke auf höchstem musikalischen Niveau freundlich, geduldig und klaglos aussaß und schon mal, entspannt zurückgelehnt, vor sich hin spielte, bis Scott realisiert und angeglichen hatte, wie viel weniger Lautstärke für eine Klavierbegleitung im Großen Saal nicht nur möglich, sondern auch notwendig ist.
Duo-Abend noch eher Housewarming Party
Die ersten Stücke am Dienstag, gehört aus Block E im mittigen Hochparkett, waren ohnehin in die erste Programmhälfte vorgezogene Zugaben, die bei jedem anderen als Yo-Yo Ma wie eine augenzwinkernde Runde durch die Abteilung „Sweet and cheesy“ gewirkt hätten: Gounods Bach-Bearbeitung, so gespielt eine Freude ohne Wenns und Abers, eine romantisch elegische Kleinigkeit von Sibelius, das süffig schmalzende „Tango Jalousie“ und Debussys „Beau soir“. Bonbons eben, Publikumslieblinge zum Wegnaschen, Teile eines Konzeptalbums namens „Arc of Life“ dieses Duos, die sich zu einem langen biografischen Spannungsbogen fügen sollten.
Doch da Ma – der Neugier auf die spektakuläre Raumwirkung der Hamburger Architektur sei’s gedankt – für gleich drei völlig unterschiedliche Konzert-Abende in die Elbphilharmonie unterschrieben hatte, war dieser Duo-Abend zum Auftakt noch eher eine Housewarming Party für den musikalischen Weltbürger, um dessen Terminzusagen sich alle Orchester und Konzerthaus-Chefs dieser Welt prügeln: eintreten, anerkennend die Wände bestaunen, staunen, fröhlich in die Runde der 2100 Gäste winken.
Die großen Hamburger Orchester und ihre Dirigenten
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Nicht als der Klassik-Weltstar und Menschlichkeits-Botschafter, der er ist, sondern wie der fröhliche Nachbar von gegenüber, der schon seit Jahren nicht mehr zu Besuch war (was ja richtig nett und schön ist und stimmt, da er bislang im Sortiment der hiesigen Veranstalter fehlte). Die großen Aufgaben kommen erst noch, bei den nächsten Auftritten. Doch ein Stück, das Yo-Yo Ma nicht formvollendet zum Klingen bringt, muss wohl erst noch komponiert werden. Entscheidend bei der Musik sei, was zwischen den Noten ist, hat Ma einmal gesagt. Bei ihm ist auch dort Musik, Musik für mehr als ein Leben.
So einfach ist das, und so unendlich schwer
Nach den ersten vier großartigen Kleinigkeiten bog Yo-Yo Ma mit einer anrührend unsentimentalen Version von Schuberts „Ave Maria“ ins ernsthaftere Repertoire ab: Schostakowitschs d-Moll-Sonate, ein fast unbekümmertes, nur stellenweise verschattetes Frühwerk des Russen, in dem die durchgängig lebensskeptische Doppelbödigkeit späterer Jahrzehnte noch keinen Platz hatte, sich aber bereits mit nur mühsam unterdrückter Ironie ankündigt.
Viel Platz, viel gestalterischer Freiraum, um innerhalb der klar abgesteckten Stil-Grenzen das Cello singen zu lassen. Doch schon hier lebte die Interpretation auch davon, dass Mas Ton die gesamte Bandbreite menschlichen Fühlen, Sehnens, Hoffens und Verzweifelns an sich und den Umständen abbilden kann. Sein Schostakowitsch klingt nicht „nur“ nach Schostakowitsch, schon gar nicht akademisch durchstrukturiert wie eine Fleißarbeit, die ordnungsgemäß mit den verwendeten Stilmitteln der Virtuosität arbeitet.
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Diese Musik erzählt von dem Menschen, der sie in diesem Moment von sich gibt, für den, der sie in diesem Moment hört. So einfach ist das, und so unendlich schwer, wenn man sein Instrument nicht derart spielerisch und kameradschaftlich beherrscht, wie Ma es hier demonstrierte. Das Cello an sich kann ja durchaus ein verdammt widerspenstiges Stück aus Holz, Leim und Lack sein. Hier war nichts davon zu hören.
Seiner Schwäche für, sagen wir mal: ungewöhnliche Repertoire-Abstecher gab Yo-Yo Ma nach der Pause nach, mit Giovanni Sollimas Filmmusik zu „Il bell’Antonio“, dem Remake eines Liebesdramas aus den 1960ern, damals mit Cardinale und Mastroianni. Musik, die andere Virtuosen vielleicht mit einer Kneifzange anfassen würden. Yo-Yo Ma dagegen kümmert’s nicht, er genoss das Schwelgen und Schmachten. Und am Ende denkt man sich: Ach, na ja, doch ganz interessant. Kann man ruhig mal machen. Aber wenn, dann bitte so.
Elbphilharmonie: Die grandiose Eröffnung
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Bevor er dem begeistert tobenden Publikum eine Handvoll Zugaben – darunter Gershwins erstes Prélude – auf den Weg aus dem Großen Saal zurück auf den Boden der Hamburger Tatsachen mitgab, verzückte er mit einer Cello-Bearbeitung der Violinsonate von César Franck. Hier war er klassischer Virtuose, hier wollte er es sein, und erzählte die Musik weit ausholend, klangfarblich klug nuancierend und mit einer Intensität, die keinen Moment nachließ. Wunderbar schreibt sich so leicht. Wie leicht es sich spielen lässt, zeigte dieses Konzert.
Weitere Termine: Heute, 20.00 Uhr. „Yo-Yo Ma and Friends“, u. a. mit dem Klarinettisten Kinan Azmeh. 3. April, 20.00 Uhr, mit dem New York Philharmonic und u. a. dem Cello-Konzert von Esa-Pekka Salonen, der den
Abend auch dirigiert. Beide Konzerte im Großen Saal der Elbphilharmonie sind ausverkauft.