Hamburg. Brite gibt den Papageno in Mozarts „Zauberflöte“ in der Staatsoper. Open-Air-Übertragung am Freitag am Jungfernstieg.

Vorgesetzte, die einen nach getaner Arbeit zum Vieraugengespräch beiseitenehmen? Nicht nur die gut verlaufenden Karrieregeschichten beginnen so. Jonathan McGovern – junger, aufstrebender britischer Bariton mit den ersten selbst verdienten Lorbeeren im Rollen-Lebenslauf – erlebte so einen Moment 2015, es war auf der Fahrt ins Hotel, nach der Generalprobe für Bernsteins „A Quiet Place“.

Dirigent der halbszenischen Aufführungen mit dem Ensemble Modern, unter anderem bei den Musikfestspielen in Dresden, war Hamburgs Generalmusikdirektor Kent Nagano, die Regie kam von Intendant Georges Delnon. Aber während McGovern sich noch fragte, wie viel er gerade komplett versemmelt hat, überraschte ihn Delnon mit der Nachricht, dass er ihn gern als Papageno für die neue „Zauberflöte“ an der Dammtorstraße hätte.

Jetzt, einige Monate und viele Mozart-Proben später, ist McGovern, gerade mal 30, es tatsächlich. Hauptrolle, Saisonstart, eine der populärsten Opern überhaupt. An diesem Freitag ist Premiere, die Regie stammt von Delnons Quasi-Hausregisseurin Jette Steckel, und für ein Rollendebüt dieses Kalibers wirkt McGovern beim ersten Treffen geradezu tiefenentspannt.

Schubert mit Fischer-Dieskau als Karrierewegweiser

Auf der Staatsopernbühnewird gerade die Beleuchtung eingerichtet. Viel ist es nicht, dafür aber vielseitig einsetzbar. Steckels Inszenierung setzt vor allem auf die Special Effects, die ein Hightech-Vorhang aus Leuchtdioden produzieren kann (etwas Ähnliches, aber angeblich deutlich Unkomplizierteres kam 2014 bei ihrer „Romeo und Julia“-Version am Thalia zum Einsatz). Und damit es dem gut gelaunten McGovern mit dem Punkten als fröhlicher Frischling nicht zu einfach gemacht wird: Worum, bitte schön, geht‘s eigentlich in der „Zauberflöte“, die so beliebt ist und doch so ungemein komplex, vielschichtig und voller Rätsel? Etliche Fachautoren sind schließlich schon wortreich an der Komplettentschlüsselung gescheitert. „Für mich ist das eine Oper aus einer anderen Welt“, ist McGoverns Antwort, ohne Zögern gegeben. „Sie findet in einer anderen Dimension statt, zeitlos, wahrscheinlich auch in einem anderen Weltraum, nicht ortsgebunden. Das alles geht zusammen wie ein Märchen. So schön. Die Seltsamkeiten und Sonderbarkeiten werden in dieser Produktion gefeiert.“

Auch von der Zusammenarbeit mit dem aus der Alte-Musik-Abteilung kommenden Dirigenten Jean-Christoph Spinosi schwärmt McGovern. Viele würden ja genau zu wissen glauben, wie eine „Zauberflöte“ zu sein habe. Spinosi sei da anders, der stelle lieber Fragen, warum man was akzeptiere und wo es noch Raum gäbe in der Musik. Raum gibt es auch auf der Spielfläche reichlich. „Unsere Bühne ist keine Black Box, eher schon eine Leinwand, auf der sehr viel passieren kann. Wirklich leer ist die Bühne nur ein einziges Mal. Ich finde dieses Konzept sehr befreiend.“

