Hamburg. Der Regisseur inszeniert im Januar gleich zwei Staatsopernabende, davon einen „Otello“ für die große Bühne. Sein Ruf eilt ihm voraus.

Wenn man eine dieser brachialen Opern-Inszenierung von Calixto Bieito sieht, kann man sich mühelos vorstellen, dass dieser Regisseur schon vor dem Frühstück niedlichen Küken ihre kleinen Köpfchen abbeißt: Mord, Totschlag, Gewalt, Sex, Tabubrüche – am besten alles gleichzeitig, reichlich und frontal. Ein „Freischütz“ à la Bieito in Berlin wurde erst ab 16 freigegeben, in Hannover soll Bieito an mindestens Hunderten von Abo-Kündigungen schuldig gewesen sein.

Kassengift auf Beinen also. „Singen ist wie Schreien“, „Ich bin nicht traumatisierter als andere“, solche Sätze spuckt das Archiv über ihn aus. Und wenn man mit Calixto Bieito spricht – ganz leicht bullig, kahler Kopf, drei Lagen Schwarz – wirkt er wie jemand, der inbrünstig bedürftigen Entenfamilien über die Bundesstraße hilft. Calixto kommt aus dem Griechischen und heißt so viel wie „Der Schönste“.

Darum geht’s in Verdis „Otello“

Der Katalane Bieito war Jesuitenschüler, letzteres erklärt schon mal einiges. Eine seiner ersten Theatererfahrungen: in einer Bühnenfassung von Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ auftreten. Als Schnee. Nur etwas Wärme, und Schnee schmilzt dahin wie nichts, ist hin und weg.

Leise spricht Bieito, vorsichtig geradezu, behutsam, über das, was ihm wichtig ist. Als wäre jedes Wort über die Musik, das Theater und ihre Wirkung aus esspapierdünnem Porzellan, und die Welt drumherum voller unberechenbarer Windböen. Sein größtes Klischee ist bei unserem Gespräch auf der leeren Probebühne schnell abgearbeitet. Wann es langweilig wurde, pauschal „Skandalregisseur“ genannt zu werden? „Es langweilt mich nicht“, flüstert er fast zurück, „es ist einfach nur nicht besonders interessant. Ich entwickle meine Konzepte aus sehr unterschiedlichen Farben.“ Der Vergleich ist interessant schief, da geht wohl noch was, in diese Richtung.

Produktion durchgezogen wie Präzisions-Ohrfeige

Obwohl Bieito in den vergangenen Jahren europaweit auf Aufreger abonniert war – in Hamburg hat er bislang nur einmal, 2011, am Thalia gearbeitet. „Bernarda Albas Haus“, eine hammerharte Produktion, so streng durchgezogen wie eine Präzisions-Ohrfeige.

Nun aber ist er gleich doppelt da: Zunächst auf der großen Staatsopern-Bühne mit einem Comeback seiner ­Version von Verdis „Otello“, die Ende 2014 in Basel Premiere hatte, wo er Stammregisseur beim jetzigen Hamburger Opernintendant Georges Delnon war. Und nur eine Woche später bringt er einen – ihm zu diesem Zeitpunkt selbst noch leicht unklaren – Abend in die Opera stabile.

Es geht um den italienischen Renaissance-Fürsten und Freizeitkomponisten Carlo Gesualdo (1566 – 1613), der 1590 seine Frau und ihren Liebhaber ermordete und danach, von Trauer und Reue zermürbt, kunstvolle und harmonisch überdrehte Madrigale schrieb, um seinen nicht zu lindernden Schmerz in Kunst zu sublimieren.

Schönwetter-Oper gibt es bei Bieito nicht

Sieht sehr nach Absicht aus: zwei Männer mit Macht, die von ihrer Eifersucht ins Verhängnis getrieben werden. Ist aber keine, entgegnet Bieito. Er sollte einfach nur etwas für die Studiobühne entwerfen, und Gesualdo als tragischer, genialer Einzelgänger reizte ihn, auch wegen dieser überirdisch verwegenen Musik. „Sonderbar, wunderbar, voller Schönheit, sehr unruhig aber auch“, raunt es aus ihm, „hat auch etwas von einem Alptraum“.

