Hamburg. Isabella Vértes-Schütter spielt am Ernst Deutsch Theater für Pheline Roggan die Hauptrolle in „Foto 51“ – nur einer von drei Jobs.

Isabella Vértes-Schütter ist eine Frau mit gleich mehreren Berufen: studierte Medizinerin, ausgebildete Schauspielerin, Intendantin, seit 2011 SPD-Bürgerschaftsabgeordnete, seit 2013 auch kulturpolitische Sprecherin ihrer Fraktion sowie Mitglied in den Ausschüssen Kultur, Wissenschaft und Gesundheit, zudem Vorstandsvorsitzende vom Kinder-Hospiz Sternenbrücke e. V.

Seit dem Tod († 1995) ihres Mannes, des Schauspielers Friedrich Schütter, leitet sie – bis auf eine Unterbrechung von 2004 bis 2006 – das Ernst Deutsch Theater. Sie selbst wirkte schon in mehreren Produktionen an der Mundsburg mit, zuletzt 2013 in „Scherben“ und 2015 in „Anne. Das Tagebuch der Anne Frank“. Von Donnerstag an spielt die Intendantin die Hauptrolle in der deutschsprachigen Erstaufführung von „Foto 51“. Das Stück erzählt von der britischen Biochemikerin Rosalind Franklin.

Das Stück

Isabella Vértes-Schütter ist eingesprungen, nachdem Pheline Roggan die Rolle kurz vor Probenbeginn zurückgegeben hatte – sie war schwanger geworden. Zunächst stand die Intendantin nur für den Notfall zur Verfügung, weil kurzfristig kein Ersatz zu bekommen war, dann wollte Regisseur Hartmut Uhlemann irgendwann Ruhe und Planungssicherheit, erzählt Isabella Vértes-Schütter beim Interview in der Bibliothek des Hotels The George in St. Georg, bei dem Ingwertee und zwei Zigaretten zwischendurch für etwas Entspannung vom Probenstress sorgen.

Frau Vértes-Schütter, es scheint, Sie kamen nicht mehr raus aus der Nummer?

Isabella Vértes-Schütter: Ich bin ohnehin in der Verantwortung für das Haus, und ich wollte auch nicht, dass wir diese Produktion verlieren. Es wäre wirtschaftlich für uns ganz schwierig gewesen: Das ist am Privattheater der GAU, wenn eine Produktion nicht realisiert werden kann.

Ihre Figur Rosalind Franklin ist relativ jung, umgeben von einer Männerwelt und wurde am Londoner Westend von Filmstar Nicole Kidman gespielt.

Vértes-Schütter: Die Aufführung habe ich nicht gesehen, unser Dramaturg Stefan Kroner hat es dort gesehen. Und im Nachhinein bin ich in der jetzigen Situation ganz froh, dass ich es nicht gesehen habe.

Also werden Sie nicht Hamburgs Antwort auf Nicole Kidman?

Vértes-Schütter: Es ist vor allem Rosalind Franklin, die ich zu vertreten habe und die Nicole Kidman in London vertreten hat. Wir, speziell Hartmut Uhlemann, entwickeln einen eigenen Zugang. Als Pheline Roggan die Rolle zurückgab, habe ich eigentlich gedacht, ich bin da raus: Ich bin 55 – werde es jedenfalls in diesem Frühjahr noch –, und Rosalind Franklin ist mit 37 gestorben. Mich hat aber dann, abgesehen von der Notsituation, in der wir waren, überzeugt, dass bei der Struktur des Stücks das Alter nicht wirklich entscheidend ist.

Sehen Sie Ihre Figur eher als Wissenschaftlerin, Kämpferin oder sogar Vorreiterin?

Vértes-Schütter: Sie war eine Ausnahmebegabung, hat herausragende Abschlüsse gehabt und hat sich in dieser damals ja völlig männlich dominierten naturwissenschaftlichen Welt auf ihre Weise durchgesetzt. Sie war eine Frau, die getrieben war von dem Wunsch, Erkenntnisse zu gewinnen.

Was ist dabei für Sie als Schauspielerin die größte Herausforderung?