Nachdem das so flott geklärt ist, kann er vielleicht auch noch Steckels Konzept erhellen? Auch kein Problem: „Sie wollte richtige, echte Charaktere“, sagt er. „weil so viel keinen Sinn ergibt, muss man eine Verbindung zum Publikum erzeugen – Mitgefühl. Ganz besonders für Papageno, meine Rolle, der ja oft neben der Handlung steht. Denn auch die Personen in dem Stück sind der Meinung, dass sie sich an einem sonderbaren Ort befinden“, erklärt McGovern – wir sind inzwischen in der Kantine, bei einem Probenpausen-Kaffee. „Deswegen sagte Jette zu uns: Seid wirklich naiv, es ist wie ein Traum.“

Dieser Traum begann für McGovern im südenglischen Surrey. Schon als Kind sei er „ziemlich laut“ gewesen, die Familie mütterlicherseits war musikalisch. Klavier und Geige gespielt hat er, die Mutter Sängerin, die Tante Pianistin, Schulchor. Bilderbuch. Und dann kam der Tag, als der Teenager Jonathan in einem kleinen Plattenladen namens Record Corner eine Aufnahme der drei großen Schubert-Liedzyklen mit Dietrich Fischer-Dieskau und Graham Johnson am Klavier entdeckte. 5,99 Pfund, Sonderangebot, er hatte zehn dabei. „Ich hatte damals keine Ahnung, wer diese Leute waren“, amüsiert sich McGovern rückblickend. Diese Kaufentscheidung war schnell, einfach und folgenreich. Die Platten hat er noch, berichtet er, er hat sehr viele Platten.

Als Notenumblätterer hat er sich an die Bühne gewöhnt

Eine weitere Leidenschaft, die damals aufblühte, war die für die deutsche Sprache und deutsche Literatur. McGovern schwenkte schnurstracks – „es passierte einfach“ – auf eine Lebenslinie ein, die ihn direkt zum Konservatorium führte, zu ersten kleineren und dann den größeren Rollen, zuletzt Debussy, der Pelleas. Anfangs nebenbei jahrelang Umblätterer in der Londoner Wigmore Hall, auch eine elegante Möglichkeit, sich an Bühnenluft und Rampenlicht zu gewöhnen. Jetzt also Papageno, den Lauser mit dem goldenen Herzen. „Diese Rolle wollte ich schon immer singen“, sagt McGovern und grinst dabei ein vorfreudiges, sehr breites Grinsen. „Aus stimmlicher Sicht fühle ich mich jetzt dafür bereit, es ist jetzt eindeutig der richtige Zeitpunkt. Und sie in Deutschland zu singen macht es noch aufregender für mich.“

Einen Plan B fürs Leben, für ein ­Leben ohne Rampenlicht? Habe er nie gehabt, antwortet McGovern und schaut dabei etwas erstaunt. Wann immer er sich zwischendurch gefragt habe, ob er das wirklich tun wolle, sei die Antwort immer ein Ja gewesen. Von Reue oder chronischen Zweifeln scheint McGovern, der inzwischen im Süden Londons wohnt, meilenweit entfernt zu sein. Die ersten Papageno-Kostproben, die er kürzlich bei einer Veranstaltung der Theaternacht als Testlauf für den Premieren-Ernstfall ablieferte, haben ihm so viel Spaß bereitet, dass er die Totale kaum noch abwarten kann. Wäre es anders als so gut, wie es jetzt ist, hätte womöglich auch Georges Delnon noch einmal grundsätzlichen Justierungsbedarf angemeldet. Hat er aber nicht, erzählt McGovern. „Er lässt mich einfach machen.“

„Die Zauberflöte“, Premiere am 23.9., 18.30 Uhr. Weitere Vorstellungstermine unter www.staatsoper-hamburg.de. Um 19.30 findet am Jungfernstieg „Moin Mozart!“ mit Jugendensembles aus den Hamburger Bezirken statt, die arrangierte Teile der Oper aufführen, bevor um 20.45 Uhr die zeitversetzte Open-Air-Kino-Übertragung der Vorstellung beginnt. Infos: blog.staatsoper-hamburg.de/moinmozart/