Zur Einstimmung hat Bieito auch einen Fachmann aus Gesualdos Zeit studiert, Robert Burtons Traktat „Anatomy of Melancholy“ von 1621, über das Altern, über Schmerzen im Körper, über die Schönheit der Haut. Solche Themen. „Sicher habe ich eine Tendenz zur Melancholie, aber oft bin ich auch zuversichtlich und vertraue den Menschen.“ Schönwetter-Oper, nett oder gar harmlos, ist bei Bieito eher nicht zu erwarten.

„Otello ist sehr unterhaltsam“

Und wenn jemand, was ja vorkommen soll und darf, nur einen netten Abend in der Oper haben will? „Ist okay für mich. Otello ist ja auch sehr unterhaltsam.“ Nun ja, da wird schon sehr viel gestorben. „Das liegt nicht an mir, sondern an Verdi und Shakespeare. Wenn Sie der Wirklichkeit entfliehen möchten, dann können Sie sich ja Cenerentola ­ansehen….“

Von dieser Aschenbrödel-Geschichte ist es nur ein kleiner Schritt zu „Hänsel und Gretel“. Bieito lässt das andächtige Fastflüstern sein und grinst in Überbreite. „Ich LIEBE Hänsel und Gretel…!“ Kein Wunder. „STIRB! ­HEXE! STIRB!“, was für eine Steilvorlage für einen wie Bieito. Noch breiteres Grinsen. „Die Hexe ist toll.“

Fantastische Beschreibung von Zwangsstörungen

Bei der Frage nach des Otellos Kern wird Bieito sofort grundsätzlich. Wie immer bei Verdi seien der emotionale und der soziale Aspekt faszinierend für ihn. Hier käme die fantastische Beschreibung von Zwangsstörungen dazu. „Interessant ist auch, wie Verdi die Masse benutzt, wie sie für die Macht manipuliert wird. Otello ist Opfer seiner Zwangsstörungen, „den Abstieg dieses Mannes bis zum Mord an seiner Frau fand ich interessant.“

Also ist er unschuldig, weil Opfer? „Nein, es ist schwierig, unschuldig zu sein, wenn man jemanden ermordet.“ Otello, so ­Bieito, gehe in die Dunkelheit „und wenn man in die Dunkelheit geht, hat man keine Perspektive mehr, von sich selbst, den Bedingungen, der Familie. Sein Abstieg ist auch wie der Abstieg der Gesellschaft.“

„Auf Schildkröten aufpassen“

Die Fotos sind gemacht, finster dräuend, zwischen Stacheldraht, der ebenso zu Bieitos Bühnenkonzept gehört wie ein großer Kran. Es ist noch Zeit und Platz für die harmloseren Fragen, auf die Bieito allerdings völlig unharmlose Antworten gibt. Wie die Geschichte, dass er schon als Kind liebend gern zum Schwimmen ins kalte Wasser gesprungen ist. Macht er heute noch gern, und wenn es sich durch den Job ergibt, auch in das Fjord-Eiswasser von Oslo, auch wenn seine Frau das für ziemlich bescheuert hält.

Dieser Mann lebt nur für die Bühne, würde ohne Applaus und Verzweiflung und Erlösung durch die Oper eingehen? Nicht ganz. „Ich lebe für das hier, für meine Kinder und meine Frau.“ Und der berühmte Plan B fürs Leben, hatte oder hat er so etwas? Nein, nie gehabt. Bieito grübelt etwas und flüstert dann, noch leiser als bisher schon: „Auf Schildkröten aufpassen… Die liebe ich sehr. Mit Salat füttern. Das ist ein Traum, Schildkröten liebe ich schon, seit ich ein Kind bin.“

„Otello“ Premiere am 8.1., 18.00 Uhr, Staatsoper Hamburg, Kartentel. 35 68 68
„¡Gesualdo!“ Premiere am 15.1., 20.00 Uhr, Opera stabile; www.staatsoper-hamburg.de