Vértes-Schütter: Dass ich nur diesen relativ kurzen Probenzeitraum seit Ende November zur Verfügung habe und keine Zeit, mich weiter im Vorfeld in diese Figur reinzudenken, um sie zu finden und gestalten zu können.

Und wie viel ist von der geplanten Probenzeit draufgegangen aufgrund der Arbeit als Kulturpolitikerin?

Vértes-Schütter: Hartmut Uhlemann hat sich nach den Sitzungen der Bürgerschaft richten müssen. Als im Dezember Haushaltsberatungen in der Bürgerschaft waren, musste ich um drei im Rathaus sein, da konnte ich halt nur bis zwei Uhr proben. Innerhalb der Probenzeit brauche ich den Raum, um mich selber mit dem Text zu beschäftigen, um mir Bilder vorzustellen oder davon zu träumen. Es ist ja nicht nur die aktive Probenzeit, sondern auch die Zeit, die diese Figur im eigenen Unbewussten ihren Platz findet.

Wie schaffen Sie es überhaupt, diese Mehrfachbelastung als Intendantin, Politikerin und jetzt Hauptdarstellerin zu meistern?

Vértes-Schütter: Ich bin mit allen Dingen, die ich mache, sehr verbunden. Wenn ich mit dem Theater nicht so verbunden wäre, wäre ich wahrscheinlich nicht in die Produktion reingesprungen. Und da ich meine Berufstätigkeit ja nicht reduzieren kann, um im „Feierabend-Parlament“ tätig zu sein, wird die Verantwortung nicht ­weniger. Ich muss gucken, wie ich meine Kräfte gut einteile und dass ich die richtigen Prioritäten setze. Das ist immer ein Kampf.

Wie sehr hätte es Sie gereizt, das Amt der Kultursenatorin nach Barbara Kisselers Tod zu übernehmen?

Vértes-Schütter: Als ich 2006 ans Ernst Deutsch Theater zurückging, hatte ich für mich entschieden: Hier ist meine berufliche Lebensaufgabe. Dabei geht es nicht nur um die künstlerische Leitung, sondern auch um die wirtschaftliche Verantwortung. Ich habe eine für 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und ich habe meinem verstorbenen Mann das Versprechen gegeben, mich um die Geschicke dieses Theaters zu kümmern. Die Entscheidung steht. Für mich war klar, dass ich für Barbara Kisselers Nachfolge nicht zur Verfügung stehen kann, weil ich das Theater nicht im Stich lassen kann.

Die Hamburger Kultur lässt Sie als Fach-Sprecherin der SPD-Bürgerschaftsfraktion aber nicht los?

Vértes-Schütter: Ich habe mich immer kulturpolitisch engagiert, auch bevor ich in der Bürgerschaft war. Es ist mir eine absolute Herzensangelegenheit, die Kultur in Hamburg insgesamt voranzubringen, das bleibt auch so.

Ihr Theater ist im Herbst 65 Jahre alt geworden. Macht es Sie nicht manchmal nachdenklich, dass Poetry Slams bei Ihnen schnell ausverkauft sind, Sie mit manchen Theaterstücken aber um Zuschauer kämpfen müssen?

Vértes-Schütter: Dass die Poetry-Slams bei uns stets ausverkauft sind, freut mich riesig. Ich habe das ja sehr stark vorangetrieben, dass wir das Haus anderen Genres gegenüber öffnen. Wir hatten als erstes Theater der Stadt 2011 eine feste Reihe, den „Best of Poetry Slam“. Ebenso freut mich, dass die „Werkstatt der Kreativität“ ins achte Jahr geht und wir mit dem Bundesjugendballett auch schon den „Aufschwung VIII“ gehabt haben. Das macht das Haus lebendiger und führt Menschen zu uns, die erst mal nicht zu Sprechtheaterproduktionen kommen. Die bleiben der Kern unserer Arbeit. Das befruchtet sich gegenseitig. Theater ist ja immer im Wandel, man muss immer neue Formen ausprobieren. Und ich finde es auch großartig, dass Slam-Moderator Michel Abdollahi bei uns am 2. April den Gründgens-Preis bekommt.